“Die Menschen sind grundsätzlich gut”
21.05.20
Erfahrungen einer Kronstädter Familie, die die Welt bereist hat
Ein Kronstädter Ehepaar hat, gemeinsam mit seinen beiden Kindern die im Grundschulalter sind, anderthalb Jahre die Welt bereist. Erst haben sie einen Teil Europas gesehen, danach Asien: die Türkei, den Iran, Turkmenistan, Uzbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Kazakhstan, Russland, die Mongolei, Japan, Südkorea, Malaysia, Laos, Thailand. Ihre einzigartige Erfahrung wurde durch die Coronavirus-Pandemie unerwartet unterbrochen, brachte sie zurück nach Hause, wo sie nun neue Reisepläne schmieden.
Schon als Kind hat Adi Cârmaciu (40) gerne gezeltet. Zusammen mit seiner Frau Roxana (40) haben sie als Teenager oftmals Ausflüge mit dem Zug im In- und Ausland unternommen. Die Leidenschaft für das Entdecken neuer Orte, das Kennenlernen neuer Kulturen und Menschen haben sie beibehalten und mit ihrem Jeep, den sie mit einem Dachzelt ausgestattet hatten, fortgeführt. Auch als ihre Kinder, Mara und Irina, geboren wurden, haben sie das Campieren nicht für Hotels oder Pensionen gegeben. Im Gegenteil, sie haben sich einen in Reisemobil umgebauten Transporter gekauft.
Über zehn Jahren lang hat Adi ein Bild verfolgt: eine deutsche Familie mit drei Kleinkindern die auf einem leeren Strand in Tansania, im Wohnwagen, Urlaub macht. Diese Familie hat er während eines Urlaubs gesehen und konnte sich nichts sehnlicher wünschen als eines Tages mit seiner Familie einen Langzeiturlaub ebenso zu verbringen. Die Freiheit und Gelassenheit, die Nähe zur Natur, die Freude der Kinder hatten ihn verzaubert.
Doch Kredite bei der Bank und ein Haus im Bau haben die Reise verschoben. Das Paar hat jedoch nie aufgehört, Blogs und Bücher zum Thema Overlanding, das heißt das Bereisen, am Land, von abgelegenen Gebieten und unberührten Gegenden, die von den herkömmlichen Touristen-Routen abweichen, zu verfolgen.
Das Wohnmobil Baraka
Der erste Schritt war, ein Wohnmobil anzuschaffen. Baraka, auf Rumänisch “baraca”/Hütte, heißt der zum 4x4 Wohnmobil umgebaute über 30 Jahre alte ehemalige Feuerwehrwagen der Marke Mercedes-Benz T1, der in den Deutschen Alpen seine großen Einsätze zum Retten von Leben gemacht hat und der nun seit vier Jahren Familie Cârmaciu gehört. Das Paar hat ihn an die eigenen Bedürfnisse angepasst: Kühlschrank, Schränke, Lagerräume, Pritschen, Küche und Toilette, sowie ein Aufstelldach bauten sie ein. In Rumänien, Bulgarien, Albanien, auf Kreta, in Georgien lernten sie das Leben auf vier Rädern immer besser kennen. Die familienfreundliche Urlaubsform, im Herzen der Natur und in der Gesellschaft Gleichgesinnter, die kleineren Kosten als bei Pensionen passten perfekt zu ihnen.
Der Mut zur Entscheidung
Adi hat seine sichere und gut bezahlte Arbeitsstelle in einem großen Unternehmen für eine besser entlohnte Mitarbeit als Freischaffender gekündigt und sobald die Familie finanziell stabil war, kam auch der Mut “die Komfortzone zu verlassen”. Roxana hat ihre Arbeit gekündigt - Adi behielt seinen Teilzeitjob - und sie begannen die lange Reise im Detail vorzubereiten. Visa, Genehmigungen, Impfungen mussten erhalten werden. In die Baraka durfte nur das Allernötigste gepackt werden, davon zwei Schachteln voller Medikamente, zur Sicherheit. Nach fast einem halben Jahr zogen sie los. “Je länger du zweifelst, desto größer wird die Angst und desto kleiner die Wahrscheinlichkeit, dass du losfährst” erklärt Adi Cârmaciu. Die ersten Monate haben sie in Albanien, Bosnien, Sardinien, Sizilien und Frankreich verbracht, um sich danach ins Unbekannte zu wagen.
