Der Heimat stets verbunden geblieben
29.04.21
Erinnerungen an Anni Hedwig, geb. Haydo
Denk ich an Honigberg – denk ich an Anni.
Denk ich an Anni – denk ich an Honigberg.
Denk ich an Anni in Honigberg – denk ich an den Hof Thomas Hedwig, in der Tartlauer Gasse, Haus Nr. 431.
Ja, so schwirren die Gedanken um den Hof auf dem ich viele Sonntage meiner Kindheit bei der Cousine meines Vaters, Rosa Hedwig, geb. Krawatzky (Jg. 1899) verbracht habe. Und dann kam Anni! Am 26. September 1954 heiratet sie Misch, den jüngsten Sohn von Rosatante (wie wir sie nannten), meinen Cousin zweiten Grades, und war damit Teil der Familien Hedwig – Krawatzky.
Wir wohnten in Kronstadt, aber unsere Ellatante (Jg. 1893), die ältere Schwester meines Vaters, pflegte engen Kontakt zur Verwandtschaft in Honigberg. Schließlich war ihr Vater, Andreas Krawatzky (Jg. 1866), der Korbflechter in Kronstadt, in Honigberg geboren und war nur in die Lehre nach Kronstadt gegangen. Bewusst habe ich Anni beim Sippentreffen im Juni 1958 am Hedwig-Hof wahrgenommen. Ich war damals 15 Jahre alt und Anni mit Misch und seiner Mutter, der Rosatante, in der Familie Didi genannt, waren die „Hausleute“ wo das Fest stattfand. Anni hatte im Nebenverdienst, Sohlen aus Maisblätterzöpfen für Strohschuhe gemacht, deren Oberteile meine Mutter in Kronstadt nähte. In dieser Zeit war ich ein paar Mal als ‚Kurier‘ zwischen Kronstadt und Honigberg unterwegs. Bei Rosatante, Misch und Anni war ständig Betrieb. Im Stall gab es Kühe, Schweine, Hühner und das Pferd, das Misch für seine Postkutsche brauchte. Im Garten hinter der Scheune wuchsen Gemüse, Kartoffeln, manches Jahr auch Getreide und viele Blumen. Die Beerdigung von Rosatante 1974 war meine erste Beerdigung die ich am Dorf erlebt hatte. Ich war beeindruckt und überwältigt von der Tradition, der Ordnung und dem Respekt der dem Toten entgegengebracht wurde. Die Verabschiedung im Haus, die Ansprachen, die Sargträger, die Blasmusik, der Gang zum Friedhof, die Beisetzung in der Familiengruft! Der Zusammenhalt der Familie, der Nachbarschaft, ja der ganzen Gemeinde! So hatte ich es noch nie erlebt. Es folgten Jahre, in denen ich nicht mehr so oft in Honigberg war. Gymnasium, Berufsausbildung, Mädchen und Militär hielten mich davon ab. Bei mir folgten Beruf, die Familiengründung und Auswanderung. Nach der Wende aber, ab 1990, war ich wieder oft bei Misch und Anni, waren sie doch jetzt die einzigen Verwandten in Honigberg, zu denen wir engeren Kontakt pflegten. Auch war das Haus Anni-Misch sehr offen und gastfreundlich eingestellt. Mit einem Hilfstransport konnte ich ihnen auch ihren ersten Farbfernseher bringen, für den Misch die ‚Riesenschüssel‘ in den Hof gestellt hatte, die bis heute guten Empfang leistet. 1990 / 1991 war auch die Zeit, als sich die schwerwiegende Frage stellte „Bleiben oder gehen?“. Wir hatten lange und ernst darüber gesprochen. Ich glaube, Anni und Misch hatten richtig entschieden – sie sind geblieben. Ganz Deutschland hätte ihnen den Hof nicht geben können, den der Vorfahre Thomas Hedwig 1789 gebaut und wieder ein Thomas Hedwig 1897 mit dem Stall erweitert hatte. Den Hof, auf dem Misch als siebtes Kind seiner Eltern geboren wurde, auf dem Anni und Misch geheiratet hatten, sein Vater und seine Mutter gestorben waren, und von dem aus Beide jeden Sonntag in die Kirche gegangen waren. Misch viele Jahre als Kirchenkurator! Misch im Kirchenmantel, Anni in der Frauentracht! Sie waren ein wunderschönes Burzenländer Paar! Dann aber kam das Jahr 1995. Im Januar hatte Anni ihren Mann, die Stütze ihres Lebens verloren. Ich war kurz darauf zu Besuch. Es war fast nicht anzuschauen, wie Anni litt, wie hilflos sie sich fühlte, wie ‚allein gelassen‘! Die Töchter mit ihren Familien waren schon in Deutschland. Anni, in ihrer liebenswerten und hilfsbereiten Art, hatte jetzt auch Hilfe nötig. Nachbarn, Verwandte und Bekannte halfen wie und wo sie konnten. Anni hatte noch eine Kuh, ein Schwein und Hühner. Mit der Milch von der Kuh erwirtschaftete sie sich noch ein Taschengeld. Mit den Jahren musste sie sich auch von Kuh und Schwein trennen. Es blieben ihr die Hühner und eine Katze. Es war köstlich anzuschauen, wie fachmännisch Anni mit den Hühnern umging, wie sie sie beim Namen rief, wie sie auf jede achtete, dass sie ja nur genügend Futter bekam. Und dann waren auch zwei Gockel. Ein älterer, der Chef, und ein jüngerer, der eingelernt werden sollte. Der Ältere duldete den Jüngeren aber nicht in seiner Nähe, und verjagte ihn andauernd. Anni fand auch für ihn tröstende Worte und warf ihm sein Futter ein bisschen abseits auf den Boden, so dass er in Ruhe fressen konnte. Bei einem meiner Besuche, hatte Anni im Garten zu tun. Ich ging mit. Als wir aus der Scheune traten, eröffnete sich uns ein Panorama von den Bodsauer Bergen im Osten, über Hohenstein und Schuller im Süden bis zum Zeidner Berg und Königstein im Westen. Ich war überwältigt und begann zu jammern und zu weinen. Das war für mich ‚Heimat!‘. Da sagte mir Anni ganz nüchtern: „ Brauchst nicht jammern, Du bist weggegangen!“ – und schon war ich geheilt.
