Der Nestor der rumänienungarischen Historiker
19.12.08
Erinnerungen an Professor Dr. Jakó Zsigmond (2. September 1916 - 26. Oktober 2008)
Am 31. Oktober 2008 wurde im Klausenburger „Hasengarten"-Friedhof eine bedeutende Persönlichkeit der siebenbürgischen Kultur zu Grabe getragen - der Historiker Prof. Dr. Jakó Zsigmond, der Nestor der rumänienungarischen Historiker, der Dutzende von Studentenjahrgängen mitgeprägt hat und viele Mitarbeiter und Nachfolger ausgebildet hat, so daß man von einer „Jakó-Schule" sprechen kann.
Kurz einige Eckdaten seines Lebens: Jakó Zsigmond wurde geboren am 2. September 1916 in Ro{iori - Biharfelegyhaza im Kreis Bihor, Studium der Geschichte in Budapest, wo er 1940 den Doktortitel erwarb. Er arbeitete zuerst im Ungarischen Landesarchiv in Budapest und ließ sich 1941 in Klausenburg nieder, wo er zuerst Archivar und dann Direktor am Archiv des Siebenbürgischen Nationalmuseums wurde. Seit 1942 war er Hochschullehrer und seit 1945 Professor an der Bolyai-Universität und nachher an der Babe{-Bolyai Universität bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1981. Seit 1949 wirkte er auch am Geschichteinstitut der Rumänischen Akademie in Klausenburg. Er war Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und seit 1970 Mitglied der Akademie für Politische und Gesellschaftswissenschaften, seit 1996 Ehrenmitglied der Rumänischen Akademie.
Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen wollen wir nur ganz wenige erwähnen: das Album für lateinische mittelalterliche Paläographie (alte Schrift), die Mitarbeit an der Reihe „Documente privind istoria României, Seria C - Transilvania", wichtige Schriften zur Papier-, Buchdruck- und Archivgeschichte. Seine bedeutendsten Werke der letzten Jahrzehnte sind die Frucht jahrelanger Arbeit und haben Modellcharakter für die Herausgabe mittelalterlicher Urkunden. Es sind dies erstens die Regesten der Protokolle des Kolozsmonostorer Konvents - des einen Landesnotariats im mittelalterlichen Siebenbürgen - in zwei umfangreichen Bänden die Jahre 1289 - 1556 umfassend.
Das von Professor Dr. Jakó begonnene Hauptwerk ist jedoch der „Codex Diplomaticus Transsylvaniae" oder „Erdélyi okmánytár", das Siebenbürgische Urkundenbuch.
Der erste Band für die Jahre 1203 - 1300 erschien im Jahre 1998 (besprochen in KR Nr. 32/1998), der zweite Band für die Jahre 1301 - 1330 erschien im Jahre 2004. Gegenwärtig wird der Index des dritten Bandes ausgearbeitet, damit das Buch am Jahresende erscheinen kann.
Ich hatte das besondere Glück und Privilegium, Professor Jakó schon als Student kennenzulernen und er war mir mehr als ein halbes Jahrhundert lang ein besonderer Förderer und väterlicher Freund. Die Geschichte unserer Beziehung könnte wohl eine Buchpublikation ausmachen, ich möchte hier aber nur einige wenige persönliche Erinnerungen bekannt machen, die Streiflichter auf diese besondere Persönlichkeit werfen.
Meine erste Erinnerung an Professor Jakó ist im Zusammenhang mit der Restaurierung der Klausenburger Michaelskirche, die damals - 1956 - in vollem Gange war. Nachdem die Kronstädter Schwarze Kirche meine erste große Liebe war, deretwegen ich mein Geschichtsstudium in Klausenburg begonnen hatte, machte ich freiwillig da mit, um mich für künftige Restaurierungsarbeiten an der Schwarzen Kirche vorzubereiten. Dabei half ich auch dem Maler Dr. Darkó László bei der Freilegung von mittelalterlichen Wandmalereien. Daneben befand sich auch eine lateinische Inschrift und dafür bot ich dem Maler einen Entzifferungsvorschlag an und hörte später, daß Professor Jakó ihn gefragt habe, warum sich der Maler nicht an ihn sondern an einen jungen Studenten gewandt hätte. Aber der Professor bestätigte im Wesentlichen meine Lesung.
