Die sächsische Lehrlingsherberge
16.11.17
An Stelle des Schützenhauses ein moderner Bau
In dem 27. Bericht der evangelischen Stadtpfarrgemeinde A.B. in Kronstadt finden wir interessante Informationen über die Lehrlingsherberge, deren Bau auch heute noch die fast ganz verbaute Schützenwiese beherrscht. Die Unterbringung der Lehrlinge, die nicht aus Kronstadt kamen, war schon vor dem ersten Weltkrieg problematisch. Die wenigsten Handwerksmeister hatten genügend Raum, um ihre Lehrlinge zu beherbergen. So wurde 1913 von dem Presbyterium und dem Gewerbeverein ein Heim gegründet, das im alten Realschulgbäude (heute C-Gebäude des Honterusgymnasiums) eingerichtet wurde. 1916 fanden hier 54 Lehrlinge Unterkunft. Durch den Eintritt Rumäniens in den Krieg und die befohlene Evakuierung der Stadt bedingt, wurde das Heim aufgelöst, die Zöglinge zogen zu ihren Eltern zurück. 1917 war durch die Besetzung der meisten Schulgebäude durch das Militär ein geregelter Betrieb des Heimes noch nicht möglich, erst als im Erdgeschoss eine Wohnung frei wurde, konnte ein Provisorium mit zunächst 32 Zöglingen aufgenommen werden, bis schließlich auch die restlichen Räumlichkeiten wieder benutzt werden konnten.
Die wirtschaftliche Lage des Heimes war prekär, die Lehrlinge wurden verpflichtet Nahrungsmittel zu stellen und sich selbst mit Brot zu versorgen, trotzdem blieben für die folgende Jahre die materiellen Schwierigkeiten bestehen. Am schwerwiegendsten war aber der Zustand des Gebäudes. Es war unmöglich ein Krankenzimmer einzurichten, die Sanitäreinrichtungen waren in einem desolaten Zustand, das Badezimmer nicht entsprechend, es gab keine Speisekammer, kein Lern-, Lese-, oder Spielzimmer, keinen Hof und keinen Spielplatz für die Zöglinge. Das alles drängte eine entsprechende Lösung zu suchen. Zuerst erbot sich der Gewerbeverein das Heim in seinem Haus unterzubringen, zog aber bald sein Angebot zurück, so dass das Weiterbestehen des Heimes in Frage gestellt war. Am 19. August 1919 erwog der Ausschuss das Heim aufzulösen. Durch den Einfluss des Stadtpfarrers Dr. Herfurth konnte das verhindert werden, es dauerte aber noch sieben Jahre bis zur endgültigen Lösung des Problems.
Im Folgenden der Bericht:
„Die Schützenwiese mit dem dort stehenden Schützenhaus gehörte dem Kronstädter sächsischen Schützenverein. Schon 1916 wurde der untere Teil der Schützenwiese von der Militärverwaltung für einen Soldatenfriedhof beschlagnahmt. Damals wurde der auch heute noch bestehende Friedhof für die vielen in den Lazaretten in Kronstadt verstorbenen Verwundeten geschaffen. 1918 brannte das Schützenhaus vollständig nieder. Darauf hin verkaufte der Schützenverein die ganze Liegenschaft der Honterusgemeinde gegen die Zahlung der gesamten darauf liegenden Schuld und der noch nicht eingelösten Anteilscheine, im Wert von 50.000 Kronen. Diese Summe wurde vom Seniorchef der Tuchfabrik „Wilhelm Scherg u. Comp.“, Wilhelm Scherg gespendet. Um das Problem der Lehrlinge zu lösen, machte der Vorstand des Gewerbevereins, Josef Galtz und der Kreisausschussobmann Dr. Wilhelm Depner den Vorschlag an Stelle des Schützenhauses eine moderne Lehrlingsherberge zu errichten.
Eine Baukommission bestehend aus Mitgliedern der Kirchengemeinde (Kirchenvater Ongyert und Anwalt Zerbes), dem Vorsitzenden des Gewerbevereins (Josef Galtz) und dem Vertreter des Handelsgremium (Wilhelm Jekel) wurde gebildet, Anwalt Zerbes wurde zum Obmann gewählt.
Der Entwurf und die Kostenberechnung wurden durch Arch. Moritz Wagner erstellt, Ing. Gustav Fabritius wurde mit der Überwachung und Überprüfung der Zentralheizung betraut. Nach dem Öffnen der Angebote wurden die billigsten ausgewählt:
1. Erd-, Maurer-, Zimmermanns- und Spenglerarbeiten die Brüder Chrestels, die auch die Tischlerarbeiten in der Wohnung des Herbergsleiters ausführten.
