Coronavirus: Wie meistern wir unser Leben in der Isolation?
02.04.20
Interview mit der Psychologin Loredana Popescu
Das Coronavirus hat unseren Alltag im Griff. In allen Ländern der Welt müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung der Infektion zu verlangsamen und dazu das öffentliche Leben einzudämmen. Konzerte sind abgesagt, Museen, Kinos und die meisten Geschäfte sind zu, Kontakte zur Familie oder Freunden gibt es meist nur noch per Telefon oder Video-Anruf. Der direkte Umgang mit anderen Menschen ist fast unmöglich. Doch wie wirkt sich die Isolation auf unsere Psyche aus? Mit der Kronstädter Psychologin Loredana Popescu sprach KR-Redakteurin Elise Wilk.
Das Leben, wie wir es kennen, ist wegen der Corona-Pandemie aus den Fugen geraten. Gleichzeitig sollen wir nicht in Panik geraten. Wie kann uns das gelingen?
Tastächlich ist ein Leben so, wie es früher war, zur Zeit nicht mehr möglich. Von einem Tag auf den anderen haben sich Dinge, die wir vorher als selbstverständlich und normal betrachtet haben, plötzlih geändert. Wir haben andere Prioritäten. All das kann uns in Angst versetzen. Es ist etwas Neues, das wir bisher noch nicht erlebt haben, und dieses Unbekannte kann jedem von uns soziale oder individuelle traumatische Geschehnisse reaktivieren, die wir irgendwann erlebt haben.
Es ist also normal, dass Angstzustände vorkommen. Troztdem sollten wir nicht in Panik geraten. Die Angst erscheint bei jedem menschlichen Wesen auf spontane Weise, wenn es Gefahr oder Bedrohung wahrnimmt. Aber die Art und Weise, wie wir auf Gefahr reagieren, ist bei jedem von uns verschieden. Wir können wählen, nicht in Panik zu geraten. Wir können zu uns selbst sagen: “Ja, ich habe Angst, aber ich werde nicht in Panik geraten!”, und tief einatmen. Wenn wir für 2-3 Minuten tief ein- und ausatmen, und uns auf das Atmen konzentrieren, werden wir uns beruhigen, es ist unmöglich, Panik zu fühlen. Und wenn wir keine Panik fühlen, können wir, trotz der angst, die wir verspüren, Lösungen finden. Und uns an die Situation anpassen. Die Welt, so wie wir sie kennen, existiert nicht mehr. Aber nur für eine Zeit. Um nicht in Panik zu geraten, müssen wir dauernd zu uns selbst sagen: Es ist kein Weltuntergang! Die Prioritäten haben sich geändert und wir müssen mit dieser Herausforderung umgehen.
Uns wird empfohlen, soziale Kontakte drastisch zu reduzieren und auf Social Media trendet der Hashtag "#Bleibtzuhause". Menschen sind durch das Coronavirus also viel mehr allein als früher. Welche Auswirkungen hat die soziale Isolation auf den Einzelnen?
Soziale Isolation, falls sie für eine begrenzte Zeitspanne stattfindet, kann den Menschen zu sich selbst führen, kann die Introspektion anregen. Si bringt nicht zwangsmäßig Beschwerden oder Leid, aber sie kann diejenigen, die keine gute Beziehung zu sich selbst haben und die permanent von sich selbst davonlaufen und das Alleinsein vermeiden, in einen angespannten Zustand versetzen. Es ist ein guter Moment um ein paar Schritte in diese Richtung zu machen.
Welche Maßnahmen kann jeder ergreifen, um die soziale Isolation für sich erträglicher zu machen?
Soziale Isolation ist verschieden von Alleinsein, von Vereinsamung. Uns wird empfohlen, soziale Kontakte drastisch zu reduzieren und so viel wie möglich zu Hause zu bleiben. Also reduzieren wir unsere Begegnungen- die physische Nähe zu anderen Personen. Jedoch sind wir nicht verpflichtet, die Beziehungen mit den anderen Personen zu unterbrechen. Alle Beziehungen brauchen drei wesentliche Zutaten, um sich zu entwickeln: Nähe, Zuwendung und Zeit. Obwohl in dieser Zeit die physische Nähe nicht zugestattet ist, bleibt uns die psychische Nähe, die virtuelle Nähe, die Zuwendung und die Zeit, sich um die Beziehungen zu kümmern. Wir haben Zeit, darüber nachzudenken: wie widme ich mich dieser Beziehung? Ist es viel, ist es wenig? Auf welche Weise tue ich es? Nehme ich mir Zeit, mich um diese Beziehung zu kümmern? Das gilt auch für die Beziehung mit uns selbst. Wie widmen wir uns der eigenen Person? Wir können die Zeit nutzen, um zu lesen, um zu tun, was wir schon seit längerer Zeit tun müssten, es aber immer wieder aufgeschoben haben. Es ist eine gute Gelegenheit dafür.
Viele Menschen arbeiten derzeit im Homeoffice und beschweren sich über schwache Motivation. Was raten Sie denen?
