Die Kronstädter Securitate und das „deutsche Problem“ (IV)
09.09.21
„Beihalten der deutsch-nationalistischen Einheit durch Absonderung von allen anderen mitwohnenden Nationalitäten“
Aus den auf der CNSAS-Webseite zur Einsicht gestellten Dokumenten der Kronstädter Securitate ist ersichtlich, wie in den 1950-er Jahre verschiedene Organisationsformen der sächsischen Bevölkerung von den kommunistischen Sicherheitsorganen definiert wurden. Selbst befreundete Familien die sich regelmäßig treffen, um Karten zu spielen und zu plaudern, erscheinen der Securitate als höchst suspekt. In einem Bericht („Raport“) der operativen Aufklärungsarbeit in der Region Stalin im Jahre 1954, verfasst am 14. Februar 1955 von Major Ioan Cârnu, heißt es über solche Familienunterhaltungen wie folgt: „In Stalinstadt und in einigen Ortschaften der Rayons Stalin und Sighi?oara haben sich deutsch-nationalistische Elemente in mehreren kleinen Gruppen von 10 und 7 Personen zusammengeschlossen die sich, unter dem Vorwand verschiedene Familienunterhaltungen abzuhalten, auf organisierte Weise bei der einen oder anderen Person aus der Mitglieder-Gruppe treffen und wo, außer dem Betreiben von Glücksspielen, laut den Meldungen die uns zur Verfügung stehen, tendenziös über politische und wirtschaftliche Ereignisse aus dem In- und Ausland gesprochen wird.“ (Übersetzung RS) Wenn angeblich ein evangelischer Pfarrer diese Treffen leitet und wenn ehemalige Mitglieder der Deutschen Volksgruppe dabei mitmachen, läuten bei der Securitate die Alarmglocken. Als Beispiel werden im Bericht die Familienzusammenkünfte in der Gemeinde Dunesdorf/Dane? genannt, wobei Pfarrer Otto Brantsch eine führende Rolle spielt und Leute wie Ioan Fleischer, Mihai Fabritius oder Mihai Lindner, als ehemalige DV-Mitglieder oder ehemalige SS-Freiwillige, die zwei Letztgenannten zudem ehemalige „Gutsherren“ („mo?ieri“) mit Grundbesitz von 70 bzw. 60 Hektar, mitmachen.
Gemeldet wird die Wiedergründung der als „Jugendorganisationen“ bezeichneten Bruderschaften und Schwesterschaften (die deutschen Bezeichnungen werden in dieser Unterlage verwendet) im August 1954 in den Gemeinden Großscheuern/?ura Mare und Schellenberg/?elimb?r auf Initiative der evangelischen Pfarrer aus den beiden Gemeinden. Erinnert wird, dass diese Organisationen die deutsche Jugend „nationalistisch“ erziehen und im Einflussbereich der Kirche halten sollte. Beide wurden nach 1944 zwangsaufgelöst. Von ihren Quellen erfuhr der Sicherheitdienst auch weshalb diese Vereine wiedergegründet wurden: die deutsche Jugend hätte keine Erziehungsmöglichkeiten, demzufolge könne ihre Erziehung nur mit Unterstützung der Kirche erfolgen. Die Wiedergründung erfolgte nach dem Gottesdienst in der Kirche, wobei alle Jugendlichen einberufen wurden, meldet die Securitate. Ein Mitglied des Kirchenvorstandes sei für die Jugenderziehung zuständig und beteilige sich an den Sitzungen der Bruder- und Schwesterschaften. Deren Mitglieder/innen sind verpflichtet („sînt obligati“) jeden Sonntag und Feiertag zur Kirche zu gehen. Für jene die fehlen, wurde ein Strafgeld von 10 Lei bei der ersten Absenz und von 20 Lei bei der zweiten festgelegt. Jene Mädchen die in ihren Beziehungen zum männlichen Geschlecht die moralischen Normen nicht einhalten, verlieren ihren Sitzplatz in den Kirchenbänken der Mädchen und werden in jene der verheirateten Frauen versetzt, wird im Bericht festgehalten. Diese Jugend ist nicht in der kommunistischen Jugendorganisation UTM (Uniunea Tineretului Muncitoresc) eingeschrieben und beteiligt sich auch nicht an der Kulturtätigkeit in der Gemeinde. Die Securitate wusste, dass solche Vereine auch in Stolzenburg/Slimnic, Hahnbach/Hamba, Rothberg/Rosia, Kleinscheuern/Sura Mica, Reußdörfchen/Rusciori und Heltau/Cisnadie ins Leben gerufen wurden, wusste aber noch nicht, wer sie leitete und ob da auch eine nationalistisch geprägte Tätigkeit zu vermelden sei .Das musste sich ändern; der Maßnahmenplan sah vor: Alles sollte beobachtet und analysiert werden, um Spitzel einzuschleusen, am besten unter den Mitgliedern die Führungsämter inne hatten.
Erwähnt werden auch die Nachbarschaftshilfen („ajutoare de vecinatate“) die die Tätigkeiten der bis zum 23. August 1944 bestehenden Nachbarschaften („vecinatati“) fortsetzen. Die Securitate wusste gut Bescheid über die Prinzipien und Regeln nach denen diese sächsischen Vereine am Lande funktionierten. Sie glaubte auch nicht an die Versicherungen der Führung der evangelischen Kirche, nichts mit diesen Vereinen gemeinsam zu haben. „(...) trotzdem kann man feststellen, dass es gerade die evangelischen Pfarrer sind, die die Tätigkeiten der betreffenden Elemente koordinieren.“ (Übersetzung RS), heißt es in der Einführung des Securitate-Berichtes.
Die Wiedergründung der Bruder- und Schwesterschaften sollte nach Auffassung der Securitate auch die Jugend von gemeinschaftlichen Tätigkeiten („activitati obstesti“) fernhalten. Dasselbe sei auch eine der Aufgaben der Nachbarschaften, die sich an alle Altersgruppen richtete. Das diene dem „Beibehalten einer deutsch-nationalistischen Einheit“ heißt es . In einer Ergänzung („Complectare“) zur Geschichte des deutschen Problems aus dem Jahre 1956 wird am Ende in Bezug auf Kronstadt festgehalten: „In Stalinstadt, um die Jugend der Kirche näher zu bringen, veranstaltet Pfarrer Mokel Konradt (korrekt Möckel Konrad – Anm. d. V.) mit Unterstützung des Pfarrers Keintzel und anderer Mitglieder des kirchlichen Vorstandes Stunden zur Geschichte der sächsischen Bevölkerung, Ausflüge mit der Jugend; für die Älteren hat er die Nachbarschaften (im rumänischen Originaltext 'Nachbarschafturile') wiedergegründet.“ Diese Anmerkungen sollten sich als Vorläufer des als Schwarze-Kirche-Prozess bekannten von der Securitate inszenierten gerichtlichen Verfahren erweisen, wo zwei Jahre später Stadtpfarrer Möckel als Hauptangeklagter auftreten musste.
Ralf Sudrigian
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