2. Tischlerarbeiten im Erdgeschoss des Hauptbaues Oswald Scheeser.
3. Tischlerarbeiten im 1. Stock Josef Grimm
4. Tischlerarbeiten im 2. Stock Eduard Schwecht.
5. Wasser- und Kanalinstalationen, sanitäre Anlagen und Schlosserarbeiten G. Konradt.
6. Die Niederdruckdampfheizung, Waschanlage und Brausebad wurden von der Firma Siebag, Mediasch geliefert.
7. Elektrische Beleuchtung mit der Klingelanlage von B. Engbert
8. Beleuchtungskörper von R. Roth und Joh. Schütz
9. Maler und Anstreicherarbeiten von Brüder Bouillion
10. Glaserarbeiten Lang, Rosenthal und Palmhert
11. Parketten, Peter Groß aus Zeiden
12. Der Sparherd in der Küche des Herbergsleiters von Draudt und Jekel
Außer einigen Grund- und Umfassungsmauern wurde das Gebäude in Ziegelmauerwerk ausgeführt. Die Decken bestehen aus Eisenbeton. Die Fußböden sind Weichholzdielen, in den Küchen und Badezimmern Terrazzoplatten, in den Waschräumen und Sanitäranlagen aus Betonestrich, in der Wohnung des Leiters sind Parketten verlegt. Die Räume werden mit einer Niederdampfheizung beheizt. Das Dach ist mit Biberschwanzziegeln doppelt gedeckt. Der Außenbau ist mit rotbraunem Rauhmörtel farbig, die Gesimse setzen sich gelblich mit glattem Mörtel ab, der Sockel mit Rauhmörtel violett verputzt. Die großen Fenster sind weiß gestrichen, die Eingangstüren sind aus dunkelgebeiztem Eichenholz. Im Erdgeschoss des Hauptgebäudes befindet sich neben dem Haupteingang eine Portiersloge, ein Speisesaal mit 140 Plätzen, eine Küche und Spülküche, WC´s und ein Duschraum für die Lehrlinge. Eine Kunststeintreppe führt bis zum Dachboden. Im 1. und im 2. Stock befinden sich je 4 Schlafsäle mit zusammen 130 Betten und je eine große Garderobenhalle mit 130 Kästen, je 2 Waschräume mit gußeisernen, feueremailierten Waschbecken und je ein WC. Im 1. Stock ist die Wohnung des Adjunkten (Gehilfen des Leiters) und im 2. Stock die Wohnung des Pförtners. Im Dachboden können bei Bedarf noch zwei große Schlafsäle ausgebaut werden.
Der Nebentrakt hat im Erdgeschoss einen Nebeneingang, aber auch zu der Hauptküche gibt es eine Verbindung. Hier liegen Dienstbotenzimmer, Speisekammer, Wirtschaftskeller, Zimmer des Wirtschafters und ein Krankenzimmer mit 6 Betten. Eine Eichentreppe führt von einem gesonderten Eingang in den 1. Stock zu der Dreizimmerwohnung des Herbergsleiters mit allen Nebenräumlichkeiten, einschließlich Badezimmer. Hier gibt es eine Verbindung zum 1. Stock des Hauptgebäudes.
Der ganze Bau, einschließlich der Zentralheizung hat 6.420.851 Lei gekostet. Diese Summe wurde zu großem Teil durch Spenden gedeckt: Die Firma Wilhelm Scherg hat 850.000 Lei gespendet, Kirchenvater Samuel Schiel 300.000 Lei, der Kronstädter Gewerbeverein hat sich mit 1.870.000 Lei beteiligt, dazu 120 Betten, 120 Kästen und noch Verschiedenes mehr, das Handelsgremium 60.000 Lei, sächsische Industrielle 199.000 Lei. Die sächsischen Banken und der Burzenländer Vorschussverein, andere Institute und Private beteiligten sich mit namhaften Beträgen, im Ganzen kamen 3.820.100 Lei zusammen. Den Rest von 2.600.751 Lei hat die Stadtpfarrgemeinde getragen.“ Das weitere Schicksal nach 1944 dieses Baues ist vielen andern Häusern der Honterusgemeinde ähnlich: 1948 enteignet, konnte die Kirchengemeinde es nach der Wende zurückerhalten.
Erwin Hellmann
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