Eine Reise durch Vietnam
11.04.19
Teil 2: von Konkubinen, Königsgräbern und Fischen, die sich in Drachen verwandeln
In einem Wohnblockviertel von Saigon halten wir an und steigen von den Scootern. Es ist Abend. Draußen spielen ein paar Kinder Fußball, ältere Leute sitzen an bunten Plastiktischen und spielen Karten, andere essen am Straßenrand oder fahren mit den Scootern hupend durch die Gegend. Mitten auf der Straße dröhnt asiatische Musik aus zwei Lautsprechern. Ein junger Mann singt dazu, mit einem Mikrophon in der Hand. Es ist eine Art Karaoke unter freiem Himmel.
Die Türen der Wohnungen stehen offen und man kann ein wenig hineinschauen. Es sind Studio-Apartments, bestehend aus einem größeren Zimmer und Küche. Am Boden sind Kacheln. Hier wohnen meistens bis zu drei Generationen zusammen. Und in allen Wohnungen ist in einer Ecke ein großer, blinkender Altar für die Ahnen aufgestellt. „Für uns ist es normal, dass wir mit den Eltern leben. Wir pflegen sie dann, wenn sie alt werden“, meint Vu, unser Reiseführer.
Vietnam gehört zu den Ländern, in der Bildung eine große Rolle spielt. „Die Universität ist aber kostenpflichtig. Und manchmal hat die Familie nicht genügend Geld um die Uni-Gebühren für alle Kinder zu bezahlen. Mein Bruder zum Beispiel ist intelligent. Ich bin bloß gescheit. Die Entscheidung war leicht: er ging studieren, ich blieb zu Hause und suchte einen Job. Heute arbeitet er in einem Unternehmen, er sitzt den ganzen Tag am Computer. Mein Job gefällt mir viel mehr, ich genieße die Freiheit“, meint der 31jährige Bee, der Touristen mit dem Jeep zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten fährt. Bee hat sich die englische Sprache selber beigebracht, aus dem Fernseher. Viele junge Leute lernen alleine Englisch. An einem Lebensmittelmarkt in Saigon lernen wir einen Teenager kennen, der Englisch mit perfekten amerikanischen Akzent spricht. Er unterhält sich mit den Touristen, um seine Sprachkenntnisse auszuweiten. Englisch hat er aus den Serien im Internet gelernt, die er täglich schaut.
Clinton-Suppe und Obama-Nudeln
Unsere Tour geht weiter durch den Blumenmarkt und durch das Seafood-District, wo sich ein Meeresfrüchte-Restaurant an das andere reiht. In einem Cafe, das seit 1975 funktioniert, essen wir ein Kokosnusseis, das nach einem geheimen Rezept zubereitet wurde. Und trinken einen vietnamesischen Kaffee. Vietnam hat eine ausgeprägte Kaffeekultur. Es gibt den traditionellen cà phê ?á, der mit Eis und viel Zucker getrunken wird oder den cà phê s?a ?á, der mit Kondensmilch angereichert wird. Doch der leckerste ist der Kokosnusskaffee, ein Kaffee mit Kondensmilch in den man einen Löffel Kokosnusseis hinzufügt. Alle Sorten sind am besten kalt zu genießen.
Dann führt unsere Tour vorbei am Suppenlokal Pho 2000, das Weltruhm errang, nachdem der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton dort gegessen hat. Die USA und Vietnam hatten 1995 wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen. Fünf Jahre danach, im Jahr 2000, hat der damalige Präsident zusammen mit seiner Tochter Chelsea Clinton Vietnam besucht. Es war der erste amerikanische Präsident, der nach Ende des Krieges nach Vietnam kam. In Saigon besuchte Clinton das Restaurant Pho 2000. Fotos, die an den Wänden des Lokals hängen, zeugen auch heute von dem Besuch.
