Das sächsische Bauernhaus und seine Bewohner
18.05.17
Aus „Bilder aus dem sächsischen Bauernleben“ von Friedrich Fr. Fronius
Friedrich Fronius war ein bekannter Botaniker, Volkskundler und evangelischer Pfarrer in Arkeden und Agnetheln dessen Arbeiten bereits von seinen Zeitgenossen hoch geschätzt wurden. Der vorliegende Beitrag wurde dem um die Wende zum 20. Jahrhundert im Hermannstädter Verlag W. Krafft erschienenem „Deutsches Lesebuch. Fünfter Teil“ von Johann Wolff entnommen, nachdem er zunächst im Kalender „Sächsischer Hausfreund“ aufgenommen und später in dem Band „Bilder aus dem sächsischen Bauernleben in Siebenbürgen, ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte“ (Wien 1879) erschienen war. Fronius beschreibt anschaulich, detailliert und stellenweise auch humorvoll die Welt der sächsischen Bauern die er sehr gut kannte. Heute, fast eineinhalb Jahrhunderte später, gibt es diese Welt nicht mehr. Umso mehr sind Beschreibungen wie jene von Fronius lesenswert, vor allem für jene die mehr über den sächsischen Dorfalltag im 19. Jahrhundert wissen wollen. (R. Sudrigian)
Das sächsische Bauernhaus kehrt uns die schmale Gassenfront zu. Die breite Seite sieht in den Hof, damit der Bauer die Wirtschaftsgebäude und die Arbeit der Hausgenossen besser überschauen könne. Du fragst, wozu der gedeckte Vorsprung an der breiten Hofseite, auf den die kleine Treppe führt? Der Bauer nennt ihn Lîf (Laube) und schaut von ihr morgens nach Wind und Wetter, abends nach den Pferdedieben aus, wenn der zottige Hofhund die Nähe derselben bellend verkündet; die Bäuerin sitzt da mit den Nachbarinnen im Gespräch, wenn der Regen sie von der Steinbank vor der Gassentüre ins Trockne treibt, und die Bauerntochter pflegt auf der Brüstung derselben im Sommer ihre Blumen: Levkojen, Nelken, Reseden, Rosmarin und Pelargonien. Unter ihrem kleinen Dache hat der Bauernknabe seinen Taubenschlag.
Unter diesem Vorsprung befindet sich der Eingang zum Keller. Auf vierseitig behauenen eichenen Trämen (Gåner) liegen zweireihig die Weinfässer, gefüllt mit dem flüssigen Gold der siebenbürgischen Rebe. Der Beste liegt neben dem eichenen Bottich (Kampestbid), in dem die sächsische Bäuerin ein Kraut für den Winterbedarf einzusäuern versteht, wie es ganz Deutschland nicht aufzuweisen vermag. Die fein zerschnittenen Krautköpfe liefern im Winter den Grundbestandteil zu einer Nationalspeise, die mit viel Fleisch und Speck gekocht wird und die der Sachse Sächsisches Kraut nennt. Die Suppe, in der die Krautköpfe gesäuert wurden und Gech heißt, gibt, über dünngeschnittenes Brot gegossen und mit geschnittenem Speck belegt, eine häufige Speise für Arme. Seine eigentliche Bestimmung vermag der Keller nur im sogenannten Weinland zu erfüllen. Im Korn- und Haferland findest du allerlei prosaische Dinge: Hanf, Kartoffeln, zerlegte Wagen und Pflüge im Keller.
Der weite Raum, in den wir von der Laube aus eintreten, heißt das Haus oder das Vorhaus. Er trennt die Wohnung querüber in zwei Hälften. Von den zwei gegenüberstehenden Türen führt die eine ins vordere, große, die andere ins hintere, kleine Zimmer. Neben dem kleinen Zimmer befindet sich die Speckkammer (Båflischkummer). Weil diese Kammer in der Regel ansehnliche Quantitäten von Speck enthält, den der Bauer gerne und häufig isst, so werden die Sachsen von ihren Mitnationen, wenn diese übel gelaunt sind, was nicht selten vorkommt, Specksachsen genannt.
Das Vorhaus enthält nur wenige Einrichtungsstücke. Es dient zur Aufbewahrung von mancherlei Dingen, die man schnell zur Hand haben muss, weil man sie oft braucht. Da stehen gefüllte Weizensäcke, die der Bauer zur Mühle führen soll, oder Mehlsäcke, die er eben aus der Mühle geholt hat; denn zum Speck muss man viel Brot essen. Und die Bäuerin backt ein gutes und nahrhaftes Brot. Der sächsische Bauer ist unwillkürlich ein halber Vegetarianer. An frischem Fleisch hat er Mangel. Nicht alle Tage bricht ein Zugochs oder eine Milchkuh ein Bein, oder wird der Gemeindestier geschlachtet, dass der Ortshann mit dem Nachbarzeichen umsagen ließe, wie viel Pfund jeder ganze oder halbe Wirt kaufen müsse, damit der von Unglück betroffene Nachbar, oder das Gemeinwesen keinen schweren Schaden erleide.
