130 Jahre Eisenbahn über den Predealpass
22.01.09
Kronstadt – Bukarest, die landesweit erste, elektrisch betriebene Strecke/ von Dipl.-Ing. Erwin Hellmann
Ich erinnere mich an meine erste Eisenbahnfahrt noch sehr genau. Es war im Juli 1944. Ich war mit meiner Schwester und Großmutter in Marienburg bei der Urgroßmutter nach dem ersten Bombenangriff auf Kronstadt im April 1944 „evakuiert“ worden, denn der Bunker in der Langgasse, der uns Schutz bieten sollte, war noch nicht fertig. Erst im Juli war es dann so weit, dass wir wieder nach Hause kommen konnten. Wir hatten beide richtiges Heimweh, das wir nur nicht benennen konnten. So kamen dann die Eltern an einem Sonntag nach Marienburg um uns abzuholen. Wir fuhren mit der Bahn, Vater war spendabel und zahlte für die 2. Klasse, das hieß Abteil mit 6 Plätzen und roter Samttapezierung. Ein echtes Erlebnis.
Aber warum diese Erinnerung?
2009 werden es 135 Jahre, seit Kronstadt an das Eisenbahnnetz Siebenbürgens angeschlossen wurde und 130 Jahre, dass die Eisenbahn über den Predealpass fährt.
Gehen wir einmal diese Jahre zurück und sehen, wie die Welt damals aussah.
Der Eisenbahnbau erfolgte in Ungarn und Siebenbürgen recht zögerlich. Erst 1873 erreichte der „Eisenweg“, von Schäßburg kommend, Kronstadt.
Ich erinnere mich immer mit Vergnügen daran, wie meine Urgroßmutter erzählte, wie die gesamten Einwohner Marienburgs den ersten Zug begrüßten. Die Menschen kamen im Sonntagsstaat zu dem außerhalb der Ortschaft liegendem Bahnhof gepilgert um das große Wunder zu bestaunen. Der Zug kam angebraust, der Lokomotivführer öffnete das Dampfventil, so dass das eiserne Ungetüm in einer Wolke aus Dampf verschwand und mit höllischem Zischen und Heulen der Dampfpfeife vorüber donnerte. Die Leute sahen sich an, rieben sich die Augen und gingen recht enttäuscht und ziemlich feucht nach Hause.
Nachdem Kronstadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen war, wurden die Möglichkeiten einer Verbindung nach Rumänien (denn Kronstadt war damals ja noch ungarisch und lag hart an der Grenze) untersucht. Es gab mehrere mögliche Varianten, so die Strecke über Întorsura Buz²ului nach Buz²u. (Selbst nach dem ersten Weltkrieg wurde noch dieser Plan verfolgt, so ist der Tunnel von Teliu zweispurig ausgebaut, aber die Verbindung nach Nehoiu wurde nicht mehr hergestellt.) Auch die Strecken über den Oituzpass oder durch das Trotuschtal in die Moldau wurden in Betracht gezogen. Die Bahnlinie durch das Trotuschtal wurde dann später auch gebaut. Aber 1874 fiel die Entscheidung für die Linie über Predeal.
Am 31.05.1874 wurde das Regierungsabkommen zwischen Ungarn und Rumänien in Bukarest unterzeichnet. Die ungarische Staatsbahn MAV sollte die Strecke bis zur Landesgrenze, das heißt bis Predeal bauen, von dort bis Plojeschti/Ploie{ti war es Aufgabe der rumänischen Eisenbahn die Verbindung zu den Eisenbahnlinien im „Regat“ herzustellen. Als Termin für die Fertigstellung der Arbeiten wurde der 15. 08.1878 festgelegt. Durch den russisch-türkischen Krieg wurden 1877 die Arbeiten vorübergehend eingestellt.
Auf rumänischer Seite leitete Anghel Saligny (der später die Donaubrücke von Cernavoda baute) die Arbeiten. Hier mussten 3 Tunnels gebaut werden: Posada Mare mit einer Länge von 139 m; Posada Mic² mit einer Länge von 56 m (diese zwei Tunnel wurden 1940 nach einer Änderung der Streckenführung aufgelassen) und Bu{teni (der 1961 überflüssig wurde). Auch zwischen Obertömösch und Predeal waren zwei Tunnel notwendig, der Große Tunnel mit 937 m und der Kleine Tunnel mit 104 m Länge. Beide werden auch heute noch genutzt. Die Verdoppelung der Strecke machte noch je einen zweiten Tunnel parallel zu den alten, nötig. Diese wurden 1940 fertiggestellt.
