„Es ist, in erster Linie, eine Bereicherung für mich“
29.04.22
Über die Zeit zwei deutscher Freiwilliger in der Honterusgemeinde
Es ist ein sonniger Tag in Kronstadt, nach einem langen Winter. Ich nutze die Gelegenheit um die zwei Freiwilligen der Honterusgemeinde zu treffen. Helen Sator (19) und Reno Kramer (18) leben seit vergangenem Sommer in der Stadt unter der Zinne und sind in der Kinder-, Jugend- und Diakonie-Arbeit tätig. Vormittags spielen sie mit Kindern im Kindergarten der Evangelischen Kirche in der Neugasse, nachmittags verrichten sie Tätigkeiten mit Teenagern im Rahmen der Gemeinde. Sie pflegen auch Kontakte zu Senioren oder Angehörigen der Honterusgemeinde, die sie regelmäßig anrufen, besuchen, oder beim Spazierengehen begleiten.
Beide haben in ihrer Bewerbung bei der Organisation Freiwilliger Ökumenischer Friedensdienst in Deutschland für ein Freiwilligenjahr im Ausland angegeben, dass sie mit Kindern und Jugendlichen arbeiten möchten. Reno war auch an der Arbeit in der Diakonie interessiert. Für ihn ist das Engagement in einer Gemeinde nichts Neues. In Weinheim, in der Nähe von Heidelberg, wo er herkommt, ist er aktiv im Gemeindeleben impliziert gewesen, hat sich seit seiner Konfirmation vor fünf Jahren bei den monatlichen Konfirmandenunterrichten engagiert. In Kronstadt setzt er seine Erfahrung bei den Treffen mit den Jugendlichen ein.
Die Kinder sind begeistert
„Ich mache dieses Freiwilligenjahr, um zu sehen ob mir Kinder- und Jugendarbeit auf lange Dauer gefällt, da ich mir vorstellen kann, später als Lehrer zu arbeiten. Es ist definitiv eine Option für mich, diese Arbeit bereitet mir sehr viel Spaß“, sagt Reno. Spaß haben auch die Kinder, die ihn regelmäßig treffen. Die Kleinen im Kindergarten schätzen es sehr, dass er viel mit ihnen spielt und dass er ihnen vorliest. „Reno spielt immer mit uns Fangen. Er gewinnt alle Wettrennen. Aber mein Freund hat ihn bei „Uno” (ein Kartenspiel) geschlagen“ schwärmt ein kleiner blonder Junge. Auch die Erzieherinnen aus dem Kindergarten wissen die Anwesenheit der zwei jungen Leute zu schätzen. „Sie sind eine enorme Hilfe“ sagt Diana Marcu, Leiterin der Institution. „Sie spielen sehr viel mit den Kindern, lesen ihnen vor und machen auch bei Familiengottesdiensten mit – und das alles in Deutsch.“ Das Zusammensein mit Kindern findet auch Helen besonders. Morgens, wenn sie mit ihrem Fahrrad in den kleinen Hof des Kindergartens eintrifft wird sie mit Lächeln und Umarmungen empfangen. Vor Corona, als sie die Schule beendet hat, wollte sie so eine Tätigkeit in Peru verrichten. Das Schicksal brachte sie aber nach Siebenbürgen, wo sie sich glücklich fühlt. Das Spielen bereitet ihr große Freude. Auch die Treffen mit den Teenagern sieht sie als Gelegenheit, sich zu entwickeln.
Eine Bereicherung für beide Seiten
„In jedem Jahr bieten wir den Freiwilligen, die zu uns kommen die Chance viele Erfahrungen zu sammeln“ sagt Pfarrerin Adriana Florea, die die Jugendarbeit der Gemeinde leitet. Die beiden Volontäre bereiten gemeinsam mit Florea Aktivitäten für Jungschar, Teenietreffen oder Jugendstunde vor, sie gestalten Programme zusammen, beteiligen sich thematisch und bereiten Andachten vor. „Wir bieten ihnen Raum und Zeit, eigene Ideen auszuprobieren, sich frei zu entfalten und kreativ zu sein. Gleichzeitig ist es eine Bereicherung für die Gemeinde, weil sie sich durch den Einsatz der Volontäre ständig entwickelt.” „Es ist in erster Linie eine tolle Chance, mich weiter zu entwickeln und Vieles zu erleben. Man kann hier ohne mich auskommen, aber ich habe die Gelegenheit in diese Kultur einzusteigen und auch ein Gefühl für meine eigene Kultur zu bekommen. Es ist ein Privileg, wenn man das machen kann“ sagt Helen.