Treten wir hinein in das große, der Gasse zugekehrte Zimmer! Die ganze Hauseinrichtung besteht aus weichem Holz, das mit bunten Blumen bemalt ist. Rechts von der Türe, in der unteren Ecke des Zimmers, steht die Bettstatt; darauf liegen der Strohsack, das Federbett und die Polster, deren Überzüge mit Fleiß und Sorgfalt ausgenäht sind. Darüber ist ausgespreitet die weiße, mit Börteln durchsetzte Bettdecke für den Sommer und die aus dicker Schafwolle gefertigte Loslenk für den Winter. Auf einer zweiten, selten benützten Bettstatt türmt die Bäuerin als Aussteuer für Söhne und Töchter Bett auf Bett, Polster auf Polster bis zur Zimmerdecke hinauf. Dieses Bett – der Stolz der Bäuerin – heißt das Himmelbett.
Dem Bett gegenüber, in der anderen Ecke des Zimmers steht der mächtige lutherische Ofen mit vorgestelltem Blechofen (Kalefôk). Den übrigen Raum an den Seitenwänden des Zimmers nehmen lange, buntbemalte Truhen ein, in denen Wäsche und Kleidungsstücke aufbewahrt werden. Schmuck findest du nicht viel beim sächsischen Bauern. Wo er aber als altes Erbgut vorhanden ist, da ist er merkwürdig und wertvoll. Von den schönen Gürteln aus vergoldetem Silber, die hie und da eine Braut trägt, ist so mancher so schön gearbeitet, dass ihn ein Kaiser oder König bei der Krönung als Wehrgehäng tragen könnte.
In der oberen, rechten Ecke des Zimmers steht der Tisch, ihm gegenüber ein Schubladkasten. Fast unmittelbar an der Zimmerdecke laufen an allen vier Wänden Rahmen herum, auf denen Teller von Zinn und Ton aufgestellt, und an deren Nägeln symmetrisch verteilte Krüge aufgehängt sind, die nur bei festlichen Gelegenheiten herabgenommen und in Gebrauch gesetzt werden. Nur in einer Ecke bleibt zwischen den Rahmen Platz für die Schwarzwälder Uhr; denn auf die große Turmuhr ist nicht immer sicherer Verlass.
In einem Wandschrank (Almerå) bewahrt der sächsische Bauer, was er an Schätzen der Literatur besitzt: Gesangbuch, Bibel, Kalender und die abgenützten Schulbücher. Als Zimmerschmuck benützt er gerne die Bildnisse von Luther und Melanchthon.
Das kleinere, hintere Zimmer ist fast ebenso eingerichtet wie das vordere. Hierher zieht sich der Bauer zurück, wenn er lebensmüde zu werden beginnt, und räumt dem verheirateten Sohne oder dem Schwiegersohne das vordere Zimmer ein.
So ist das Haus, in dem das sächsische Bauernkind geboren wird. Da die Taufe nach dem alten Kirchengesetz nicht lange hinausgeschoben werden darf, so beeilt sich der Vater des Kindes, bei dem wohlerwürdigen „Herrn Vater“, dem Pfarrer, die Taufe anzusuchen. Er tut es in wohleinstudierter Rede und bittet: er wolle das Kind in das Buch des Lebens eintragen und aus dem Heiden einen Christen machen. Nach der Taufe folgt der Taufenschmaus. Küche und Keller liefern das Beste, was sie enthalten, die bestaubten Krüge steigen herab von den Wänden und es beginnen einige jener freud- und lusterfüllten Stunden, deren sich der sächsische Bauer so wenige gönnt.
Doch lassen wir sie ruhig essen und trinken; sie leiden unberufene Gäste und Zuschauer nicht gerne. Begleiten wir den Neugebornen auf seiner Lebensbahn weiter. Er soll werden, was Vater und Großvater sind oder waren, ein rechtschaffener Bauer, auch ihm sollen Haus und Hof, Acker und Wiesen die Welt sein, in der er lebt.
Frühzeitig schon trägt ihn die Mutter mit in die Feldarbeit hinaus, damit er Wind und Wetter ertragen lerne. Hat ihm der erste Ausflug ins Freie vielleicht übel angeschlagen, so muss die Heilkünstlerin des Dorfes unter Zuhilfenahme ihrer Formeln oder kräftigen Heilmittel den Schaden wieder gut machen, denn der sachverständige Arzt wohnt weit in der Stadt.