Durch die kriegsbedingte Unterbrechung wurde die Strecke erst ein Jahr nach dem vorgesehenen Termin fertig, so dass der erste Probezug von Kronstadt nach Predeal und zurück erst am 26.05.1879 fahren konnte. Ab dem 10.06. begann der regelmäßige Zugverkehr nach Bukarest. Zwischen Sinaia und Câmpina musste aber bis zum 01.12. noch ein Schienenersatzverkehr mit Pferdefuhrwerken durchgeführt werden. Es wird in zeitgenössischen Quellen hervorgehoben, dass dieser Transfer im Fahrpreis mit einbegriffen war!
Der Bau der Strecke zeigte nicht nur durch die fünf Tunnel die technischen Schwierigkeiten dieser Gebirgsstrecke, es mussten außerdem noch viele Kunstbauten für den Wildwasserschutz, Stützmauern gegen das Abrutschen des Geländes, Brücken und ähnliches gebaut werden. Dazu war ein beträchtlicher Höhenunterschied zu überwinden: Von Plojeschti (152 m über NN) steigt die Strecke bis Câmpina 180 m, von hier bis Sinaia 390 m und bis Predeal (mit 1054 m der höchste Punkt) noch einmal 234 m, im ganzen 804 m auf einer Distanz von nur 59 km. Von Kronstadt bis Predeal sind auf einer Strecke von 25 km 489 Höhenmeter zu überwinden.
Der Bahnbau erforderte auch Bahnhöfe: die wichtigsten sind Plojeschti Süd (1872 gebaut, hier war das rumänische Hauptzollamt für den Warenverkehr nach Ungarn). Erwähnenswert ist auch, dass 1931 Plojeschti West gebaut wurde, um die Fahrzeit auf der Strecke Kronstadt – Bukarest zu verkürzen: in Sinaia ist es der „alte königliche Bahnhof” (1886). Der Bahnhof in Kronstadt wurde schon am 01.06.1873 in Betrieb genommen. Damals wurden auch das Lokdepot und die Reparaturwerkstätten erbaut. Bei dem ersten Luftangriff der USAF im April 1944 wurde dieser Bahnhof teilzerstört, erst in den –60 Jahren des 20. Jh. entstand der neue, moderne Bahnhof Kronstadts.
Die Strecke Kronstadt – Bukarest ist die erste in Rumänien, die elektrisch betrieben wurde (Kronstadt – Predeal seit 1965, Predeal – Câmpina 1966 und 1969 die gesamte Strecke bis Bukarest)
In der Zeit der Dampflokomotiven war jede Fahrt über den Predealpass eine echte Prüfung für Mensch und Material. Es waren vier bis fünf Lokomotiven nötig, um einen Zug über den Berg zu schaffen. Dazu wurden die stärksten Maschinen der CFR verwendet. Und doch dauerte die Fahrt von Kronstadt bis Predeal fast eine Stunde. Bis Bukarest brauchte ein Schnellzug damals mehr als 4 Stunden. Seit dieser Zeit hat sich auch der lange, heute technisch nicht mehr bedingte Aufenthalt der Züge in Predeal erhalten. Denn damals musste nicht nur umgespannt werden, sondern auch jeder Waggon und jede Lokomotive wurde technisch überprüft.
Es war ein beeindruckendes Bild, wenn man von der Straße aus sah, wie sich ein solcher dampfbespannter Zug, mit seinen zwei Lokomotiven im Vorspann und noch einmal zwei schiebenden Lokomotiven mit dunkeln Wolken von Rauch und zischendem Dampf die Strecke hoch kämpfte. Nostalgie ist hier aber nicht angebracht, denn neben der verkürzen Fahrzeit muss auch der Wegfall der Belästigung durch Rauch und Russ beachtet werden, dazu die unvergleichbar besseren Arbeitsbedingungen der Eisenbahner. Denn in der Zeit der Dampfloks wurden die Männer auf dem Führerstand vorne gebraten, von hinten aber erfroren sie.
Leider muss auch gesagt werden, dass es immer wieder zu schweren Unfällen kam, die viele Menschenopfer, aber auch hohe materielle Kosten verursachten. Manchmal gibt es aber auch einen humoristischen Aspekt, so als ein entgleister Güterwagen die Straße bei Untertömösch mit Orangen überschüttete und das in einer Zeit, als Orangen absolute Mangelware waren. Nun lagen sie zur Freude vieler, im wahrsten Sinne des Wortes, zur Selbstbedienung auf der Straße.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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