Seit Oktober 1956 hatte ich dann Zutritt zum Archiv der Akademie in Klausenburg in der Wolfgasse Nr. 8, und das war eine der entscheidenden Grundlagen für meine Ausbildung als Historiker. Denn hier gab es die von Professor Jakó angelegte Freihandbibliothek, in der die meisten die Geschichte Siebenbürgens betreffenden Publikationen zu finden waren. In den anderen Bibliotheken mußte man erst in Zettelkatalogen suchen, dann Bestellzettel ausfüllen und warten, während hier in zwei großen Zimmern die Bücher thematisch und übersichtlich geordnet ohne weitere Formalitäten gleich zugänglich waren. Da waren alle Urkundeneditionen, geographische Handbücher und Monographien sowie Biographien zu finden, es gab eine heraldische und genealeogische Abteilung. Ebenso gab es da Enzyklopädien und Handbücher der historischen Hilfswissenschaften sowie Wörterbücher. Im zweiten Raum waren dann die vollständigen Reihen der einschlägigen periodischen Publikationen in ungarischer, deutscher und rumänischer Sprache zu finden. Es war eine Lust in dieser einzigartigen Bibliothek zu arbeiten, und die habe ich in fünf Studienjahren reichlich ausgekostet. So lernte ich schon früh die wichtigste historische Literatur über Siebenbürgen kennen und das verdanke ich eben der großartigen Freihandbibliothek, die Professor Jakó angelegt hatte. In dieser Bibliothek arbeitete und verkehrte die Elite der ungarischen Historiker aus Klausenburg, die ich so näher kennenlernen durfte: Kelemen Lajos, der pensionierte Generaldirektor des Archivs, dann Szabó T. Attila, der Verfasser des siebenbürgischen historischen Wörterbuchs, die Historiker Pataki József, Csetri Elek, Benkö Samu und seine Frau, die Kunsthistorikerin Benkö Nagy Margit und viele andere. Unvergessen sei auch der Historiker und Paläograph Dani János, der die Aufsicht über das Archiv hatte und - selbst ein Jakó-Schüler - mein erster Lehrmeister in Archivarbeiten und Entziffern und Übesetzen von Urkundentexten war. Im letzten Zimmer der Archivbüroräume arbeitete Akademiemitglied Professor David Prodan, der auch perfekt ungarisch sprach.
In einem Jahr, etwa Mitte Januar war es Professor Jakó, der mir als Student zuerst „Glückliches Neujahr!" wünschte, weil wir uns das erste Mal im Jahre sahen. Ich hatte gedacht, das Jahr sei schon zu weit fortgeschritten und hatte es deshalb unterlassen.
Nachdem ich mein Studium beendet hatte, war ich ein halbes Jahr am Klausenburger Staatsarchiv angestellt und hatte dort auch für die Lesesaalaufsicht zu sorgen.
Professor Jakó hielt mit den Studenten seine Paläographiestunden mit Originalurkunden dort ab, denn damals waren Fotokopien teuer und Xerokopien noch unbekannt. Während ihrer praktischen Stunden half ich den Studenten beim Entziffern der Schriftstücke und, dank meiner Kenntnisse der ungarischen Paläographie, war ich, nach Professor Jakó, die zweite Instanz, bei der sie sich Rat holen konnten. Aber bei der schriftlichen Paläographie-Prüfung sagte er mir „semmiféle konzultació!" (keine Konsultation oder Hilfe!), und ich zog mich ins vordere Zimmer zurück, so daß die Studenten auf ihre eigenen Kenntnisse angewiesen waren.
Als wir im Jahre 1966 die Wasserzeichen-Forschungen mit meinem Freund Gebhard Blücher (1934 - 1968) begannen, unterstützte er uns tatkräftig, vor allem dadurch, daß wir in seiner Zweitwohnung in der Mikó-Gasse wohnen konnten. Da waren die Wände bis oben hinauf voll mit Bücherregalen mit Urkundenpublikationen und historischen Zeitschriften. Oben auf den Büchern waren Kartons gelegt, die als Staubfänger dienten und die Bücher schützten.
Von Professor Jakó habe ich auch die Gewohnheit übernommen, in meine Bücher den Besitzernamen direkt auf die Rückseite des Titelblattes zu schreiben oder auf den vorderen inneren Buchdeckel.