Erfahrungen für das Leben
Die vorherbestimmte Route haben sie in großen Zügen verfolgt, die Übernachtungsplätze mit Hilfe der Landkarten und Apps für Overland-Reisende gefunden. Leere Strände, dichte Wälder, abgelegene Flüsse,kolossale Berge, aber auch Campingplätze, öffentliche Parkplätze oder Marktplätzen, sogar Höfe von Leuten waren ihnen unterwegs ein Zuhause. Die Dauer der Aufenthalte wurde an jedem Ort spontan nach Herzenslust bestimmt, allerdings abhängig von den Ablaufdaten der Visa. Landschaft, die Menschen die sie trafen, die Atmosphäre, die zu besichtigenden Objektive hielten die Kronstädter zwischen einer Nacht und einigen Tagen, sogar zwei Wochen an einer Stelle, ja sogar zwei einhalb Monate in einem Land. Im Pamir haben sie zwei Rumänen getroffen, Carmen und Andrei, die mit einem Tandemfahrrad den Kyzyl-Art-Gebirgspass in einer Höhe von 4250 Metern überquerten - eine neue Anregung für Adi. Ebendort hat ihre Heizung nicht mehr mitgemacht, sodass sie bei Null Grad übernachten und für den restlichen dortigen Aufenthalt ein Zimmer in einer Pension mieten mussten. Im Iran haben sie für Einheimische rumänisch gekocht, in Kirgisistan ein traditionelles Reiterspiel beobachtet, bei dem eine tote Ziege von von Reitern von der Spielfläche aufzunehmen und vor den Preisrichter abzulegen ist. In Thailand haben sie Insekten gegessen, in Hiroshima das Friedensmuseum besichtigt. An Erfahrungen fehlte es nicht.
Die Highlights der Weltreise
“Jedes Land hat seinen Reiz, aber der Iran, Pamir und die Mongolei sind die Highlights unserer Reise” sagt Adi selbstsicher. Die Güte und Gastfreundschaft der Iraner hat die Familie beeindruckt. Viele schöne Erinnerungen binden sie an das arabische Land, das sie unbedingt wieder besuchen wollen. “Leute laden dich nach Hause ein, feiern mit dir, Verkäufer schenken dir die Produkte, die du kaufen willst, sind äußerst freundlich, aber auch gebildet” schwärmt Roxana. Ihr Mann vergleicht die Iraner mit den Rumänen vor der Wende: “Sie freuen sich so sehr auf den Besuch der Ausländer, wollen ihnen alles Schöne zeigen, was es bei ihnen gibt, bereiten ihnen lokale Gerichte zu, verwöhnen sie und verlangen nichts dafür“.Roxana war von einer Frau beeindruckt, die sie, mit Tränen in den Augen, nachträglich bat allen Bekannten und Freunden zu erzählen, dass die Iraner keine Terroristen seien. Dass ihr Volk weltweit negativ und falsch präsentiert wird schmerze die Iraner, die sich ihrer Geschichte und Kultur bewusst seien.
Die unwahrscheinlich schönen 7000-Meter hohen Bergketten im Pamir haben ihren Atem geraubt. “Die Mongolei beeindruckt durch die Unendlichkeit und Wildnis, durch ihre Schönheit, die Seen, einfach durch alles. Wir haben Tausende Gazellen gesehen, Fünfjährige die hervorragend reiten” erinnert sich Adi. “Mit den riesigen leeren Flächen, wo man frei campieren kann, ist die größte Campingstelle der Welt. Man erlebt hier totale Freiheit.”
