Die Kronstädter Securitate und das „deutsche Problem“ (III)
15.07.21
„Dieselbe passive Einstellung gegenüber den Staatsinteressen und dem sozialistischen Aufbau“
In einem am 6. Mai 1954 von Leutnant Stefan Ganderhazi verfassten und von seinen Vorgesetzten Major Ioan Cârnu und Oberst Coloman Ambrus (Chef der Securitate in der Region Stalin) genehmigten Beschluss wird das Dossier zum Problem der „feindlichen Elementen aus den Reihen der deutschen Minderheit in dem Gebiet von Stalinstadt“, die damaligen offizielle Bezeichnung von Kronstadt, eröffnet. In diesem Geheimdokument wird die Zahl der in der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (DV) und ihren Untergliederungen eingeschriebenen Kronstädter Deutschen im Jahr 1940 mit 10.000 angegeben. Das seien 99 Prozent der deutschen Bevölkerung der Stadt am Fuße der Zinne gewesen.
450 von ihnen sollen eine Führungsposition in der DV oder in ihren paramilitärischen Organisationen eingenommen haben. 1775 Kronstädter Deutsche (im Originaltext „indivizi“) seien den SS-Truppen beigetreten und haben vor allem auf der antisowjetischen Front gekämpft. Fast zehn Jahre nach dem 23. August 1944, dem Tag an dem Rumänien aus dem Bund mit Hitlerdeutschland ausgetreten war, vermeldet die Securitate die Existenz in Kronstadt von rund 350 ehemaligen SS-Leuten, die „kontrarevolutionäre Tätigkeiten“ planen könnten und die von der alten Nazi-Ideologie durchdrungen seien. Diese Personen sowie ehemalige DV-Führungskräfte und -Beamte stellen in den Augen der Securitate zusammen mit den nach Deutschland und Österreich geflüchteten Landsleuten eine potentielle Gefahr dar. Sie und ihr Umfeld müssten deshalb unter einer genauen Beobachtung der Sicherheitsorgane gestellt werden. Das stellt vereinfacht das als „deutsches Problem“ benannte Arbeitsfeld dar.
Im selben Jahr gibt es einen von Securitate-Offizieren verfassten geschichtlichen Überblick des deutschen Problems („Istoricul problemei germane“). Dieses Dokument, wie auch die meisten anderen, ist nicht besonders sorgfältig erarbeitet worden, denn man stößt oft auf Rechtschreibfehler, nicht nur bei deutschen Namen und Bezeichnungen, sondern auch auf grammatikalische Ungenauigkeiten. Auf der ersten Seite liest man eine historisch komplett falsche Behauptung: der wahre Exodus nach Transsylvanien habe unter der Herrschaft der ungarischen Königin Maria Theresia begonnen. Sie wollte mit den eingewanderten Sachsen einerseits den Einfluss der bodenständigen Bevölkerung, den Rumänen, ausgleichen - „die einzigen Herrscher im siebenbürgischen Land“, und andererseits, „Industrie- und Handelszentren“ gründen. Der Anschluss Siebenbürgens 1918 an Rumänien wurde zunächst in Mediasch von den Siebenbürger Sachsen anerkannt. Das sei aber auch nur aus pragmatischen Überlegungen erfolgt, wissen die Securitate-Verfasser, um daraus Vorteile zu ziehen. Die Einstellung der Sachsen gegenüber dem „rumänischen Element“ sei, früher wie auch heute (1954), sich in allen Bereichen als überlegen zu betrachten. Diese Meinung wird man auch in anderen Dokumenten wiederfinden; sie wird als Ausdruck von Nationalismus und Separatismus interpretiert und kritisiert.
