Minderheitenpolitik vor 1939
24.12.09
“Das Schlagwort der Gleichberechtigung” - zwei Briefe von Emil Neugeboren (V)
Und nun verzeih, lieber Vaida, dass ich Dich mit einer so langen Epistel belästigt habe; ich habe sie geschrieben auf die Gefahr hin, dass Du sie gar nicht liest. Was sie enthält, ist deshalb doch nicht weniger wahr und wird früher oder später sich durchsetzen.
Mit herzlichen Grüßen bleibe ich
Dein einstiger Kollege und Kampfgenosse
[Emil Neugeboren]
Hermannstadt, 21. Dezember 1939
Brukenthalgasse 16
Lieber Vaida!
Meinem Brief vom 28. v.M. lasse ich diesen kleinen Nachtrag folgen. Ich lege einen von mir verfassten Artikel im Siebenb. Deutschen Tagebl. bei, der die Frage der „străini” im Gesetz über den Schutz der nationalen Arbeit behandelt. Als ich ihn schrieb, dachte ich, die Sache sei mit der besprochenen Entscheidung des Kassationshofes ganz und endgültig entschieden. Doch da wurde ich von Kennern des wirtschaftlichen Lebens eines anderen belehrt. Man sagte mir, die Entscheidung des Kassationshofes habe keine allgemeine Gültigkeit. Denn in Rumänien sei es nicht so, wie es im alten Ungarn war und wie es in Deutschland ist, wo eine Entscheidung des obersten Gerichtshofes des Landes prinzipielle Bedeutung hat, so dass in einem Streitfall ähnlichen Inhaltes eine Berufung auf die betreffende Entscheidung vollen Erfolg hat. Bei uns zulande könne das untere Gericht in jedem einzelnen Fall auch gegen die Entscheidung des Kassationshofes entscheiden, und die Privatpartei sei gezwungen, wenn sie ihr Recht finden will, doch auch wieder bis zum Kassationshof zu gehen. Und da dies viel Geld kostet, so sind kleinere Betriebe nicht in der Lage, den Prozess bis zum Kassationshof hinaufzutreiben, sondern müssen sich der gesetzwidrigen Auslegung fügen! – Dazu kommt aber noch ein zweites: es gebe, sagte man mir, so etwas, was man „kalte Methode“ nennen könne. Das heißt: derjenige Betrieb, der sich weigere, Rumänen ethnischer Bedeutung zum Nachteil der eigenen Volksgenossen aufzunehmen in dem Prozentsatz, der ihm von der Behörde in falscher Auslegung des Gesetzes vorgeschrieben wird, werde vielleicht nicht direkt „bestraft“, könne aber bei der sklavischen Abhängigkeit, in der die ehrliche Arbeit gehalten wird, auf hundert andere Arten indirekt so lang schikaniert werden, bis er dem Unrecht nachgibt.
Ich weiß nicht, ob mein Gewährsmann Recht hat. Soviel aber weiß ich, dass auch nach der in meinem vorigen Brief erwähnten Erklärung des Herrn Arbeitsministers Ralea an sächsische Betriebe die Aufforderung gerichtet worden ist, rumänische, blutsrumänische Beamte aufzunehmen. Wenn also in den maßgebenden Kreisen die ernste und ehrliche Absicht vorhanden ist, der Hetze mit dem „numerus valachicus“ ein Ende zu machen, so kann es nur auf die Weise geschehen, dass eine zweizeilige Novelle zum Gesetz über den Schutz der nationalen Arbeit erklärt: Străini sind nur Leute, die nicht rumänische Staatsbürger sind. Punktum! Geschieht dies nicht in allernächster Zeit, ehe noch viel weiterer Missbrauch mit jenem Gesetz getrieben wird, nun, so wissen wir auch von diesem Punkt aus, was wir von den schönen Reden über die Gleichberechtigung der Minderheiten in Rumänien zu halten haben!
Noch eine Kleinigkeit. Eine Kleinigkeit, denn sie betrifft höchstens ein bis zwei Dutzend rumänische Staatsbürger deutschen Volkstums. Vor einigen Monaten ist eine Überprüfung der Kosmetikerinnen angeordnet worden. Jetzt ist die Durchführungsverordnung dazu erschienen. Und darin finden wir u.a. folgende erbauliche Verfügung: Vorbedingung der Zulassung zur Prüfung ist die Kenntnis der rumänischen Sprache in Wort und Schrift. In der Prüfung muss die allgemeine Bildung durch eine schriftliche Arbeit in rumänischer Sprache nachgewiesen und außerdem eine schriftliche Facharbeit, ebenfalls in rumänischer Sprache, geliefert werden. Ich frage nun: welches staatliche Interesse erfordert es, dass Damen, die Ihresgleichen massieren und frisieren, schminken und bemalen, die rumänische Sprache in so weitgehendem Maße beherrschen? Soviel rumänisch kann sicherlich jede, dass sie die Wünsche ihrer rumänischen Kundinnen verstehen und die paar Worte, die sie ihnen vielleicht zu sagen haben, rumänisch sagen können. Können sie es nicht, nun, so werden sie eben keine rumänischen Kundinnen haben! Es ist also eine Frage ganz privater Natur und nicht ein Funken von Berechtigung für den Staat vorhanden, von den Kosmetikerinnen ein so hochgespanntes Maß von Kenntnis der Amtssprache des Staates zu verlangen. Ein Maß, dem sicherlich die allerwenigsten der jetzt schon, manche seit Jahren, tätigen Frauen dieses Berufs werden genügen können. Sehr viele werden daher aus ihrem Beruf, der ihnen bisher ein nicht allzureiches Brot gegeben hat, ausscheiden müssen – zu Gunsten der Konkurrentinnen rumänischen Volkstums! Dass etwa dies der Zweck der Verordnung sein könnte, will ich nicht behaupten – Gott bewahre mich vor solchem Sakrileg! Aber wenn es jemand anderer behaupten sollte, so weiß ich leider nicht, wie ich widerlegen soll! Du würdest mich zu großem Dank verpflichten, wenn Du mir in dieser Beziehung einen Rat geben würdest! Du wärest der geeigneteste Mann dazu, Du, der alte Vorkämpfer gegen die magyarische Unterdrückung und heutige Verkünder der in Rumänien herrschenden Gleichberechtigung der Nationalitäten!
Im übrigen aber: frohe Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr!
Dein alter Kollege von ehedem
[Emil Neugeboren]
(Schluss)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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