Ansiedler und Aussiedler
09.04.15
Migration zwischen Siebenbürgen und Westeuropa ab dem 12. Jahrhundert
Die deutschen Ortsnamen und die beeindruckenden mittelalterlichen Kirchenburgen in Siebenbürgen, sind ein sichtbares Dokument der Verbundenheit Rumäniens mit Mittel- und Westeuropa.
Die Vorfahren als Ansiedler
Die meisten Vorfahren der heutigen Siebenbürger sind in diese osteuropäische Region im Karpatenbogen bekanntlich schon um 1142 geschlossen eingewandert. Sie waren aus West- und Mitteleuropa ausgezogen, aus Belgien, Luxemburg, aus dem Osten Frankreichs, aus vielen Regionen Deutschlands und um 1772 aus Österreich (Landler), vor allem um ihr Glück und die völlige Freiheit zu finden. Ähnlich wanderten die Siedler in den vorigen Jahrhunderten im Osten der Vereinigten Staaten von Amerika aus, um ihr Glück im Westen ihres Landes zu finden. Und ähnlich wanderten später Schwaben aus Süddeutschland nach Südosteuropa aus, um sich da in Ungarn, Kroatien, Serbien und im Westen - sowie im Nordwesten Rumäniens anzusiedeln.
Der erste namentlich bekannte Auswanderer aus Westeuropa, der schon am Anfang des 12. Jahrhunderts, also vor Beginn der geschlossenen Besiedlung des heutigen Siebenbürgens, aus Westeuropa wegzog, um die neue Heimat im Osten Europas zu finden, war Anselm von Bras. Er war Burgvogt der Burg Logne in der Nähe von Stavelot, Region Malmedi in Belgien, in der Nähe der Nordgrenze Luxemburgs. Heute ist der Vertrag von 1103 bekannt, den Anselm von Bras mit dem Kloster „Stablo“ (Stavelot) im Osten Belgiens damals abschloss. Darin wird vermerkt, dass Anselm von Bras die Burgleitung abgibt, weil er mit seinen Söhnen ins „Ungarnland“ auswandern möchte. Sollte er jedoch zurückkehren, sei er berechtigt, die Burgleitung wieder zu übernehmen. Tatsächlich übernahm sein Schwiegersohn die Burgleitung nach seiner Auswanderung. Heute kann man da in Ostbelgien, im Ardennerwald, noch die Ruinen der Burg Logne sehen, von wo die Touristen einen schönen Blick ins Tal haben, ähnlich wie von der Törzburg in Siebenbürgen. Wo sich Anselm von Bras und seine Söhne in Siebenbürgen niedergelassen haben, ist nicht bekannt. Man vermutet jedoch, dass er als Kleinadliger womöglich mehrere Ansiedler angeführt hat, die sich in der Region Broos (Orastie) niedergelassen haben - und somit dem Ort seinen Namen gegeben hat.
Bekanntlich erfolgte die erste geschlossene Besiedlung des Karpatenlandes nördlich der Südkarpaten, entlang der Flüsse Zibin, Alt und Hamruden/Homorod, von Broos im Westen bis Draas (lateinisch terra Daraus) bei Reps/Rupea im Osten. Diese Vorfahren der Siebenbürger Sachsen waren freie Bürger vom König mit vielen Privilegien ausgestattet und direkt ihm unterstellt. Der ungarische König Andreas II. stellte den einstigen Ansiedlern diesbezüglich im Jahr 1224 als Urkunde den „goldenen Freibrief“ aus. Im Karpatenland wohnten jedoch auch viele Ungarn und Rumänen, die den ungarischen Adligen unterstellt waren. Das waren auch die Regionen an der Großen – und Kleinen Kokel, sowie jene bis an den Samosch/Somes-Fluß im Norden, also die Regionen Sächsisch-Regen/Reghin und Bistritz, wo sich ebenfalls Einwanderer aus Westeuropa ansiedelten. Diese Siebenbürger Sachsen wünschten sich natürlich ebenfalls die Privilegien und die Freiheit, die ihre Brüder auf dem sogenannten Königsboden besaßen. So erfolgten bis zur Reformation, also bis zur Trennung vom gemeinsamen katholische Glauben, immer wieder Aufstände der Nachkommen der Einwanderer gegen die ansässigen Kirchenfürsten bzw. gegen die ungarischen Adligen. Der erste bekannte Aufstand, der schließlich ein großer Erfolg für die Siebenbürger Sachsen bedeutete, war jener von 1277 angeführt von Gaan von Salzburg bei Hermannstadt (französisch Jean), anscheinend ein Ritternachkomme, wobei die Residenz des katholischen Bischofs Weißenburg (Alba-Iulia) größtenteils zerstört wurde. Die Stadt Weißenburg (heute auch Karlsburg genannt) war der Vorort des siebenbürgischen Bistums, das von den Nachkommen der einstigen Einwanderern zusätzliche Abgaben forderte. 1308 mussten sich deshalb schließlich sieben sächsische Kirchenkapitel vor dem Gericht in (Buda)Pest verantworten, weil ihre sächsischen Bürger damals mit Waffengewalt in den Dom in Weißenburg eingedrungen waren, und danach die Stadt verwüstet hatten.