In diesem Dokument wird ausführlich die Gliederung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien geschildert, die bekanntlich in Kronstadt ihren Hauptsitz hatte. Angegeben werden die verschiedenen Organisationen, oft auch mit namentlicher Erwähnung ihrer Leiter. Hervorgehoben wird die paramilitärische Ausbildung, vor allem der Jugend. Erwähnt wird das später unter SS-Verwaltung gestellte Lager am Hangestein/M²gurele (etwa 6 km von Kronstadt in Richtung Neustadt entfernt). Mal wird dieses Übungsgelände als Lager, mal als Gut, mal als Bad bezeichnet. Auf diesem Gelände fanden Schießübungen und Schulungen statt, ist im Bericht zu lesen. Es diente auch als Sammellager der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen bei der „Heim ins Reich“ genannten Aktion ihrer Umsiedlung in von Nazideutschland besetzten Ost-Gebiete. Nicht zuletzt soll dort auch ein Waffendepot eingerichtet worden sein.
Festgehalten wird im Bericht, dass, ab 1943, sich die Stimmung unter den Kronstädter Sachsen zu wandeln begann. Der Missmut gegen den DV-Leiter Andreas Schmidt und gegen andere leitende DV-Funktionäre wuchs, besonders unter den älteren Generationen. Vorgeworfen werden die Entfremdung der Jugend von der evangelischen Kirche, die hohen Abgaben an die DV und, nicht zuletzt, die ab Mitte April begonnene Rekrutierung für die Waffen-SS, die Andreas Schmidt im Alleingang eingeleitet und durchgesetzt hatte, wobei oft auch auf Drohungen zurückgegriffen wurde. Manche Jugendlichen, ist im Bericht zu lesen, täuschten Dringlichkeitsfälle vor um Kronstadt verlassen zu können oder planten Wanderungen ins Gebirge um das Einrücken in die deutsche Armee, wenn nicht zu verhindern, so wenigstens aufzuschieben. 1944 brachten die Landung der Allierten in der Normandie und das gescheiterte Hitler-Attentat mit sich. Die Sachsen begannen die Folgen einer unvermeidlichen deutschen Kriegsniederlage zu befürchten, wird im Bericht verzeichnet. Die Furcht steigerte sich nach dem 23. August zum Schreck. So recht glaubte man auch nicht mehr an eine deutsche siegreiche Wunderwaffe oder auf ein Zerwürfnis zwischen der UdSSR und den westlichen Alliierten. Zusammen mit der deutschen Armee flüchteten auch die meisten lokalen DV-Verantwortlichen. Von den Verbliebenen landeten viele in Internierungslager. Aus Hermannstadt sollte eine Widerstandsbewegung gegen die neue rumänische Regierung koordiniert werden an der sich von ihren Truppen getrennte, im Hinterland verbliebene deutsche Soldaten beteiligen, wobei manche von ihnen von dem Hitlerregime treu gebliebenen Sachsen Hilfe und Unterkunft erhielten.
Laut der Securitate, bemerken die Sachsen im Jahre 1945, dass keine Wiedergutmachung für sie in Sicht ist, dass ihre Gemeinschaft ernsthaft bedroht ist. Der Höhepunkt der Unterdrückungsmaßnahmen war „die Entsendung zur Arbeit in die Sowjetunion“, wie die Deportierung von Januar 1945 bezeichnet wird. Ein Versuch von Hans Otto Roth, aus Bukarest koordiniert, eine demokratische politische Vertretung der Sachsen zu gründen, scheitert nach mehreren Sitzungen zu denen Dr. Wilhelm Depner in einem Saal der Kronstädter Redoute führende Vertreter aus den Burzenländer Gemeinden eingeladen hatte. Solche Zusammenkünfte waren verboten, eine Lagerinhaftierung war die Folge dieser Initiative. Die Enteignung durch die Agrarreform veranlasste manche Sachsen, ihren Wunsch zu einer „Rückführung“ („repatriere“) nach Deutschland, in die westlichen Besatzungszonen, zu äußern. Die Haltung der Sachsen sei von Resignation gekennzeichnet; konkrete Fälle einer subversiven Tätigkeit seitens der „Ex-Hitleristen“, die als verdächtig galten und deren Handeln unter genauer Beobachtung bleiben müsse, gab es nicht zu vermelden.
