Den Mut haben, Gutes zu tun
29.04.21
Mehr Akzeptanz und Unterstützung für Autisten erwünscht
April ist der Monat der Aufklärung über Autismus. Der 2. April gilt seit 2007, wie von den Vereinten Nationen beschlossen, als Weltautismustag. Seit 13 Jahren finden zu diesem Anlass weltweit zahlreiche Veranstaltungen statt, um die Gesellschaft über diese tiefgreifende Entwicklungsstörung zu informieren und zu sensibilisieren, um mehr Akzeptanz, Toleranz und Inklusion autistischer Personen zu sichern. Diese Störungen können viele Formen annehmen, daher sind deren unterschiedliche Ausprägungen in einem "Spektrum" zusammengefasst. Am Jahrestag werden wichtige Gebäude und Monumente in strahlendem Blau, der internationalen Farbe des Autismus, angeleuchtet. Auch in Rumänien wird dieser Tag begangen. In Kronstadt erstrahlten dieses Jahr das Bürgermeisteramt und die Buchstaben auf der Zinne in Blau.
Die Hälfte sind Kinder
In den Verzeichnissen des Nationalen Sozial- und Kinderschutzamts findet man in Rumänien etwa 30.000 an Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) leidende Personen, davon sind rund die Hälfte Kinder. Die Zahlen entsprechen allerdings nicht der Wirklichkeit, zumal es keine genauen Studien oder Statistiken in diesem Sinne gibt. Meist werden Personen angemeldet, die auf ständige Begleitung angewiesen sind und als schwer behindert eingestuft werden. Autisten, die alleine zurecht kommen, werden oftmals nicht in die Aufzeichnungen staatlicher Anstalten eingetragen. Beim Sozial- und Kinderschutz-Amt des Kreises Kronstadt (DGASPCBV) sind 260 Kinder und fünfmal weniger Erwachsene, die an einer ASS leiden und als schwerbehindert gelten, angemeldet. Nur ein kleiner Teil davon sind Patienten aus Dörfern. Laut der Weltgesundheitsorganisation kommt eines von 60 Neugeborenen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zur Welt.
Die meisten dieser Leute leben isoliert von der Gesellschaft, teils wegen ihren Schwierigkeiten in der Kommunikation und im sozialen Umgang mit den Anderen, oder ihren stereotypen Verhaltensweisen, aber auch wegen der Ausgrenzung und Zurückweisung seitens der Mitmenschen. Für die Angehörigen ist das kein leichtes Leben.
Selbstimplikation aus der Not heraus
”Überall, wo ich mit meinen Kindern hingehe, werden wir regelrecht angestarrt, die Leute weichen uns aus. Unsere Freunde sind ebenfalls Familien mit autistischen oder behinderten Kindern” erzählt Gabriela Plopeanu, Mitgründerin der Föderation für Rechte und Ressourcen für Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen (FEDRA). Vor 25 Jahren kamen Plopeanus beiden Zwillingssöhne, Radu und Robert, zur Welt. Zwei Jahre später wurden sie mit Autismus diagnostiziert. Staatliche soziale Dienste wie Grundversorgung und Therapie für Erkrankte, oder Beratung für Angehörige gab es keine. Die Familie war auf sich selbst gestellt. Plopeanus Mann ließ sich scheiden. Seither kämpft sich die Mutter alleine durch. Sie informierte sich gründlich über Lösungen für die Verbesserung der Situation ihrer Kinder und gründete einen Verein zur Unterstützung von Personen mit ASS, Asperger, Down-Syndrom und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD), “Copiii de cristal” (Die Kristallkinder). 800 Personen erhielten hier bislang spezialisierte Unterstützung, derzeit werden 43 Kinder und 15 junge Leute und Erwachsene behandelt. Im Therapie- und Rehabilitationszentrum für Kinder (Aurel Vlaicu Nr. 26) und jenem für Erwachsene (Panselelorstr. 23) wird ABA-Therapie (Applied Behavior Analysis) eingesetzt, die derzeit als wirksamste Methode zur Behandlung dieser Störungen gilt, sowie Kinesiotherapie, Logopädie, oder Beschäftigungs- und sensorische Therapie. Bis vor Einbruch der Corona- Pandemie konnten die Patienten auch Schwimm- und tiergestützte Therapie nutzen. In Kronstadt beschäftigen sich mittlerweile mehrere Vereine um die schulische und soziale Integration von Kindern, die an ASS leiden.
