Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel und der Schwarze-Kirche-Prozess – ein zweifaches Gedenken (II)
17.01.19
Zur Abrundung des Bildes von der Schwarzen Kirche, ihren Angestellten und gewählten Vertretern, als einer Zentrale der umstürzlerischen Verschwörung, des Vaterlandverrats und der internationalen Spionage – dies die Hauptanklagepunkte im Prozess – fehlte noch der internationale Bezug. Neben einigen Briefen von Konrad Möckel aber auch von Kirchenvater Fritz Roth oder Guido Fitz aus der Verwaltung der Honterusgemeinde an Verwandte und Bekannte in Westdeutschland lag nichts vor. Wie gerufen kam da der Brief, den Fritz Theil (1895-1961) an Herbert Roth, den er als Freund von dessen Vater Hans-Otto Roth (1890-1953) verfasst hatte. Hier lohnt es ein wenig auszuholen: Es war ein Brief des ehemaligen Chefredakteurs der Kronstädter Zeitung (1929-1934), der Herbert Roth zur Hochzeit schrieb und die Verhältnisse in Deutschland kritisch beleuchtete, v.a. die Neigung zum übermäßigen Konsum mitunter kritisierte. Der Securitate war aus anderen Quellen die Implikation von Fritz Theil in das Attentat vom 20. Juni 1944 auf Adolf Hitler bekannt – Theil hätte die Rundfunkansprache nach dem Attentat veranlassen sollen – das zählte und interessierte hier nicht. Theil entkam durch seine kurz entschlossene Flucht nach Bukarest, wo er für die Gestapo unauffindbar untertauchen konnte. Unter Einbeziehung von Herberts Schwester Marie-Luise, also beider Kindern des herausragenden sächsischen Politikers der Zwischenkriegszeit, Dr. Hans-Otto Roth, war der Brief an Stadtpfarrer Möckel gelangt, der ihn für wert erachtete, vervielfältigt und verbreitet zu werden. Theils Bekanntheit in Kronstadt und sein differenzierter Blick auf die westdeutschen Verhältnisse erschien ihm als wirkungsvolles Mittel, die vorbehaltlos positive Sicht der Gemeindeglieder auf den goldenen Westen zu relativieren und der Bereitschaft zur Auswanderung entgegen zu wirken. Für die Securitate zählte v.a. der Auslandsbezug zur Spionagezentrale, den sie in der Gestalt des siebenbürgisch-sächsischen Exils in Deutschland meinte ausmachen zu können. Der Brief wurde kurzerhand durch den Geheimdienst zu einer Lobeshymne auf den Westen umgedeutet, Theils differenzierter Blick interessierte nicht.
Für die Securitate zählte weniger die umfassend-vollständige Erfassung aller Beteiligten in Vorgängen dieser Art. Um den größtmöglichen propagandistischen Effekt zu erzielen, kam es v.a. darauf an, eine möglichst weitverzweigte Verschwörung aufzudecken. Dies ist der Hauptgrund, wieso die drei unterschiedlichen Gruppen von Angeklagten in ein einziges Verfahren zusammengezogen wurden (Jugendliche, Honterusgemeinde, Roth-Kinder). Auf diese Weise konnte der Auslandsbezug, aber auch der Kronstadt überschreitende gesamtsiebenbürgisch-sächsische Aspekt, v.a. durch die ferner erstellte Beziehung zum Bischofsamt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und v.a. dem theologischen Institut und seinen Studenten in Hermannstadt erreicht werden.
Die Verurteilung wegen Spionage, Vaterlandsverrat und Untergrabung der gesellschaftlichen Ordnung (uneltire contra ordinei sociale) wurde auf diese Weise bald erreicht. Die Angeklagten Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel, Horst Depner, Günter Volkmer und Karl Dendorfer sollten dem Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß zum Tode verurteilt werden. Im Urteilsspruch, der auf den 22. Dezember 1958 datiert ist und der in Abwesenheit der Angeklagten erfolgte, wurden diese Strafen in lebenslängliche Haft umgewandelt. Hinzu kamen weitere fünf lebenslängliche Strafen (insgesamt also 9 Mal lebenslänglich!). Für die restlichen 11 Angeklagten sind Haftstrafen von 6 bis 20 Jahren verhängt worden.