Als im Jahre 1966 die neue Doktoratsordnung eingeführt wurde, war es Professor Jakó, der mir sagte „feltétlenül!", also ich solle mich unbedingt zum Doktorat einschreiben. Ich habe das dann auch getan und in der Zeit in seiner Zweitwohnung ein wunderbares Quartier gehabt, sowohl vor der Aufnahmeprüfung, als auch während der Prüfungen und Referate.Leider habe ich Professor Jakó dann enttäuscht, indem ich die Schlußprüfung nicht ablegte, aber das ist ein anderes Kapitel.
Der Briefwechsel mit Professor Jakó begann schon früh und in seinen Briefen schrieb er mich immer als „Herr Kollege" an, was ich als eine große Ehre und Auszeichnung empfand. Ich weiß nicht mehr, wann mir Professor Jakó den Vorschlag machte, ich solle ihm deutsch schreiben und und er mir ungarisch antworten. So hielt er es schon seit Jahrzehnten mit seinem Hermannstädter Freund Dr. Gustav Gündisch, dem Herausgeber des „Urkundenbuchs zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen", so daß jeder in seiner eigenen Muttersprache schrieb, die der andere zwar passiv gut kannte, aber aktiv doch weniger gut beherrschte. Daraufhin antwortete ich dem Professor, daß ich ihm gerne weiter ungarisch schreiben wolle, damit ich meine Fertigkeit im Ungarischen bewahre oder noch verbessere, denn ich hatte damals sonst keine anderen Korrespondenten in dieser Sprache. Professor Jakó hatte Verständnis für meinen Beweggrund und hat jahrzehntelang meine unvollkommenen ungarischen Briefe gelesen - sie aber nie kritisiert - und vielleicht manchmal über die Fehler seines jungen Korrespondenten gelächelt, sie aber immer verstanden und sehr schön darauf geantwortet.
Er schickte mir seine Arbeiten zu, die oft methodologischen Inhalts waren, und ich schickte ihm auch meine Arbeiten zu, die er jedesmal lobend und ermunternd kommentierte. Sein schönstes Urteil war über „Caietele Corona 5" - den Versuch einer
selektiven und subjektiven Stadtgeschichte von Kronstadt. Er sprach dieser Arbeit Vorbildcharakter für andere Städte zu, was mich natürlich sehr freute.
Zu seinem 92. Geburtstag am 2. September 2008 schickte ich ihm meine Artikel über die Persönlichkeiten des Burzenländer Sächsischen Museums aus KR Nr. 29 + 30/2008.
Daraufhin schrieb er mir schon am 4. September einen schönen Dankesbrief, in dem er auch schrieb, daß er und seine Frau seit Ostern krank waren und er operiert wurde, nun aber schon halbtags wieder arbeite. Dann berichtete er mir über die Beendigung des dritten Bandes des Siebenbürgischen Urkundenbuches, der die Jahre 1340 - 1359 umfaßt, und der zum 150-Jahre-Jubiläum des Siebenbürgischen Museums in Klausenburg im Jahre 2009 erscheinen soll. Besonders lobte er, daß ich über den Heraldiker Sebestyén József so schön geschrieben hatte und bat mich abschießend, auch ihm ein gutes Gedenken zu bewahren. Der Schluß des Briefes lautet: „Herzlich grüßt Ihr alter aber wahrer Freund Jakó Zsigmond". So hatte er mir noch nie geschrieben. Ich war so gerührt, daß ich gleich beschloß, einen Artikel über meine Erinnerungen an ihn zu schreiben, den er noch zu Lebzeiten lesen und sich daran freuen sollte und den ich ihm spätestens als Weihnachtsgeschenk schicken wollte. Aber aus Gottes unwandelbarem Ratschluß - wie es in dem Partezettel heißt - sollte es nicht so sein. So erfülle ich gerne meine Dankespflicht einem meiner großen Wohltäter und Lehrmeister gegenüber, indem ich diese Erinnerungen veröffentliche als einer seiner vielen dankbaren Schüler, als den ich mich betrachte, auch wenn ich nicht unmittelbar Unterrichtsstunden mit ihm hatte.
Professor Jakó hat durch sein jahrzehntelanges beharrliches Wirken gute Grundlagen geschaffen dafür, daß sich die siebenbürgische Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung gut weiter entwickeln kann, seine Tätigkeit auf diesem Gebiet ist vorbildhaft gewesen und ihre Wirkung wird noch lange andauern.
Gernot Nussbächer.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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