Mit Anni habe ich auch oft über unsere Verwandten im Dorf gesprochen. Ich kannte sie fast nicht, und wenn dann nur dem Namen nach. Bei einem Besuch in Honigberg sind wir durchs Dorf gegangen. Ich mit Fotoapparat und Notizblock, und Anni hat mir die Häuser gezeigt, in denen der Name Krawatzky oder Angeheiratete gewohnt haben. Es war beeindruckend! Alles stattliche Häuser, große Tore die auf große Höfe schließen ließen. Den Abschluss machten wir am Friedhof. Da konnte ich Krawatzky(i) Gräber und die Hedwiggruft sehen. Ein anderes Mal, hat mir Anni alle Namen der Personen vom Sippenfoto von 1958 aufgeschlüsselt, mit Hausnummer. und dem Bezug zu Krawatzky oder Hedwig. Damals waren es 56 Personen, Erwachsene und Kinder. Auf heutigen Stand gebracht, sind wir bei etwa 171 Personen in der Sippe. Anni muss noch als Köchin erwähnt werden. Wie oft hatte ich Anni gebeten mir zu zeigen, wie sie den wunderbaren Schweinebraten, Rinderbraten, das gefüllte Huhn, die Hochzeitssuppe macht. Sie tat es auch geduldig, aber bei mir blieb nur der Geschmack hängen. Jedes Mal stand ich ‚geblendet‘ vom Tisch auf und wusste wieder nicht wie sie es gemacht hatte. Auch eine gute Medizinfrau war Anni. Sanddorn, Schafgarbe, Brennessel, Lindenblüten usw., alle kannte sie und wusste sie für sich und andere einzusetzen. Den Kalten Brunnen mit den Schachbretttulpen hat sie mir gezeigt und erzählt wie es früher war. Ich war stolz, meine Wurzeln in Honigberg zu haben. Wir waren zusammen im Sonntagsgottesdienst, meinem Sohn und meinem Enkel aus der Karibik hatte sie bei ihrem Besuch, zusammen mit Anneliese, eine Burg– und Kirchenführung gemacht. Der Junge (12) war begeistert, in den alten Mauern und Holztreppen herumsteigen zu können. Anni war für jeden und immer da. Wenn man in Deutschland davon sprach, dass unsere Landsleute in Siebenbürgen vereinsamen, musste ich immer auch an Anni denken. Es war ihr nicht leicht, alleine auf dem Hof zu leben, der immer voller Leben war, doch klagen habe ich sie nie gehört. Bei einem meiner Besuche fuhren wir gemeinsam nach Kronstadt zum Bartholomäusfest in der Bartholomäer Kirche. Anschließend fuhren wir nach Tartlau, wo in der Kirche ein Konzert der Musica Barcensis geboten wurde. Es hatte uns viel Freude bereitet, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihren 80-ten Geburtstag konnte sie im Kreise ihrer Familie und Freunde im Vereinsheim in Böblingen feiern. Es war eine beeindruckende Feier. Annis Schicksal und Situation hatte mich dazu inspiriert, ihr die „Siebenbürgische Elegie“ von Adolf Meschendörfer vorzutragen. Anni zeigte sich ergriffen. Alle sind wir dankbar, dass Anni nicht alleine war, als sie unser Herr zu sich genommen hat. Und ich bin Anneliese und Christa besonders dankbar, dass ich mich von Anni nach Honigberger Brauch am Totenbett verabschieden durfte. Wir werden sie und den Hof Tartlauer Gasse Nr. 431 immer in lieber Erinnerung behalten.
Johannes Kravatzky, Neckarsulm
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