Neben der Frage, ob die Jugendstunden das Monopol der Staatspartei auf die Jungend infrage gestellt hatten, spielte in den Verhören der Begriff „Abendland“ eine herausragende Rolle. Die kulturelle Zugehörigkeit zum Kulturkreis des Abendlandes – wohin hätte man als Siebenbürger Sachse denn sonst hingehören sollen? – ließ sich zur Spionage und zum Vaterlandsverrat ausbauen. Die Fragen um den Fortbestand und den Zusammenhalt unserer Minderheit als ethnisch-konfessioneller Gemeinschaft, die von den damals Jugendlichen erörtert wurden, aber auch von Konrad Möckel und allen anderen diskutiert wurden, katalogisierten die Vertreter des Regimes unter dem Stichwort „unitate nationala“ (Nationale Einheit) und zwar im Sinne einer nationalistischen Verschwörung gegen das volksdemokratische Regime. Ein besonderer Aspekt war hierbei das Thema Mischehen. Sie waren damals schon eine Tatsache, aber noch lang, lang nicht die Regel. Der vorausschauende Blick auf diese Thematik und die sachlich abgeklärte Haltung dazu sowohl bei den Jugendlichen als auch bei Möckel zählte in den Augen der Anklage wenig. Sie interpretierte sie lieber im Sinne der völligen Ablehnung der Mischehen, um sie als Teil der nationalen Verschwörung verwenden zu können.
Überblickt man die genannten Themenfelder des Prozesses, kommt man unweigerlich zu der Feststellung, dass hier über alle Lebensfragen der Siebenbürger Sachsen und ihrer Kirche zu Gericht gesessen worden ist: Jugend, kulturelle und sprachliche Identität sowie Zusammenhalt in der grenzüberschreitenden Gemeinschaft. Das Entsetzen, den der Prozess in der Bevölkerung auslöste, ist enorm gewesen, wie den Berichten der Zeitzeugen zu entnehmen ist. Die Auswirkungen auf das kollektive Bewusstsein und Verhalten unserer Minderheit sind erheblich gewesen. Es nimmt z.B. wenig wunder, dass in den 1960er Jahren Kronstadt ein Vorreiter bei der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen gewesen ist.
Wenn wir nun nach Effekten und Folgen des Prozesses fragen, so ist zunächst der Frage der Etikettierung des Prozesses nachzugehen. Es geht dabei um zwei Begriffe: „Edelsachsenprozess“ und eben „Schwarze-Kirche-Prozess“. Es lässt sich aus den Akten bislang nicht rekonstruieren, wie es zu dieser Begrifflichkeit kam und wo sie zum ersten Mal auftauchte. Das liegt zunächst an der enormen Menge an Akten, die von der Securitate in oft chaotischer Weise angelegt wurden, ein Stoß von annähernd 2 Meter Höhe! Diese Akten sind bis heute von niemandem chronologisch neu geordnet worden, um die Entscheidungsgänge der Securitate und der Partei vielleicht rekonstruieren zu können – alles ist freilich auch nicht erhalten, v.a. die Momente und die Orte der Schlüsselentscheidungen fehlen allzu oft. Es wäre ja auch wider die Natur der Sache gewesen, wenn ein Unrechtsregime da deutliche Spuren hinterlassen hätte! Eine zusammenfassende Bewertung vor Prozessbeginn ist allerdings für Gheorghe Gheorghiu-Dej und andere Angehörige der obersten Parteiebene erstellt worden und mitsamt Dejs persönlichen, teils ironischen Anmerkungen erhalten geblieben. Eine Seltenheit, so dass ein wichtiger Teil der Antworten hierauf bereits vorliegt: die Implikation der obersten Entscheidungsträger in politische Prozesse kann in unserem Fall nicht geleugnet werden.
