Auch schwierige Zeiten überstanden
30.12.21
Rückblick auf das siebenbürgisch-sächsische Schulwesen (III)
In den ersten Nachkriegsjahren verlief die Umgestaltung des sächsischen Schulwesens auf die neuen Verhältnisse Rumäniens zunächst ohne nennenswerte staatliche Eingriffe. Die bestehenden Schulen konnten alle weitergeführt und sogar neue gegründet werden, und zwar je eine Höhere Handels- und Mädchenschule in Kronstadt (1919) und Hermannstadt (1921). Im Jahre 1923 gab es folgende der evangelischen Landeskirche unterstellte Schulen: in allen, das heißt 238 sächsischen Landgemeinden je eine Volksschule, in den Städten 12 Volks- und 8 Bürgerschulen, 5 Voll- und 2 Untergymnasien, 1 Oberrealschule, 1 Unterrealschule, 2 Handels- und zugleich Mädchenschulen, je ein Lehrer- und Lehrerinnenseminar und eine Kindergärtnerinnenbildungsanstalt. Hinzu kamen wie gezeigt, 1925 das Kronstädter Handels- und 1924 das Hermannstädter Mädchenlyzeum. Es bestanden des weiteren drei Ackerbauschulen und 10 Gewerbe- und Handelsschulen. Da das rumänische Schulsystem die Bürgerschulen nicht kannte, wurden diese nach 1925 entweder in Volksschulen umgewandelt oder in die Untergymnasien integriert. Die Eingliederung der nichtstaatlichen Schulen in das rumänische Unterrichtssystem regelte das Partikularschulgesetz von 1925 des berüchtigten Unterrichtsministers Anghelescu.
Der Besuch des Kindergartens war laut Volksschulgesetz für Kinder zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr verpflichtend. Die eigentliche Volksschule bestand aus einer vierklassigen Elementarunterstufe und einer dreiklassigen Oberstufe. Schulpflicht bestand vom 7. bis einschließlich 16. Lebensjahr. Für die Jugendlichen vom Lande war nach Abschluß der Volksschule bis zum 19.Lebensjahr der Besuch einer Fortbildungsschule in den Wintermonaten verpflichtend. In diesen Kursen sollte die „religiös-sittliche“ und „sozial-wirtschaftliche“ Ausbildung vervollständigt werden. Den Unterricht erteilten die Lehrer und Pfarrer. Beim Bakkalaureat forderte man wie auch sonst von den Schülern eine Überfülle von eingepauktem, auf Gedächtnis gestützten Lehrstoff, der mechanisch abgefragt und reproduziert werden mußte. Die Ablegung des Bakkalaureats gewährte die Berechtigung zum Hochschulstudium. Trotz der geschilderten staatlichen Bevormundung erlebte das sächsische Mittelschulwesen - Lyzeen, Seminare, Handelslyzeum - einen Aufschwung. In den Verband der evangelischen Landeskirche wurden ferner die Lyzeen von Bukarest und Tarutino (Bessarabien) aufgenommen. Der Coetus, der 1925 eine neue Satzung erhielt, erlebte desgleichen in den Zwischenkriegsjahren eine Glanzzeit. Neben den fünf Obergymnasien von Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg, Mediasch und Bistritz wurde der Coetus auch am Lehrerseminar von Hermannstadt, am Lehrerseminar von Schäßburg und der Kindergärtnerinnenbildungsanstalt von Kronstadt eingeführt. Die Sachsen besaßen demnach vor dem Zweiten Weltkrieg ein gut ausgebautes Volks-, Mittel- und Berufsschulwesen, das gerade angesichts des staatlichen Drucks neben seiner erzieherisch-bildenden Funktion auch seine völkischen Aufgaben nicht aus den Augen verlor. Großer Beliebtheit erfreuten sich die städtischen Schulfeste, so in Kronstadt das Honterus-, in Schäßburg das Skopations-, in Mediasch das St.-L.-Roth-, in Hermannstadt und Bistritz das Mai- oder Frühjahrsfest.
Die nationalsozialistische "Erneuerungsbewegung" der Deutschen Rumäniens wirkte sich auch auf das Schulwesen aus, da nicht wenige Lehrer und größere Gymnasialchüller sich von ihr angesprochen fühlten. Die bestehenden Schülerorganisationen, vor allem der Coetus, wurden aufgelöst und die Schüler in die "Deutsche Jugend" (DJ) aufgenommen. Auf dem Lande wurden die Bruder- und Schwesterschaften desgleichen in DJ-Organisationen umgewandelt. Die nationalsozialistisch organisierte Schule Südsiebenbürgens war nicht von langer Dauer. Der Frontwechsel Rumäniens vom 23. August 1944 fand in den Ferien statt. Der bisherige Schulträger - die "Deutsche Volksgruppe" - wurde als faschistische Organisation verboten. Glücklicherweise schaltete sich die evangelische Kirche ein, wobei auf politischer Ebene Hans Otto Roth und Rudolf Brandsch aktiv wurden. Ohne auf eine gesetzliche Rückgabe der Schulen zu warten, übernahm die Kirche die Obhut über alle sächsischen Schulen und ordnete im Herbst den Unterrichtsbeginn an.
Für die Siebenbürger Sachsen brachte die Schulreform von 1948 die größte Zäsur in ihrer Schulgeschichte, denn das Bildungswesen wurde erstmals der Obhut der evangelischen Kirche bzw. der sächsischen Gemeinschaft entzogen. Durch das Schulreformgesetz wurde der evangelischen Kirche nicht nur die Trägerschaft über das konfessionelle Schulwesen entzogen, sondern es wurde auch die Religion als Unterrichtsfach gestrichen. Für alle Schulen des Landes gab es einen einheitlichen Lehrplan und einheitliche Lehrbücher.Das Gesetz berücksichtigte jedoch die spezifischen Eigenheiten der „mitwohnenden Nationalitäten“ und gewährleistete ihnen den Unterricht in ihrer Muttersprache.Im Jahre 1955 erfolgte eine neue Schulreform. Alle wirtschaftlich-technischen Mittelschulen sowie die pädagogische Mittelschule in Schäßburg wurden aufgelöst, dafür aber ab 1956 die Zahl der theoretischen Mittelschulen, die nun wieder Lyzeen hießen, erheblich vergrößert. Für deutsche Schüler wurden 1977/78 neben den schon bestehenden Lyzeen an mehreren rumänischen Fachlyzeen deutschsprachige Abteilungen eingerichtet.
Nach der Wende vom Dezember 1989 wurde als erstes der kommunistische Balast des Lehrstoffs über Bord geworfen. Infolge der massiven Aussiedlung der Sachsen schrumpfte die Schülerzahl der Deutschen so stark, daß 1990 innerhalb weniger Monate viele Dorfschulen, vor allem die Klassen 5. bis 8. aufgegeben werden mußten. Als Notlösung richtete man Zentrumsschulen in größeren Ortschaften ein. Im Schuljahr 1998/1999 gab es 128 deutschsprachige Kindergartengruppen, 380 Klassen an Allgemeinschulen sowie 62 Lyzealklassen. Es fehlte und fehlt nicht mehr an Schülern, sondern an deutschen Schülern. Allgemein besteht auch Mangel an deutschen Lehrern, so daß unqualifiziertes Personal eingesetzt wurde, oder einige Fächer in rumänischer Sprache vorgetragen werden.
(Schluß)
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