Doch nicht nur dieses Restaurant hat Kultstatus erlangt, sondern auch ein anderes bescheidenes Lokal, diesmal aus der Hauptstadt Hanoi, wo niemand anderes als Barack Obama zu Gast war. Bei einem Staatsbesuch im Mai 2016 hat Obama zusammen mit dem Fernsehkoch Anthony Burdain die Nudelküche „Bun Cha Huong Lien” in Hanois Altstadt besucht. Heute ist der blaue Plastiktisch, an dem Obama gesessen ist, hinter Glas gestellt wie ein Museums-Objekt. Angeblich soll der ehemalige Präsident der USA
Nudeln mit gegrilltem Schweinefleisch gegessen haben, dazu eine Brühe, Kräuter und Chili. Der Preis lag damals bei umgerechnet etwa 5 Dollar. Laut Angaben im Internet soll es im berühmt gewordenen Lokal schon seit längerer Zeit ein Obama-Menü geben. Wir fahren weiter, vorbei am Präsidentenpalast, dessen Einstürmung am 30. April 1975 durch Panzer der nordvietnamesischen Streitkräfte das Ende des Vietnamkrieges und der Teilung des Landes in Nord- und Südvietnam bedeutete.
Die Dachterrasse der Kriegskorrespondenten
Ein paar Straßen weiter verabschieden wir uns von unseren Reiseführern. Wir wollen ein Cocktail auf der Dachterrasse des Rex-Hotels ausprobieren, am Ort, wo während des Vietnamkrieges die täglichen Pressekonferenzen der Amerikaner stattfanden und der als Treffpunkt der Kriegskorrespondenten galt. Die Terrasse mit hohen Pflanzen, glühenden Lampen und zwei riesigen Elefantenstatuen, von der man eine schöne Aussicht auf die bunten Straßen der Stadt genießen kann, hat viel spannendere Zeiten hinter sich. Heute werden hier die besten und teuersten Mojitos der Stadt gemixt, in den Wirren des Krieges wurde hier Geschichte geschrieben. Die täglich um 17 Uhr stattfindenden Pressekonferenzen wurden von den zynisch gewordenen Kriegsreportern als „five o´ clock follies“ (verrückte Aufführungen um 5 Uhr) bezeichnet. Auch heute gibt es die „five o´ clock follies“, doch als Cocktail. Ende des Krieges zogen die Reporter und amerikanischen Soldaten aus den Räumen weg, doch gleich danach quartierten sich die Kommunisten ein und verkündeten 1976 aus dem Hotel heraus die Wiedervereinigung Vietnams. Auch das nahe gelegene Hotel Continental hat vieles erlebt. Das Zimmer Nummer 214 ist berühmt, weil Der Schriftsteller Graham Greene hier den größten Teil seines Weltbestsellers „Der stille Amerikaner“ geschrieben hat. Der Roman wird nun auf der Straße vor dem Hotel als Souvenir verkauft.
Das Museum der Kriegsopfer
Der Vietnamkrieg endete vor mehr als vier Jahrzehnten, doch seine Folgen sind noch heute sichtbar. Viele Gebiete sind vermint, immer noch explodieren unentdeckte Bomben und Menschen werden getötet. Auch das von den USA eingesetzte Gift „Agent Orange“ führt noch immer zu organischen Missbildungen, auch in der dritten Generation.
Von allen Gräueltaten des Krieges zeugen Exponate im Kriegsopfermuseum aus Saigon. Der Besuch des Museums, für den man bis zu drei Stunden brauchen kann, ist keine leichte Sache. In erschütterten Bildern und Exponaten werden die Schrecken des Krieges dokumentiert. Unten im Hof sind von den Amerikanern zurückgelassene Panzer, Hubschrauber, Kampfbomber und Artilleriegeschütze aufgestellt.
Im Inneren des Museums werden auf drei Stockwerken die Geschichte und die Folgen des Vietnamkrieges dargestellt - anhand vieler Fotografien, Dokumenten und Kriegsrelikten. Gleich im ersten Raum entdecken wir eine familiäre Fotografie- es ist das Bild des nackten Mädchens, das schreiend vor den Rauchschwaden der Napalmbomben flüchtet. Die ganze Welt kennt dieses Foto. Es wurde zu einem Symbol des Vietnamkrieges.
Ein ganzes Abteil des Museums ist dem Thema „Agent Orange“ gewidmet. Es handelt sich um die militärische Bezeichnung eines chemischen Entlaubungsmittels, dass die USA im Krieg großflächig zur Entlaubung von Wäldern und zur Zerstörung von Pflanzen von Hubschraubern versprühten, um die Tarnung der Vietcong durch den dichten Dschungel zu erschweren und deren Nahrungsversorgung zu stören. Doch das Herbizid zerstörte nicht nur Pflanzen, sondern auch Menschenleben. Tausende von Bewohner der betroffenen Gebiete und auch tausende von US-Soldaten erkrankten. Ein anderer Raum ist dem Massaker von My Lai gewidmet, das im März 1968 von US-Amerikanischen Soldaten an 504 Zivilisten begangen wurde und zuerst von der Armee vertuscht wurde. Durch die Recherchen des investigativen Journaliste Seymour Hersh gelangte das Geschehen an die Öffentlichkeit, wobei die Veröffentlichung maßgeblich zum Wandel der öffentlichen Meinung über den Krieg beitrug.