Vermerkt wird, dass die Sachsen am Lande ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse nur an Sachsen aus den Städten verkaufen, hauptsächlich an Ärzte und Rechtsanwälte, die sächsische Interessen „ so gut es geht, im Rahmen der Möglichkeiten“ vertreten. Die evangelischen Kirchen sind wieder gut besucht, weil der religiöse Geist wach gehalten wird. In den deutschen Schulen warnen die Lehrer ihre Schüler, nicht als Gruppe in den Straßen aufzutreten, um nicht aufzufallen.
1948 wird eine Reihe von illegalen Grenzüberschreitungen, sowohl von Rumänien nach Deutschland und Österreich, als auch in der Gegenrichtung, gemeldet. Der Grund dafür war die Vereinigung der infolge des Krieges getrennten Familien. Im Februar setzt sich Adele Schmidt, die Ehefrau des Ex-Führers der Deutschen Volksgruppe, illegal nach Österreich ab. Auf Initiative der evangelischen Kirche entsteht ein Hilfskomitee für die Rückkehrer, das Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel und Ing. Roth leiten.
Die Hoffnung jener Sachsen, die sich in die Sozialdemokratische Partei eingeschrieben hatten und so ihre demokratische Einstellung bekunden wollten, zerfällt als sich herausstellt, dass sie nach dem Vereinigungskongress mit der Kommunistischen Partei nicht als Mitglieder der neuen Arbeiterpartei anerkannt werden. Der Bericht bezeugt unfreiwillig den Zusammenhalt der Sachsen: „... um so mehr die Regierungsmaßnahmen zur Einschränkung der einstigen Macht der Sachsen im Burzenland erweitert werden, desto mehr wird ihre gegenseitige Hilfe festgestellt. Die sächsischen Bauern verkaufen ihre Ware bei den Wohnungen der Sachsen aus den Städten und gehen nicht auf den Markt.“ (Übersetzung RS).
Im Bericht wird unter Anderem ein Machtkampf für die politische Führung der Sachsen erwähnt: auf der einen Seite Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth („der Mann der sächsischen Kapitalisten“) in Kronstadt unterstützt von Dr. Wilhelm Depner; auf der anderen Seite der antifaschistische Kämpfer von der tschechischen Front, der Kronstädter Rechtsanwalt Udo Falk, und der aus Großprobstdorf stammende Dr. Erhard Andree. Keine Seite setzt sich durch, vermeldet der Securitate-Bericht, aber: „Das Ziel wurde erreicht durch die Verhaftung von Dr. Roth, Präsident der Hermannstädter Sparkassa, und durch den Austritt von Dr. Depner aus dem politischen Leben.“ (Übersetzung RS).
In den Augen der Securitate ist in den Jahren 1950,1951 und 1952 dieselbe passive Haltung der deutschen Minderheit gegenüber den Interessen des Staates und des sozialistischen Aufbaus der Rumänischen Volksrepublik festzustellen. Ihre Hoffnungen setzt sie auf einen Sieg der „Imperialisten“ in einem unvermeidbaren baldigen militärischen Konflikt mit der Sowjetunion. Aus dem Westen kommende Briefe und Presseauschnitte, die Sendungen von Radio London und Voice of America werden in diesem Sinn kommentiert. Die vor und nach dem 23. August 1944 ins Ausland geflüchteten „Nationalisten“ schüren diese klassen- und rumänienfeindliche Einstellung unter anderem durch jährliche oder öfter abgehaltene Versammlungen in westdeutschen Städten, wird im Securitate-Dokument abschließend schlussfolgert.
Ralf Sudrigian
Foto: Die Kronstädter Stalin-Statue vor dem ehemaligen Justiz-Palast.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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