Nach knapp 50 Jahren seit der Ausstellung des „goldenen Freibriefs“ durch den damaligen König war es Henning von Petersberg, Gräf von Kelling, der für sein Volk und die Freiheitsidee vom jetzigen König den „goldenen Freibrief“ bestätigen ließ, und darauf in der Schlacht gegen die kumanischen Söldner bei Reps 1324 sogar sein Leben opferte. Diese Auseinandersetzungen hatten schließlich als Folge, dass der König allen Siebenbürger Sachsen die Privilegien anerkannte (eigene Gerichtsbarkeit, freie Wahl des Pfarrers als Oberhaupt der jeweiligen Gemeinde), so dass die Nachkommen der einstigen Einwanderer endlich als einheitliches Volk betrachtet wurden. Aber ihre eigentliche Unabhängigkeit erhielten alle Nachkommen der einstigen Einwanderer erst nach der Reformation, also nach dem geschlossenen Übertritt zum evangelischen Glauben.
Um 1772 wanderten die Vorfahren der Landler aus Österreich nach Siebenbürgen in die Region Hermannstadt ein, und bildeten im Laufe der Jahre gemeinsame Ortsgemeinschaften mit den Siebenbürger Sachsen.
Dezember 1989 brachte auch die Massenaussiedlung in die „Urheimat“ mit sich
Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zogen gewöhnlich die begabten Söhne der wohlhabenden Bürger Siebenbürgens und Rumäniens zum Studium nach Deutschland und Frankreich. Die Siebenbürger Sachsen studierten gewöhnlich in Süddeutschland (Heidelberg, Tübingen) Theologie, um nach ihrer Rückkehr in die Heimat als Lehrer und Pfarrer ihr Wissen an die junge Generation weiterzugeben. Vor allem aus der rumänischen Literatur ist bekannt, dass die Söhne wohlhabender Grundbesitzer in Südrumänien und der Moldau zum Studium nach Paris fuhren, weil Rumänisch als romanische Sprache mit Französisch verwandt ist, und es somit fast keine Verständnisschwierigkeiten gab. So wurde die französische Sprache früher lange Zeit als Sprache der gehobenen Gesellschaft in Rumänien angesehen.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wanderten viele Siebenbürger Sachsen und Rumänen nach Westeuropa aus, um etwa von Hamburg oder Bremen mit dem Schiff in die neue Welt nach Amerika weiterzureisen, und da ihr Glück zu suchen. Das vor allem weil Englisch und Deutsch germanische Sprachen sind, und die Siebenbürger da wenige Verständigungsprobleme hatten. Deshalb heißt heute im Volksmund beispielsweise die Ortschaft Palo{ bei Reps „America Mic˛“ (Klein-Amerika).
Bis Ende der 20-er Jahre konnte man fast problemlos in die USA auswandern, ab 1928 sind dann viele Siebenbürger nach Kanada ausgewandert, um Geld zu verdienen, und um, nach ihrer Rückkehr in Siebenbürgen, Grund zu kaufen, oder moderne Häuser zu bauen. Auch Auswanderungen aus Siebenbürgen beispielsweise nach Sao Paulo in Südamerika sind aus den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt.
Der 2. Weltkrieg und seine unmittelbaren Folgen bedeutete für viele Bürger Rumäniens Umsiedlung und Deportation, er riss bedauerlicherweise viele Familien auseinander, so dass Siebenbürger und rumänische Staatsbürger in der Nachkriegszeit sozusagen auf der ganzen Welt verstreut waren, von Russland über Europa und Amerika bis nach Australien.
Gleich nach der Wende 1989 in Rumänien erfolgte eine Massenauswanderung der Siebenbürger Sachsen nach Mittel- und Westeuropa gewöhnlich zu Verwandten, vorwiegend nach Deutschland, aber auch nach Österreich, in die Schweiz, nach Frankreich und Skandinavien, sowie nach Nordamerika. Manche Siebenbürger Sachsen meinten dazu, sie konnten endlich dem Ceausescu-Regime entkommen, und in die Urheimat ihrer Vorfahren einwandern. Aber auch in umgekehrter Richtung erfolgte die Migration: manche Bürger aus Mittel- und Westeuropa wanderten in das befreite Rumänien und nach Siebenbürgen ein. Dazu wanderten auch weltberühmte Firmen aus Westeuropa ins osteuropäische Karpatenland ein, wie Nokia nach Klausenburg / Cluj, Stihl und Bosch nach Mühlbach / Sebes-Alba, Renault nach Südrumänien und viele andere.
Seit 2007 ist Rumänien Mitglied der Europäischen Union, so dass sich vor allem die jungen rumänischen Staatsbürger europaweit zu Hause fühlen. So wanderten in den letzten Jahren Millionen rumänischer Staatsbürger nach Mittel- und Westeuropa aus, vor allem um Arbeit und ihr Glück da in der Ferne zu finden.
Heute wäre es wünschenswert, wenn vor allem die jungen Bürger Rumäniens den Impuls zum Erlernen einer weiteren europäische Sprache erhalten würden, um ihre interkulturelle Kompetenz zu erweitern und so einen weiteren Grundstein für das Fundament ihres Wissens zu legen, eine Tatsache, die sich seit Jahrhunderten bewährt hat. Denn dann können sie selbstbewusst und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen – so wie im Mittelalter die Ansiedler aus Mittel- und Westeuropa.
Michael Schuller
(Titel und Zwischentitel von der Redaktion verfasst)
Foto: Ruinen der Burg Logne in Belgien bei Stavelot 1992, Region Malmedy-Spa, Auswanderungsort im Mittelalter nach Osteuropa. Foto: der Verfasser
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