Selbstisoliert in der Ferne
Auf zwölf Quadratmetern, einschließlich dem Zelt, ständig zusammen zu sein ist bestimmt eine Herausforderung. Wenn die meisten Menschen während der zwei Monate langen Ausgangssperre wegen der Coronavirus Krise zwischen ihren vier Wänden an ihre Grenzen gestoßen sind, so haben die vier Mitglieder der Familie Cârmaciu das Zusammensein auf engstem Raum zum Lebensstil entwickelt. “Darauf muss man sich einstellen” sagt Roxana. “So eine Reise ist sicherlich nicht leicht und auch nicht für jedermann” wissen Roxana und Adi. Immer, bis vor Sonnenuntergang einen sicheren Ort zum Campieren zu finden, wo auch Wasseranschluss ist, Kochen, Wäsche waschen, Homeschooling sind Roxana nicht immer leicht gefallen. Da fehlte ihr manchmal der Komfort von Zuhause, den sie jetzt genießt. Doch die unwahrscheinlich schönen Gewässer, Berge, Monumente, die unersetzlichen Erfahrungen und wunderbaren Menschen würden das alles wert sein. “Sobald man wieder reisen darf, ziehen wir los” ist der Familie klar. Diesmal soll die Reise allerdings nur bis zum Herbst dauern, weil Mara in die vierte Klasse kommt und in der Schule für ein gutes Gymnasium vorbereitet werden soll.
Eine starke Bindung
“Die Reise hat die Schwestern viel näher zueinander gebracht, es ist eine Bindung die sie für immer haben werden” erklärt die Mutter. Die Schwierigkeiten von unterwegs, als das Auto kaputt ging, nicht ausreichend zu essen da war, sie sich von wilden Tieren bedroht fühlten, haben sie gelehrt geduldig und verständnisvoll zu sein. Zudem ist ihr Interesse an Materiellem, an Objekten, stark zurückgegangen, Bücher haben sie aber strengstens nötig gehabt. “Manchmal war Mara so sehr in die Lektüre vertieft, dass sie stundenlang ins Kindle (ein Gerät zum Lesen elektronischer Bücher) starrte. Wenn sie den Blick hob, wunderte sie sich über die herrliche Umgebung” erinnert sich Roxana. Dass sie nach dieser Reise fließend Englisch lesen und auch sprechen, verdanken sie der Interaktion mit den zahlreichen neuen Freunden, die sie unterwegs gewonnen haben und mit denen sie sich in der Universalsprache verständigen konnten.
Die Pandemie änderte die Pläne
Anfang März waren die Vier in Thailand, mit dem Ziel: Indien, Nepal, Pakistan und China. Die Information, dass wegen der Verbreitung des Coronavirus Grenzen gesperrt werden, hat all ihre Pläne geändert. Nach tagelangen Zweifel und Versuchen die Visa zu verlängern, um, im Idealfall die Quarantäne-Zeit auf einer Insel zu verbringen, haben sie die sicherste Lösung gewählt: Baraka wurde mit dem Schiff nach Konstantza geschickt, sie selbst flogen aus Thailand über Qatar nach Bukarest. “Die Unsicherheit war enorm. Flüge wurden gestrichen, auch unserer hätte jederzeit abgesagt werden können” erklärt Adi. Roxana spricht von Glück, dass sowohl sie, als auch Baraka heil wieder zu Hause sind. Denn viele der Bekannten von unterwegs mussten ihre Autos einfach aufgeben, weil sie in Ländern waren, von wo aus deren Transport in die Heimat nicht möglich war.
Mit neuen Ideen erwarten sie die nächste Reise mit dem ersten Halt am Meer.
Laura Capatana-Juller
Vom Dach der Baraka ist die Aussicht auf Phang Nga Bay (Thailand)am besten. Foto: Baraka Travels
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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