“Therapie ist wesentlich”
“Therapie ist wesentlich” erklärt Plopeanu. “Denn so lernen sie sich in dieser Gesellschaft einigermaßen anzupassen, was sowohl ihnen wie auch den Angehörigen von Nutzen ist.” Nur die wenigsten erhalten Therapie. Die Kosten dafür werden überwiegend von den Familien getragen. “Im ländlichen Gebiet ist die Situation katastrophal. Viele leisten sich nicht einmal den Transport bis in die Stadt”. Lenu]a Oprea kommt seit 10 Jahren mit ihrem Sohn George ins Therapie- und Rehabilitationszentrum des Vereins und ist sehr zufrieden mit den Fortschritten ihres Kindes. Es leidet von klein auf an frühkindlichem Autismus, Zerebralparese und Entwicklungsverzögerung. “George ist nicht kommunikativ und kann schwer zusammenarbeiten, insbesondere in der Gesellschaft. Dank der Therapie kann ich verstehen, was er meint. Ich hoffe, dass er eines Tages einige Sätze sagen kann… Ich wünsche mir sehr, dass die Leute den Umgang mit behinderten Personen lernen und toleranter werden” sagt die Mutter.
Ihre größte Sorge ist die Zukunft ihres bereits 19-jährigen Sohnes. Erwachsene, die an ASS leiden, sind auf die Familie oder auf Nichtregierungsorganisationen angewiesen. Sobald sie niemand mehr pflegen kann, fallen sie in die Sorge staatlicher Psychiatrischen Krankenhäuser, wo allerdings keine spezialisierte angepasste Pflege und Therapie angeboten wird. Der Rücktschritt ist garantiert. Wie alle anderen Eltern hofft auch Oprea auf die Eröffnung eines Wohnheims, in dem George eines Tages ein eigenständiges Leben führen kann.
Wohnheim für autistische Erwachsene
Seit fast vier Jahren bemüht sich Gabriela Plopeanu ein vom Bürgermeisteramt Tartlau erhaltenes Gebäude in ein Wohnheim für junge Leute mit unterschiedlichen Störungen einzurichten, wo diese eigenständig wohnen sollen. In der Hoffnung einer Selbstfinanzierung des Heims sollen dessen Bewohner in geschützten Rahmen arbeiten. Unter anderem sollten sie die Farm des Landwirtschaftlichen Kollegs aus Tartlau pflegen, oder Kerzen herstellen. Es besteht auch der Plan, Tiere zu züchten und ein Restaurant zu eröffnen, die Touristen anziehen und somit Einkommen sichern. Außerdem sollen die Bewohner im Erdgeschoss des Gebäudes spezialisierte Unterstützung, Sozialassistenz und Therapie erhalten. Das ist der Plan.
“Ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde. Ich möchte sicher sein, dass meine Kinder auch in Zukunft zurechtkommen” erklärt Plopeanu. Für ihren Sohn Radu wäre dieses Heim die Rettung. Er hat die Kunstschule in Kronstadt absolviert, ist aber auf ständige Hilfe angewiesen. Sein Bruder Robert folgt zurzeit einem Masterstudium im Bereich Kybernetik, Statistik und Wirtschaftsinformatik an der „Babe{-Bolyai”-Universität. Er lebt seit mehreren Jahren alleine in Klausenburg.
Nur aus Spenden kommt Plopeanu allerdings nicht voran. Seit Jahren hofft die Frau, die als Projektmanagerin an der Transilvania-Universität arbeitet, auf EU-Mittel. Sie beklagt, dass weiterhin keine Unterstützung für Autisten von Seiten der Entscheidungsträger kommt, es gibt keine staatlichen Fonds für Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen. “Vielleicht wird die neue Stadtleitung sich für diese Personen einsetzen”, hofft sie. Bis dahin aber müssen Familien weiterhin selbständig mit ihren Kranken zurecht kommen.
Autismus und Pandemie
Die Coronavirus-Pandemie hat allen Menschen den Alltag durcheinandergewirbelt. Für Personen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) und für deren Angehörige waren die großen Änderungen sehr schlimm. Denn die fehlende Routine und der Mangel an gewohnten Strukturen und an Vorhersehbarkeit führt zu Stress, Krisen und Zusammenbrüchen. Viele erleben einen Rückschritt, fallen in alte Muster zurück, die sie durch Therapie bereits überwunden hatten.
Laura Capatana Juller
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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