Bei den Begriffen „Edelsachsenprozess“ und „Schwarze-Kirche-Prozess“ ist davon auszugehen, dass sie der Nachprozesspropaganda zugehören, und von der Securitate gezielt als Gerüchte ausgestreut wurden – Hans Bergel hat mir zumindest berichtet, dass vor seiner Verhaftung 1959 die Stadt voll des Geredes von den Edelsachsen gewesen sei. Realer Kern des Edelsachsen-Begriffs war bei Möckel und den Jugendlichen die Erörterung eines moralisch korrekten Verhaltens in Anbetracht der Verhältnisse mit Bezug auf die alten Tugenden zu denen eben auch Edelmut gehörte. Daraus war nun eine Begrifflichkeit geworden, die voll des Hohns über die Naivität der Verurteilten war. Dies muss für viel Bitterkeit unter den Angehörigen der Verurteilten gesorgt haben.
Zum Abschluss noch einige Bemerkungen: Trotz allen Leids und erfahrener Demütigung und Ungerechtigkeit, darf man es doch wagen, das Los der Verurteilten als ein vergleichsweise einfach-eindeutiges zu bezeichnen. Diese Aussage ist zulässig in Anbetracht der Tatsache, dass ein Prozess wie der vorliegende eine Menge öffentlich unsichtbarer Opfer erzeugt. Das Leid der Familienangehörigen, ihre Nachteile in Ausbildung und Beruf infolge der vom kommunistischen Regime praktizierten Sippenhaft gehören hier an erster Stelle genannt. Ferner ist die Rolle des Prozessopfers eine eindeutige Rolle, die trotz allen Leids und Erniedrigung, in der Rückschau zumindest dies bietet: eindeutig auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden zu haben.
Die Securitate verfolgte neben den im Prozess sichtbar gewordenen Zielen eine ganze Reihe von Nebenzielen, die in der Summe wohl auch als das eigentliche Hauptziel anzusehen sind. Zunächst wurden einige der Jugendlichen für andere Prozesse, v.a. „Prejba“ und „Sankt-Annen-See“ „aufgespart“, um dort ebenfalls mit dem Element der umfassenden Verschwörung arbeiten zu können. Es ging ferner um die umfassende Durchdringung unserer Minderheit und Kirche mit Informanten, so dass z.B. bei kirchlichen Wahlen seit Mitte der 1950er Jahre „Überraschungen“ ausgeschlossen waren. Ihre Rekrutierung war im Kontext groß angelegter politischer Prozesse um ein Vielfaches leichter, als davor. Äußerst schwierig bis unmöglich zu bewerten ist das Schicksal dieser Informanten, die ich als Opfer von Erpressung sicher nicht auf der Seite der Profiteure sehen kann, denn es gab damals für niemanden etwas zu gewinnen außer für das Regime, vielleicht mit der Ausnahme von Dr. Carl Göllner und einiger ganz weniger weiterer quasi hauptberuflicher Spitzel. Informanten gab es in der Folge viele in der Honterusgemeinde, auf den unterschiedlichsten Ebenen. Pars pro toto mag hier gelten, dass von den vier Stadtpfarrern, die Möckel bis 1990 nachfolgten, nach meinem Kenntnisstand nur ein einziger der Securitate nicht zumindest vorübergehend als Informant gedient hat. Eine Hexenjagd als Reaktion darauf bringt wenig, denn viel wesentlicher als das, ist die Tatsache, dass es bei einer derartig hohen geheimdienstlichen Durchdringungsrate, wie sie im Falle unserer Minderheit aufgrund der braunen Geschichte und der damaligen wie gegenwärtigen außenpolitischen Bezüge gegeben war und ist, es einen ganz und gar nicht unerheblichen Teil des Sicherheitsapparates gab und gewiss immer noch gibt, der sich mit unserer Minderheit und unserer Kirche beschäftigte und dies wohl heute noch tut. Nimmt man noch den Aspekt hinzu, dass nach 1990 ein Teil der alten Eliten aus Partei- und Sicherheitsapparat in die Privatwirtschaft gewechselt ist, und in unseren Breitengraden alles mit allem zusammenzuhängen scheint, so wird erst ersichtlich, wie schwer es auch heute ist bei einem derartigen historischen Gepäck und verborgenen Interessen, im Sinne des Dienstes an den tatsächlichen Bedürfnissen der Minderheit und ihrer Kirche zu handeln, zumal hier auch der materielle Aspekt zu beachten ist. Da ist mehr als nur ein Schatten der Vergangenheit! Aber auch das kann überwunden werden, so es einmal erkannt ist und in all seinen Facetten bedacht wird. Viel ist ja diesbezüglich auch schon geschehen, so sind Jugendstunden und Jugendarbeit eine Normalität für uns heute. Schier vergessen sind die Zeiten, als die Jugendlichen Kronstadts in den 1980er Jahren ihre Eltern über den Zweck ihrer Abwesenheit von zu Hause anlogen, um in die Jugendstunden der Honterusgemeinde zu kommen, denn auch zwanzig Jahre nach dem Prozess, saß die Furcht tief.