Kommt der kleine Weltbürger nun erst auf die Beine, so sind Hof und Gasse die Welt, in der er sich spielend bewegt. Mit den Haustieren ist er schnell befreundet. Stößt ihn das mutwillige Zicklein auch manchmal um, rennt ihn das ungeschickte Kalb auch zuweilen nieder: er sagt‘s der Mutter nicht; und auch dem Vater verschweigt er‘s, dass er erst nur auf dem geduldigen Büffelkalb, später auch auf dem mutigen Füllen geritten ist. Bevor er noch mit den ersten Buchstaben des Alphabets vertraut geworden, kennt er alle Pferde, Ochsen, Büffel der Gemeinde und nennt sie bei ihrem Namen. Nimmt ihn die Mutter nicht mit ins Feld, so bleibt er daheim in der Obsorge des Großvaters oder der Großmutter. Aber unschwer entschlüpft er den Alten, nimmt die Gasse an den Hals und sucht seine Kameraden. Kein kostbares Spielzeug steht ihm zu Gebote; aber mit geringen Mitteln schafft er sich ein paradiesisch Vergnügen. Dass es dabei nicht ohne zerrissene Schuhe und Hosen, nicht ohne Streit und Prügel abgeht, dass auch Äpfel und Birnen gekostet werden, die nicht der Vater gepfropft hat, wird auch sonstwo in der Welt noch vorkommen.
Mit dem sechsten Jahre beginnen die Quellen mancher jugendlichen Lust zu versiegen. Die Schule nimmt den kleinen Rangen in ihre ernste Zucht und bringt ihm bis zum vollendeten fünfzehnten Jahre jenes Maß von Kenntnissen bei, die sein Beruf erfordert. Hat ihn die Schule entlassen, so nimmt ihn die Kirche durch die Konfirmation in die Gemeinschaft der Knechte auf.
Damit er sich nämlich frühe schon als dienendes Glied eines Ganzen fühlen lerne, muss er in die Bruderschaft eintreten. Es ist das eine festgeordnete, durch strenge Gesetze (Bruderschaftsartikel) geregelte Gemeinschaft, der alle der Schule entwachsenen Bauernburschen bis zu ihrer Verheiratung angehören und die durch freigewählte Beamte das gesamte Leben der Brüder außer dem Hause beaufsichtigen, Streitigkeiten schlichten, Recht sprechen und begangene Vergehen strafen lässt. Das Haupt des Bundes ist der Altknecht. Als Gehilfen stehen ihm zur Seite der Wortknecht, zwei Unteraltknechte, welche die ihnen zugewiesenen beiden Abteilungen der Brüder überwachen und als öffentliche Ankläger gegen Schuldige auftreten; dann die beiden Irtenknechte, die bei öffentlichen Lustbarkeiten und gemeinsamen Mählern für Speise und Trank sorgen, und der Schaffner, der die Stube oder Scheuer bestellt, in der der Tanz stattfindet, und die Aufsicht über das sittliche Betragen in Rocken- und Spielstuben zu führen hat.
Der gewöhnliche Austritt aus der Bruderschaft findet statt durch die Heirat. Der Katharinentag (25. November) ist der altherkömmliche Trauungstag. Der erste Schritt zur Heirat ist das Heischen oder Verlangen. Der Bursche nimmt einen nahen Verwandten als Brautwerber mit und bittet durch ihn um die Hand des Mädchens, das er sich ausersehen hat. Tut er keine Fehlbitte, so findet das Brautvertrinken statt, das heißt: die Sache wird für beide Teile durch einen Wißwein oder Almesch festgemacht. Vier Wochen später findet vor dem Pfarrer die Verlobung unter Ringwechsel in Gegenwart von zwei Zeugen statt. Nach dreimaligem Aufgebot kommt es zur Trauung und Hochzeit. Eine rechtschaffene Bauernhochzeit nimmt alles in allem acht Tage in Anspruch. Die Verwandtschaft ist mit Rat und Tat bei der Hand. An sehr vielen Orten bezeigt das ganze Dorf seine Teilnahme am Ehrentag des Hauses und Freund und Feind schicken Milch, Butter, Hühner, Eier, Speck als Beitrag zum Hochzeitsmahl. Zehn bis zwölf zu derselben Zeit gefeierte Hochzeiten bringen das ganze Dorf in freudige Bewegung, und der Lust und Freude ist kein Ende. Sind die Hochzeitsgäste nach vollzogener Trauung ins Hochzeitshaus zurückgekehrt, so findet das Gaben, die Brautbescherung, statt. Bald folgt nun das Hochzeitsmahl. Es besteht aus vier Gängen und die einzelnen Speisen werden in Zwischenräumen von je drei Stunden aufgetragen. Die Pausen werden mit Tanz und Trunk ausgefüllt. Erst der anbrechende Tag mahnt zum Aufbruch, doch nur, damit bald an das fröhliche Ende der fröhliche Anfang geknüpft werde.
(Fortsetzung folgt)
Sächsische Festtracht aus Stolzenburg
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