Die Deutschen Siebenbürgens – ein konstitutiver Teil des modernen Rumäniens (I)
14.02.19
Die Mediascher Entschließung der Sächsischen Nationalversammlung vom 9. Januar 1919 – ihre unmittelbare und ihre langfristige Bedeutung
von Thomas Sindilariu
Vor 100 Jahren fand in Mediasch die sächsische Nationalversammlung statt. Die Entschließung der ca. 145 Vertreter fiel einstimmig aus für den Anschluss des siebenbürgisch-sächsischen Volkes an den Vereinigungswunsch mit dem noch außerkarpatischen Rumänien, den die Rumänen Siebenbürgens am 1. Dezember 1918 in Karlsburg/Alba Iulia kundgetan hatten. Der 8. Januar 1919 ist von zentraler Bedeutung für unsere Geschichte aber auch für unsere Gegenwart, in der wir als Minderheit von obskur wirkenden Kräften in einem Teil der Fernsehöffentlichkeit zunehmend angefeindet werden. Die letzten beiden Monate des Jahres 1918 waren von einer enormen Beschleunigung der Ereignisse gekennzeichnet – vergleichbar mit den sich überstürzenden Ereignissen zum Jahresende 1989.
Am 13. November 1918 hatte der habsburgische König Karl IV. auf die Ausübung der Staatsgeschäfte in der ungarischen Reichshälfte verzichtet, Ungarn wurde Republik und war auch schon im Auseinanderbrechen begriffen. Über der gesamten Entwicklung schwebte das Schlagwort des Selbstbestimmungsrechtes der Völker im Sinne des 14-Punkte-Programms des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Aber auch die junge Sowjetunion bediente sich bereits des neuen Schlagwortes der Selbstbestimmung, um Einfluss über ihre westlichen Nachbarn zu gewinnen, konnte ihn aber zum damaligen Zeitpunkt militärisch noch nicht untermauern.
In Kronstadt begann man bereits ab dem 1. November angesichts des implodierenden bisherigen Staatsgefüges sich zu organisieren und zwar unter Einbeziehung aller drei Völker sowie der Sozialisten. Die existente organisierte Vertretung der deutschen Bevölkerung in Kronstadt – heute würden wir sie „das Forum“ nennen – stellte in den Folgetagen eine Sächsische Garde auf, die als Bürgerwehr in brüderlicher Zusammenarbeit mit den anderen Garden die öffentliche Verwaltung beim Schutz der Bevölkerung und der Wahrung der Sicherheit unterstützen sollte. Man befürchtete massenweise heimkehrende, undisziplinierte Soldatenhaufen, die zu revolutionären Umstürzen nach sowjetischem Vorbild neigen könnten.
Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt gab die Kronstädter Führung der deutschen Bevölkerung die Losung aus, sich nicht in ungarische Truppenverbände rekrutieren zu lassen. Auf zentraler Ebene zog man am 22. November 1918 nach, nämlich im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt mit der Veröffentlichung eines entsprechenden Aufrufs des Zentralausschusses, der obersten beschlussfassenden Vertretung der Siebenbürger Sachsen.
Der Bruch mit dem bisherigen Staat ist damit in überaus deutlicher Weise und auch frühzeitig vollzogen worden. Der Entschluss dazu trug auch alle Merkmale der Selbstbestimmung, die von der politischen Vertretung der Siebenbürger Sachsen für das eigene Volk wahrgenommen wurde. Der Selbstbestimmungswille des sächsischen Volkes zieht sich wie ein roter Faden durch die sich nun anschließenden Schritte und ist, das kann man in der Rückschau zweifelsfrei feststellen, mit großer Weitsicht und hohem Verantwortungsbewusstsein verwirklicht worden.
Die Karlsburger Beschlüsse vom 1. Dezember 1918 deklarierten die Vereinigung der Rumänen aus Siebenbürgen, dem Banat und Ungarn mit Rumänien und garantierten in demselben Atemzug den „mitwohnenden Völkern“ weitgehende Möglichkeiten zur nationalen Selbstverwirklichung im neuen Staat, was Sprachgebrauch, Unterricht, Organisation und Konfession sowie die dazu nötige Freiheit und Sicherheit anbelangte.
