Lesegenuss von großer Leichtigkeit
25.02.21
Mehrfach preisgekrönter Roman auch auf Deutsch zu lesen
Drei Zitate stehen zu Beginn des jüngsten in deutscher Sprache erschienenen Romans von Radu Tuculescu: eins von Sophokles über das Nichtsdenken, eins von Heinrich Heine über das Lachen und eins von Bohumil Hrabal über das Biertrinken. Zusammen mit dem skurrilen Buchtitel (Welche Metzgerei heißt schon Kennedy? Und warum sind die Nebenwirkungen zart?) stimmen diese Zitate auf die Unbekümmertheit, den Humor und den leiblichen Genuss ein, die den Text maßgeblich prägen.
Die Handlung spielt an einem Wochenende in der Kleinstadt Untermond bei Klausenburg/Cluj und dreht sich um den talentierten wie ehrgeizigen Metzger Flavius Kasian. Er fiebert der Eröffnung seiner Metzgerei am Montagmorgen entgegen und arbeitet an den letzten Handgriffen, während seine Frau Matilda den ganzen Roman über schläft. Dies ist auch schon der rote Faden – oder besser: die Kabanoswurst – die sich durch den Roman zieht. Den Namen „Kennedy“ hat der emsige Metzger ausgesucht, weil er einerseits ein großer Bewunderer des amerikanischen Präsidenten ist, andererseits aber auch, weil er sich dadurch gute Werbung erhofft. Er ist nicht nur ein tüchtiger Geschäftsmann, sondern ein vollkommener Künstler der Fleischproduktion. Er handelt, denkt und träumt in gastronomischen Kategorien, begleitet von dem Motto: „Wenn man seine Fantasie nicht freisetzt, bleibt man ein simpler Handlanger“ (13).
Der Roman bewegt sich stets zwischen Märchenstimmung und Aktualität 2.0. Zum Märchenhaften gehören die Dialoge der Storchenfamilie im Nest über Kasians Haus, die pummeligen Engel, die immer wieder aus dem nichts auftauchen, und die allgegenwärtigen Mücken, die als „illegitime Nachkommen Draculas“ ihr Unwesen treiben. Märchenhaft ist auch das etwas verschlafene Siebenbürgen, das am Anfang des Buchs hinter „feinen Nebelschaden aus gespenstischem Weiß“ erscheint, und über das sich zum Schluss „sanft eine unsichtbare Mütze, flauschig und warm“ stülpt. Wie aus dem Märchenbuch liest sich zudem der Ortsname Untermond – doch diesen gibt es wirklich! Nur ist das echte „Luna de Jos“ kein Städtchen, sondern ein Dorf mit 1.000 Einwohnern, eine halbe Fahrstunde von Klausenburg entfernt.
Das Aktuelle wiederum spiegelt sich nicht nur in der „globalen Erwärmung“ im Untertitel wider, sondern auch in Smartphones, im Blog der Ärztin Otilia, in Empfehlungen wie „Adoptiert doch einen kleinen Flüchtling“ (10), in Anspielungen auf die Auswanderung aus Rumänien, in der Beschreibung von Bio-Fleisch („der Schenkel eines im Freigehege aufgewachsenen Hähnchens, das ohne Verwendung genmanipulierten Getreides gefüttert worden war“, 10), in Szenen der feministischen Emanzipation an der Kegelbahn und in BMX-Fahrrädern.
Weitere Elemente im Roman – absurd-balkanische Szenen, Namen wie Epaminonda Tiliu und Melpomena Vitan, und die Hitze, die das ganze Buch schwitzen lässt – erinnern an Caragiale. Die hochsommerlichen Temperaturen geben mitunter Anlass zu poetischen Bildern, etwa „das kühle Lüftchen hatte den Kampf mit der unbarmherzigen Sonne verloren – als hätte diese tonnenweise aus gigantischen Fässern Hitze vom Himmel fallen lassen“ (83).
