Die deutsche Komponente einer lokalen Identität
08.08.19
Buchvorstellungen und Diskussion zur rumäniendeutschen Gegenwart
Zwei Neuerscheinungen die im Zusammenhang mit den Deutschen in Rumänien stehen, boten den Anlass zu einer Diskussionsrunde einzuladen die am 23. Juli beim Deutschen Ortsforum Kronstadt im Rahmen der Deutschen Vortragsreihe abgehalten wurde. Es handelt sich um den Sammelband „Un veac framântat. Germanii din România dupa 1918“ („Ein bewegtes Jahrhundert. Die Deutschen in Rumänien nach 1918“) mit Dr. Ottmar Trasca und Dr. Remus Gabriel Anghel als Herausgeber sowie um „Reinventând germanitatea“ („Die Neuerfindung der Germanität“) von Ovidiu Oltean, Remus Gabriel Anghel und Christian Schuster.
Thomas Sindilariu, Vorsitzender des Kronstädter Ortsforum, hatte zu dieser Begegnung Remus Gabriel Anghel und Ovidiu Oltean eingeladen. Ausgangspunkt des Gesprächs war die Frage die der Historiker Sindilariu in den Raum stellte: Welches sind die Gründe, die Erwartungen die rumänische Eltern motivieren, ihre Kinder in deutsche Schulen einzuschreiben, sich am deutschen Kulturleben zu beteiligen oder das evangelische Kirchenangebot wahrzunehmen? Er hatte die Veranstaltung unter einen provokativen Titel gestellt: „In eine deutsche Zukunft ohne Deutsche?“ ausgehend von der rumäniendeutschen Gegenwart. Selbst diese Gegenwart sei nicht so selbstverständlich, gab es doch Stimmen, die nach Dezember 1989 von einem Ende, von einem Schlusskapitel zum Beispiel der Geschichte der Siebenbürger Sachsen in ihrer Heimat sprachen.
Dr. Anghel, Soziologe an dem Institut für Minderheitenforschung der Klausenburger Babes-Bolyai- Universität, sprach kurz über den Band „Die Neuerfindung der Germanität“ und nannte einige aussagekräftige Beispiele die für die Bedeutung und die Auswirkungen einer deutsch geprägten kulturellen Präsenz sprechen. So habe er in Mühlbach/Sebes ältere Rumänen gesehen, die beim Klang deutscher Blasmusik Tränen in den Augen hatten. Es ging nicht nur um die typische Nostalgie für vergangene Zeiten; für diese Personen gehörten deutsche Blasmusik, deutsche Traditionen, jenseits der ethnischen Herkunft, zur lokalen kulturellen und auch sozialen Identität ihres Heimatortes. Eine deutsche Präsenz sei erwünscht. Ovidiu Oltean konnte anhand des Paradebeispiels Hermannstadt argumentieren, dass letztendlich eine deutsche Präsenz von Wirtschaft bis Kulturszene, von Schule bis Jugend-Freizeitangebot und nicht zuletzt durch Beteiligung des Deutschen Forums aus führender Stellung in der Lokalpolitik sich positiv für die gesamte Gemeinschaft auswirken. Es entstehen Netzwerke deren Mitglieder sich der deutschen Kultur und allem was hinzu kommt, zugehörig fühlen, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich als ethnische Minderheit betrachten.
Die beiden Gäste verwiesen auf den globalen Kontext in dem das Deutschtum/die Germanität sich in Rumänien neu definiert. In einer Welt die sich öffnet, die sehr mobil ist und wo die Grenzen zunehmend verschwinden, bekommt der Begriff ethnische Identität neue Werte und gilt immer weniger als geschlossene Gemeinschaft. Identität kann heute auch bedeuten als Individuum Kompetenzen zu besitzen (z.B. Beherrschung der deutschen Sprache, Kenntnis der Landeskunde, Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis) die diese Person dazu bewegen, sich nicht ausschließlich über nationale Zugehörigkeit oder Herkunftsgebiet zu definieren. Ins Gespräch gebracht wurden auch andere Fragen wie Doppel-Identität oder die Lebensfähigkeit von institutionellen Strukturen die ausschlaggebend für die Zukunft einer ethnischen Minderheit sind (z.B. Schule, Kirche, Kulturinstitutionen). Nicht genau definieren wollten und konnten die beiden Soziologen die zeitliche Abgrenzung ab der man nicht von einer zeitweiligen sondern von einer endgültigen Migration sprechen kann.
Interessant waren auch die persönlichen Erfahrungen von denen Anghel und Oltean aus ihrer Arbeit berichteten. Diese setzt nicht nur das Ausfüllen von Umfragebogen voraus oder das Sammeln und Auswerten von Interviews sondern erfordert bei komplexen Themen auch vor Ort eine längere Zeit zu verbringen.
„In eine deutsche Zukunft ohne Deutsche?“ Die Frage wollte zur Diskussion animieren, nicht erschrecken. Nach der Gesprächsrunde und wohl auch nach der Lektüre von „Reinventând Germanitatea“ das, wie auch der andere Band zum Verkauf vorlag, hatte man auch Gründe um mit etwas weniger Zweifel und Vorurteile in die Zukunft zu blicken.
Ralf Sudrigian
Dr. Remus Gabriel Anghel, Thomas Sindilariu und Ovidiu Oltean (von links) im Festsaal des Kronstädter Deutschen Forums. Foto: der Verfasser
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