Auf diese Vorlage war die politische Vertretung der Siebenbürger Sachsen bestrebt, recht bald eine möglichst gute Antwort zu geben. Alle Voraussetzungen dafür waren eingetreten: Die Stimmung hatte sich in der siebenbürgisch-sächsischen Öffentlichkeit im Laufe des Monats November immer mehr zugunsten Rumäniens geneigt. Es wurde bereits vor dem 1. Dezember 1918 eine unumkehrbar positive prorumänische Haltung eingenommen. Am 28. November fanden vielversprechende rumänisch-sächsische Verhandlungen statt, möglicherweise wurde auch eine gemeinsame Vereinigungserklärung in Erwägung gezogen. Die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes deutsches Gemeinschaftsleben frei vom bisherigen Assimilierungsdruck und aufgrund einer wahren nachbarschaftlichen Normalität mit dem neuen Staatsvolk beflügelte, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die zu gebende Antwort sollte eine für beide Seiten möglichst gute und konkrete sein, was auch etwas Zeit in Anspruch nahm: Ein etwa 100-seitiges Memorandum wurde ausgearbeitet, das alle genannten Kardinalpunkte der Karlsburger Beschlüsse aufgriff und aus Sicht der deutschen Bevölkerung ausarbeitete. Das Memorandum wurde am Neujahrstag des Jahres 1919 zusammen mit der Zustimmung zur Vereinigung des Deutsch-sächsischen Nationalrats vom 30. Dezember 1918 an den Leitenden Regierungsrat (Consiliul Dirigent), der rumänischen provisorischen zivilen Regierung für Siebenbürgen, übergeben und sollte eigentlich in eingehenden Verhandlungen zur beiderseitig anerkannten und festgeschriebenen Grundlage des Zusammenlebens in eine finale Form gebracht werden.
Die Beschleunigung der Ereignisse schritt jedoch weiter voran: Am 7. Dezember rückte das rumänische Heer bereits in Kronstadt ein. Am 26. Dezember 1918 wurden die Karlsburger Beschlüsse durch König Ferdinand als rumänisches Gesetz angenommen. In Paris wurde darauf gedrängt, die Friedenskonferenz bereits am 18. Januar 1919 im Spiegelsaal von Versailles beginnen zu lassen, um den 18. Januar als Stichtag der deutschen Reichsgründung und der Proklamation von Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser in ebendemselben Spiegelsaal im Jahre 1871 nicht zu verpassen.
An eingehende Verhandlung des eingereichten Memorandums war also nicht mehr zu denken. Das wurde in konstruktiv-einvernehmlicher Weise im weiteren Verlauf des Jahres 1919 nachgeholt. Der historische Moment forderte, auf die in den Karlsburger Beschlüssen ausformulierte Einladung, am Entstehen Großrumäniens mitzuwirken, eine entschlossene Antwort zu geben, ehe die Friedenskonferenz beginnt. Die Antwort erfolgte einstimmig durch die Sächsische Nationalversammlung vor 100 Jahren in Mediasch. Wie wichtig die Befürwortung der Vereinigung der Rumänen durch die Siebenbürger Sachsen bei der Pariser Friedenskonferenz und der Realisierung der damaligen, heute noch bestehenden, Westgrenze des Landes war, lässt sich an einem Detail ablesen: der Kronstädter Bürgermeister Carl-Ernst Schnell hielt in seinen Erinnerungen fest, dass er mehrfach von amerikanischen Mittelsmännern aufgesucht wurde, die herausfinden sollten, ob die sächsische Befürwortung unter Zwang oder als Ergebnis der Selbstbestimmung des sächsischen Volkes zustande gekommen sei. Hintergrund dazu war die Propaganda der ungarischen Regierung, die das Gerücht verbreitet hatte, die Mediascher Entschließung sei durch Waffengewalt herbeigeführt worden, was die USA noch im Winter 1919, wie von Schnell festgehalten, verifizieren ließ. Von Bedeutung war bei den Pariser Friedensverhandlungen, dass der rumänische Nationalstaat nicht allein der Wunsch der Rumänen war, sondern, dass sie von der sächsischen Nationalversammlung dazu beglückwünscht und brüderlich gegrüßt wurden.