Drei weitere Zutaten fehlen selten in Tuculescu-Büchern und werden auch hier ausgiebig gefeiert: das Essen, die Musik und die Sinnlichkeit. Zur ersten Kategorie gehören zahlreiche Fleischgerichte, die das Können der Hauptfigur illustrieren. Das Highlight sind Kaltabosch, Blutwurst und Presswurst, die Kasian gemeinsam mit seinem Gehilfen, dem vegetarischen Dichter Noni, und seinem guten Bekannten, dem Juden Sami Goldenberg, zubereitet.
Man kann sich jedoch nicht entscheiden, was sinnlicher geschrieben ist: die kulinarischen Passagen oder die körperlichen. Zu Letzterem gehören die leicht unanständige Begegnung zwischen Mond und Sonne während der Sonnenfinsternis, aber auch die heißen Nächte von Doris Loman und ihrem Liebhaber „Ovi“ Negru, dem Chefredakteur von Radio Klausenburg. Kulinarisch-körperlich gipfelt die Affäre der beiden in einer Liebesszene mit Papanasch-Einsatz. Diese Nebenhandlung verbindet der Erzähler erst spät und in sehr überraschender Weise mit der tragenden Entwicklungslinie rund um die Metzgerei Kennedy, doch der Spannungsbogen ist überzeugend und das Warten auf die Auflösung lohnt sich unbedingt.
Die Musik ist immer wieder in sprachlichen Anspielungen präsent, bekommt aber eigene Buchseiten durch das Konzert der Band „Fliegentod“ im Quadratischen Wald nahe Untermond. Die Band liegt zwar „manchmal zwei bis drei Noten neben der korrekten Tonart“ (23), erobert aber nichtsdestotrotz die Herzen der „Untermondler“ oder „Untermonder“ (man ist sich im Roman nicht einig). Die Gemüter beherrscht aber noch mehr der Große Petric, der einen esoterischen wie energischen Auftritt über die Bühne bringt: eine Art Dan Puric, erkennbar an der Kombination zwischen quirliger Pantomime und national(istisch)-spirituellen Weisheiten.
Weitere illustre Figuren machen die Würze des Buchs aus, etwa Tante Viviana, die sich als „Nachfolgerin des größten und nationalsten Dichters“ Mihai Eminescu bezeichnet (93), die Seniorinnen Roberta und Rosalia, die in Emir-Kusturica-Manier die Generalprobe ihrer Leichenfeier veranstalten, oder der gescheiterte Fußballspieler Relu, der „den Fußball, seine Frau Doris und den Alkohol“ liebt, bis allmählich „die Reihenfolge ins Wanken“ (69) gerät.
Mitunter wirken Gespräche etwas naiv, aber das ist wahrscheinlich Teil der Leichtigkeit, die den Kern des Buchs ausmacht. „Wir schreiben keine Fachstudien“, offenbart der Erzähler an einer Stelle, „sondern erzählen von Begegnungen und beschreiben Personen, geben Dialoge wieder und entdecken an den unwahrscheinlichsten Stellen einen oder zwei Engel. Jeder kann seine persönlichen Schlüsse ziehen, wenn er Lust dazu hat“ (98).
Das schrullig-fleischige Buch ist im rumänischen Original als „Macelaria Kennedy“ (Polirom, 2017) erschienen und in Rumänien mehrfach ausgezeichnet worden. Radu Tuculescu, der im pittoresken Durcheinander des Romans meisterhaft Regie führt, gilt in Rumänien als wichtiger zeitgenössischer Autor. Seine Bücher sind unter anderem ins Tschechische, Ungarische, Französische und Italienische übersetzt worden.
Christine Chiriac
Radu Tuculescu: „Metzgerei Kennedy (Zarte Nebenwirkungen der globalen Erwärmung)“, Roman. Aus dem Rumänischen von Peter Groth, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale), 237 Seiten, ISBN 978-3-96311-107-5, Erschienen August 2019, 18 Euro
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