Zu Spionagezwecken sollte der Schwarze-Kirche-Prozess, wie angedeutet, desgleichen dienen. Einer der Jugendlichen wurde über eine von der Securitate organisierte abenteuerliche Flucht nach Westdeutschland eingeschleust und leistete dort eine Weile lang Spionagedienste, jedoch nach gegenwärtigem Kenntnisstand mit recht mageren Ergebnissen – v.a. wenn man dagegenhält, welch enorm große Summen in dieses Unterfangen investiert worden sind, wird offenkundig, wie wichtig dieser Aspekt dem Regime als ein weiterer Gewinn infolge des Prozesses gewesen ist.
In dieselbe Richtung der internationalen Spionage ging das, was die Securitate mit Marianne Siegmund vor hatte: sie hätte mit ihrem westdeutschen Brieffreund, Heinz Hahn, der auch eines der Treffen bei Horst Depner während eines Rumänienaufenthalts 1956 besucht hatte, in ein gemeinsames Leben in der Bundesrepublik starten dürfen unter der Bedingung, sich als Spionin zur Unterwanderung der Friedensbewegung, in der Hahn aktiv war, zu verpflichten. Bei der langjährigen Recherche im Archiv des Nationalen Rates zum Studium der Archive der Securitate (CNSAS) hat mir die Entscheidung, die Marianne Siegmund in dieser Situation getroffen hat, den höchsten Respekt abgenötigt: sie drehte in ihrer Not den Spieß um, stellte die Offiziere der Securitate, die sie zunächst zur Mitarbeit überredet hatten, überführte sie der Unaufrichtigkeit und erlangte so unter Verzicht auf das private Glück, dass sie dem Doppelleben eines verdeckten Agenten entkommen konnte. Sie war in dem Moment bereit, für ihren Entschluss ins Gefängnis gesteckt zu werden, was aber unterblieben ist.
Dies alles war nur möglich aufgrund einer Justiz, die dem Politischen untergeordnet gewesen ist. An diesen Beispielen wird erkennbar, wie groß die Gefahr ist, in der unser Land gegenwärtig, angesichts eines unverantwortlichen Umgangs mit der Unabhängigkeit der Justiz im Jahr 2018, schwebt. Gut möglich, dass die Offenheit, mit der wir heute versuchen, dem Vergangenen zu begegnen, um uns davon lösen zu können, uns einmal als politische Schuld vorgehalten werden wird – aber gibt es dazu eine Alternative?
Schlussendlich bleibt ein Ja zum weiter oben formulierten Halbsatz: „wegen unserer lieben Schwarzen Kirche“. Weil sie für alles stand was wir waren und dafür steht, was wir sind und auch dafür, was wir als deutsche Minderheit und Kirche je sein werden, gleich in welcher Form, zu dieser Übereinstimmung gibt es keine wirkliche Alternative.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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