Die Stadt des Parfümflusses, der Drachenboote und Königsgräber
Wir verlassen Saigon und fliegen gegen Norden nach Hue, der ehemaligen Hauptstadt des Landes während der Nguyen-Dynastie (1805-1945). Der Flughafenbus bringt uns in die Stadt und die Straße, auf der wir fahren, erinnert an eine Landstraße im Süden Rumäniens: Hühner am Straßenrand, bunte Reklametafeln auf den Häusern, Plastiktische und Coca-Cola Schirme. Wir erwarten eine etwas langweilige Provinzstadt, doch das Zentrum von Hue überrascht uns: es ist bunt, quirlig und größer als wir erwartet haben. Der Parfümfluss schlängelt sich durch die Stadt, an seinem Ufer stehen Drachenboote, elegant gekleidete Asiatinnen, die ein Selfie nach dem anderen machen, alte Frauen, die Mangos und Drachenfrüchte verkaufen und viele ausgebreitete Decken, auf denen es glänzt und glitzert: Ohrringe in Katzenform, goldene Turnschuhe, singende Plastikhunde und Buddhas in allen Größen werden von den Verkäufern angeboten.
Zum Ursprung des Namens „Parfümfluss“ (Perfume River) gibt es verschiedene Theorien: eine verweist auf die Pollen und Blüten, die im Frühjahr auf dem Wasser treiben, eine andere auf die wohlriechenden Edelhölzer, die auf dem Fluss transportiert wurden.
Wer die Königsgräber in Hue besuchen will, die etwas außerhalb des Zentrums liegen, sollte auf jeden Fall eine geführte Tour buchen. Unserer Reiseleiter heißt Mister Hua und führt uns als erstes zur Pagode der Himmlischen Frau. Die Legende erzählt, dass nachts auf dem Hügel am Parfümfluss eine alte Frau gefunden wurde, die ein langes, rotes Kleid und grüne Hosen trug und behauptete, dass dieser Ort einer Gottheit gehört. Sie verlangte, dass im Namen dieser Gottheit eine Pagode gebaut werden müsse, woraufhin sie in einer Wolke verschwand. Neben der Pagode können wir eine riesige Schildkröte aus Stein anfassen. Dabei dürfen wir sie entweder bitten, uns ein langes Leben zu schenken, oder viel Bildung. Dann fahren wir mit einem Drachenboot auf dem Parfümfluss zu einigen der sieben Kaisergräber, die im Süden der Stadt liegen und zum UNESCO-Welterbe gehören. Die Grabstätten stammen aus dem späten 19. Jahrhundert oder frühen 20. Jahrhundert, als die Kaiser unter der französischen Kolonialherrschaft Galionsfiguren waren. Die Gräber von Kaiser Tu Duc, Minh Mang und Khai Dinh sind wahre Kunstwerke. Auch in die Verbotene Stadt gelangen wir. Mr Hoa erzählt uns von den vielen Konkubinen der Kaiser, die hier abgeschnitten von der Außenwelt leben mussten. Dauernd mussten sie in der Nähe des Kaisers sein und ihm abends eines der über 50 verschiedenen Gerichte zu reichen.
In einem Teich schwimmen hunderte von orangefarbenen Fischen. „Einer von ihnen, das wissen wir, dem gelingt es über das Drachentor zu springen. Er wird sich dann in einen wunderschönen Drachen verwandeln und davonfliegen“, sagt Mister Hoa. Daran wird fest geglaubt.
Am nächsten Vormittag wartet ein Militär-Jeep vor unserem Hotel. Es wurde von den Amerikanern im Krieg eingesetzt und blieb in Vietnam. Hunderte von solchen Fahrzeugen gibt es noch, sie werden jetzt im Tourismus eingesetzt.
Auf uns wartet eine siebenstündige Fahrt durch den Hai van Pass an der Küste des Südchinesischen Meers entlang bis nach Hoi An, der vielleicht schönsten Stadt in Vietnam.
(Fortsetzung folgt)
Elise Wilk
Foto: Drachenboote am Ufer des Parfümflusses in Hue. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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