In der Mediascher Entschließung heißt es an zentraler Stelle, das sächsische Volk „erwartet ferner, dass es ihm niemals unmöglich gemacht werde, sich als eine ihres Volkstums bewusste nationale und politische Einheit in aller Zukunft zu behaupten und zu entwickeln, in der Voraussetzung, dass der neue Staat ihm alles gerne bieten und geben wird, was es als seine Lebensbedingungen ansieht.“ Die Gewähr dafür stellten die Karlsburger Beschlüsse dar, die Details aus sächsischer Sicht enthielt das eingereichte Memorandum. Am Ende der Mediascher Entschließung steht: es „betrachtet sich das sächsische Volk von heute, 8. Januar 1919, an als ein Glied des rumänischen Reiches, seine Söhne und Töchter als Bürger dieses Staates.“
Als unmittelbare Folge der Mediascher Entschließung fand am 13. Januar – in Kronstadt bereits am 12. Januar 1919 – die Vereidigung der sächsischen Beamten auf König Ferdinand und die Verfassung Rumäniens statt. Jenseits des akuten Bedarfes an kompetenten und loyalen Beamten des nun innerhalb des Karpatenbogens neu entstehenden rumänischen Staates– die ungarischen Beamten verweigerten nämlich den Eid und schieden damit aus – wird an diesem Vorgang ein bislang wenig beachteter Aspekt deutlich: Die Vereidigung der sächsischen Beamten ist eine unmittelbare Folge der Mediascher Entschließung und macht diese gleich den Karlsburger Beschlüssen zum Teil des neuen, eines jeden Staates zugrunde liegenden Gesellschaftsvertrages. In der Vereidigung der sächsischen Beamten wird die Anerkennung der Mediascher Entschließung als ein Akt sächsischer Selbstbestimmung durch den neuen Staat Rumänien mit Händen greifbar. Anders ausgedrückt, es lässt sich hieran erkennen, dass das sächsische Volk durch die von seinen Vertretern in Mediasch gefasste Entschließung zum konstitutiven Teil des modernen Rumäniens wurde.
Konkret bedeutete dies einen grundlegenden Wandel unserer Stellung als deutscher Bevölkerung innerhalb des Staates: wir waren nicht länger ein irgendwann im dunklen Mittelalter von einem ungarischen König gerufenes Gastvolk von Kolonisten, das gar vergessen hatte auch wieder zu gehen, sondern wir waren von Anfang an dabei, als das neue Rumänien entstand, haben unseren Teil dazu beigetragen, v.a. als es darauf ankam, erfolgte die von uns erbetene Hilfe prompt. Somit sind wir eine nicht mehr wegzudenkende Komponente der Entstehungsgeschichte des heutigen Rumäniens.
An keiner Stelle lässt sich eine bessere Bestätigung für diese Sichtweise finden als bei der Frage der militärischen Dienstpflicht. Ohne dass sich der rechtliche Rahmen geändert hätte, oder gar die Pariser Friedensverhandlungen zu einem Abschluss gekommen wären, damit also erneut nur aufgrund der Mediascher Entschließung, wurden ab dem 4. Februar 1919 in mehreren Etappen die Geburtenjahrgänge 1891-1900 einberufen bzw. mobilisiert und zwar v.a. in zwei siebenbürgische Infanteriedivisionen.
Da es sich dabei v.a. um rumänische und sächsische Soldaten handelte, die auch den Weltkrieg mitgemacht hatten, lebten einige Traditionen der eben erst untergegangenen Habsburgermonarchie wieder auf: In Ermangelung von Alternativen, kamen die alten Uniformen und Waffen erneut zum Einsatz; ferner musste auf das Deutsche zurückgegriffen werden, v.a. in der ersten Zeit, da allen Siebenbürgern eine andere Kommandosprache schlicht nicht geläufig war. Sodann trug anfangs rund die Hälfte der Offiziere dieser beiden Divisionen sächsische Namen, wie Otto Folberth herausgearbeitet hat.
Der bald folgende Ungarnfeldzug endete mit der Einnahme Budapests am 1. August 1919 und der Niederschlagung der bolschewistischen Räterepublik. Auf die dadurch erreichte einstweilige Verdrängung des kommunistischen Totalitarismus aus Mitteleuropa soll hier nicht weiter eingegangen werden, auch nicht auf die Tatsache, dass die neuerliche Pflicht zum militärischen Einrücken für die kriegsmüde sächsische Bevölkerung nicht ohne weiteres nachvollziehbar war, sich Frust darüber in etlichen eingeworfenen Fensterscheiben in Burzenländer Pfarrhäusern Luft machte, was den sozialen Sprengstoff der Lage andeutete.
Worauf es hierbei ankommt ist der folgende Aspekt: Die Deutschen Siebenbürgens haben vor 100 Jahren in Mediasch nicht lediglich eine Entschließung voll freundlicher und hoffnungsvoller Worte verabschiedet und anschließend als Beamten einen neuen Diensteid abgelegt, sondern sie sind an der Seite der rumänischen Soldaten in der Rumänischen Armee von Anbeginn an mit ihrem Leben für die militärische Absicherung des neuen Staates eingestanden und etliche haben auch ihr Leben dafür gelassen!
Fortsetzung folgt
Das Stephan-Ludwig Roth Lyzeum in Mediasch, wo sich vor 100 Jahren die Vertreter der Siebenbürger Sachsen für den Beitritt zu Rumänien erklärt haben
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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