Zuverlässige Termine gegen Vereinsamung
Die Teilnahme im Gemeindeleben findet auch sie sehr willkommen. Zuhause, in Karlsruhe, hat Helen diese Art von Einsatz nicht erlebt und freut sich umso mehr, dass sie hier so herzlich aufgenommen wurde und viel mitwirken kann. Reno ist begeistert darüber, die Funktionsweise einer großen Gemeinde (im Vergleich zu seiner, aus Deutschland) kennenzulernen. Die Herausforderungen einer größeren Gemeinde und einer Großstadt meistert er gut. Zudem hat er stolz festgestellt: „Ich komme in einer Großstadt alleine zurecht“. Das Stärken der Selbständigkeit und des Selbstbewusstseins sind Vorteile, die ein Freiwilligenjahr bietet.
Mehrmals die Woche leisten Helen und Reno Arbeit für die Diakonie. „Montags besuche ich eine ältere Frau für eine Stunde. Sie bewirtet mich reichlich. Es gibt immer eine Suppe, dann eine Hauptspeise und danach Kaffee. Sie erzählt mir aus ihrer Vergangenheit, wir unterhalten uns über aktuelle Sachen“ erzählt Reno. Auch mit anderen älteren Gemeindemitgliedern hat er wöchentlich Kontakt. Einer Dame liest er immer die Losungen aus dem Losungsheft von der Kirche vor, sie unterhalten sich über dies und jenes. „Am Ende beten wir gemeinsam das Vaterunser“.
„Für Personen, die nicht mehr sehr viele Kontakte haben, ist es ein zuverlässiger Termin jede Woche“ erklärt Helen. „Wir leisten ihnen ein bisschen Gesellschaft, reden über das, was sie gerade interessiert. Es ist auch wichtig, dass sie sich auf Deutsch unterhalten können.“. Sie trifft auch zwei Frauen in ihren Dreißigern, die sich gerne austauschen wollen, aber wenig Bekannte haben. Mit denen geht sie spazieren, oder Kaffee trinken. „Das ist schön für sie, wenn jemand da ist und zuhört“ findet Helen.
Volles Freizeitprogramm
Während ihrer Zeit in Kronstadt haben die beiden auch viele Ausflüge unternommen. An Wochenenden reisen sie manchmal durch das Land, oder empfangen andere deutsche Freiwillige in ihrer Wohnung im Stadtzentrum.„Ich will es ausnutzen Leute und die Gegend kennenzulernen“ findet Helen. Ihre Eltern waren schon zu Besucht, Renos Eltern wollen auch bald kommen. Das „komplett verdrehte Bild von Rumänien, das manche Leute in Deutschen haben“, wollen sie ändern.
Im Freiwilligenjahr, das in wenigen Monaten zu Ende geht, konnten sie sich mit ihren beruflichen und persönlichen Wünschen und Zielen auseinandersetzen, erkennen, was zu ihnen passt, was ihnen wirklich wichtig ist. So hat Reno festgelegt, dass er, trotz der schönen Zeit mit Kindern, vorerst die Ausbildung zum Piloten angehen möchte. Er will Verkehrspiloten werden, Fliegen fasziniert ihn seit der Kindheit.
Für Helen steht fest: sie möchte Sozialarbeit studieren, um eventuell als Vertrauens- oder Erziehungs-Person in Wohngruppen zu arbeiten, wo Kinder leben, die kein richtiges Zuhause haben. „Ich habe zwar keine Erfahrung damit, aber ich will es während des Studiums ausprobieren.“
Die Honterusgemeinde empfängt Jugendliche aus Deutschland für ein Freiwilligenjahr seit mehr als zehn Jahren.
Laura Căpătână Juller
Helen und Reno genießen ihre Zeit in Kronstadt. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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