Für diejenigen, die von zu Hause arbeiten, ist es wichtig, ein Arbeitsprogramm aufzustellen, mit einer präzisen Planung jeder Aktivität. Sie sollten nicht zu lange Pausen nehmen aber auch nicht ohne Pause arbeiten. Sie sollten in ihrer Aktivität Prioritäten setzen. Ebenfalls sollten sie sich Zeit für die Projekte nehmen, die sie bisher aufgeschoben haben. Ohne Eile. Sie haben ein wenig Zeit gewonnen.
Was für Effekte hat die Isolation für Paare und Familien? Wie können sie es meistern, diese Zeit mit so wenigen Konflikten wie mäglich zu überstehen?
In einer Beziehung muss man jetzt mehr als sonst verhandeln. Wie verhandeln und teilen uns den Raum, die Verpflichtungen, die Zeit, je nach Bedarf. “Bitte lass mich an diesem Platz arbeiten. Ich brauche 2-3 Stunden, dann werde ich Zeit mit den Kindern verbringen”. Oder: “Was möchtest du jetzt tun? Was kann ich tun?”, “Ich will mich ausruhen” usw. Es hilft auch, offen über unsere Ängste und Sorgen zu reden. Es ist wichtig dass man den Kindern in ihren Worten erklärt, was diese Situation bedeutet, ohne sie in Panik zu versetzen. Es ist eine Zeit, wo es wichtig ist, aufeinander aufzupassen, indem man den Regeln folgt. Mit den Kindern kann man eine feste Tagesstruktur aufzubauen und mit ihnen gemeinsam planen. Eltern sollten Kinder fragen, was sie selber schon tun können, z.B. beim Kochen helfen oder sogar ein Gericht kochen lernen oder anderweitig im Haushalt Aufgaben übernehmen. Wesentlich ist jedoch, dass die Kinder die Botschaft bekommen, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Meisterung einer Krise leisten. Kinder schätzen es, wenn sie Verantwortung übernehmen können.
Wie können alleinstehende Personen diese Zeit meistern?
Diejenigen, die alleine wohnen, haben oft ihre eigenen Rituale. Die jetztige Situation bringt sie aus ihrer Konfortzone heraus. Aber sie können Wege finden, diese Verluste auszugleichen. Man sollte auf keinen Fall auf Bewegung verzichten- Yoga, Tanz, Aerobic- dafür findet man tausende von Videos auf Youtube. Sie sollten so oft wie möglich mit ihren Freunden kommunizieren- telefonisch oder per Internet. Dabei sollten sie- und auch Leute, die mit der Familie leben- so wenig wie möglich Nachrichten schauen- höchstens zwei Mal am Tag, um sich zu informieren, das reicht. In dieser Situation hilft es, Ordnung und Sauberkeit im Haus einzuhalten. Wer die Zeit nutzen will, kann jetzt endlich mal alles ausmisten, was sich über die Jahre angesammelt hat. Die ungeplante Zeit zu Hause kann man damit durchaus sinnvoll nutzen. Wichtig ist auch, die Ruhemomente zu genießen. Ruhe wirkt regenerierend.
Können virtuelle Treffen auf WhatsApp, Skype oder FaceTime die menschliche Nähe ersetzen?
Virtuelle Treffen helfen auf jeden Fall. Wir sehen die Gesichter unserer Freunde und unserer Familie und das beruhigt uns. Alle sind wir in derselben Situation und wir unterstützen uns gegenseitig. Wir formen Selbsthilfegruppen füreinander. Und die Internet-Treffen haben noch einen Pluspunkt: ich weiss, dass wir uns sehen, also werde ich mein Aussehen nicht vernachlässigen. Ich kömme meine Haare, vielleicht setze ich Makeup auf, ich verzichte auf den Pyjama und ziehe normale Kleidung an. Man muss sich nicht vernachlässigen. Denn die Vernachlässigung des eigenen Aussehens kann Zeichen einer Depression sein. Also sind virtuelle Treffen hilfreich, für uns und für unsere Freunde.
Was verunsichert die Menschen derzeit besonders?
Wir können eine Liste erstellen- mit Ängsten und Sorgen, da ist die Angst, geliebte Leute zu verlieren, den Arbeitsplatz zu verlieren, pleite zu gehen, krank zu werden oder sogar zu sterben. Jeder von uns wird diese Ängste auf seine eigene Art und Weise ausleben. Wir leben zur Zeit in einem angespannten Zustand, da wir nicht wissen, wie lange diese Situation dauern wird. Eins ist sicher- diese Situation zerüttet unsere gesamte existentielle Struktur. Deshalb ist es wichtig, zu den wichtigen, tiefgründigen Werten zurückzukehren. Werte wie der Glaube an Gott oder die Spirtitualität.
Kann man dem Ganzen vielleicht sogar etwas Positives abgewinnen?
Alles hat auch seine guten Seiten. Also können wir auch in dieser Situation positive Aspekte finden. Wir haben die Chance, unsere Prioritäten und Werte neu zu definieren und einzusehen, dass nichts selbstverständlich ist, dass wir zu jeder Zeit alles verlieren können. Auf diese Weise können wir dankbar sein für das, was wir haben. Wir haben die Chance, erwachsen zu werden. Das kann ein großer Gewinn sein, wenn wir uns stark genug anstrengen.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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