Dominante C – von Capri nach Cap Aurora (I)
08.08.19
Ein Sommersonnentraum in mehreren Tagen/ Von Carmen Elisabeth Puchianu
Prolog - Wie alles beginnt.
Die Reise an die südwestliche Küste Italiens sollte ursprünglich nicht meine werden. Im Spätherbst des vergangenen Jahres hatten meine beiden Freundinnen, A. und M., eine siebentägige Seniorenreise nach Neapel und Sorrento gebucht, die zu einem Zeitpunkt angetreten werden sollte, zu dem ich mit Bestimmtheit aus beruflichen und privaten Gründen nicht verfügbar sein würde. Auf Grund wiederholter Terminverschiebungen, sowie privater Missgeschicke, musste A. kurzfristig die Reise absagen, ich hingegen konnte sie kurzer Hand und stehenden Fußes an ihrer Statt antreten, denn, wie das meistens so passiert im Leben, ist des Einen Missgeschick des Andern Geschick, und so fanden sich M. und ich, zwei der Kronstädter Drei Grazien am letzten, jenem geschichtsträchtigen aller Maientage, da Papst Franziskus seinen Rumänienbesuch begonnen hat, in Otopeni am Henry Coand² Flughafen ein um, mit stundenlanger und von niemandem begründeter Verzögerung kurz vor Mitternacht doch noch das Flugzeug zu besteigen, das uns und weitere rund dreißig Mitreisende nach Neapel brachte. Dort erwartete uns eine ihrerseits etwas entnervte aber doch sehr freundliche Reiseleiterin und begleitete uns nach Piano di Sorrento, einem kleineren Ort in der Nähe von Sorrento, der für Urlauber an der Küste um den Golf von Neapel äußerst günstig liegt. „Sie werden sehen, das Hotel ist gut, drei Sterne landesüblichen Maßstäben entsprechend,” sagt sie uns, „Sie haben Glück, man kann innerhalb weniger Minuten zu Fuß zum Badestrand hinunter, aber auch zum nahegelegenen Bahnhof gelangen, woher in geregelten Zeitabständen der Circumvesuviana aber auch andere Regionalzüge die Verbindung zwischen Neapel und Sorrento über Pompeji und Ercolano möglich machen." Die wenigsten Mitreisenden sind empfänglich für die freundlichen Hinweise der Reiseleiterin. Ganz im Gegenteil, man murrt und zetert, als wäre die Frau ganz persönlich für das schlechte Management des Billiganbieters verantwortlich. Um 2 Uhr nachts erwartet man uns im Hotel tatsächlich mit einem kalten Büfett der Extraklasse, dem wir aus guten Gründen leider weniger zusprechen können, als wir es sonst getan hätten. Und obschon der Großteil der Reisegesellschaft immer noch verstimmt und unzufrieden ist, hilft weder aufmüpfiges Protestieren noch kindisches Gejammer: Am ersten Morgen geht es bereits nach Capri, auf die Insel der (ehemaligen) Fischer und des Lichts, das einem allerhand Farbspiele und Visionen vorgaukelt. Es sei alles vorbereitet, ein Großraumbus gechartert, Eintrittskarten vorbestellt, wer mitfahren möchte, muss es nur sagen und pünktlich um 7 zum Frühstück erscheinen, die Abfahrt ist für 7:30 Uhr festgelegt.
Tag 1 – Reif für die Insel. Capri und Anacapri
Um nach Capri zu gelangen, müssen wir zunächst nach Sorrento zum Hafen gefahren werden. Die Reiseleiterin hat alles bestens vorbereitet, sie leistet - das soll hier schon vorweggenommen werden – für alle vier zusätzlichen Ausflüge, die M. und ich vor Ort gebucht haben, einen logistischen Bravourakt, sie ist immer pünktlich zur Stelle, plant alles auf die Minute genau und hält den Zeitplan genauestens ein und dazu weiß sie überall Interessantes zu erzählen. Und doch stimmt die Chemie zwischen ihr und den meisten Urlaubern unserer Gruppe nicht so recht. Es gibt einen kompakten Kern, der immer etwas zum Nörgeln hat und die Spannung der verspäteten Ankunft nicht abreißen lässt. Da hilft zunächst auch kein gutes Zureden, keine lobende Bemerkung, kein Dankeswort unsererseits. Erst am aller letzten Tag der Reise gelingt es mir, der Frau unsere uneingeschränkte Bewunderung und Dankbarkeit zu übermitteln, was sie schlussendlich am Flughafen kurz vor unserm Einchecken mit einer spontanen Umarmung quittiert. Vielleicht war sie aber auch einfach nur froh und erleichtert, dass sie diese Gruppe endlich losgeworden war. Aber zurück zum ersten Tagesausflug.
Der Anlegerhafen in Sorrento liegt, im Vergleich zur Stadtmitte, viele Meter tiefer, sodass man entweder eine steile Treppe, eine enge Serpentinenstraße oder den kleinen Stadtbus nehmen muss, um hinunter zu gelangen. Die Fußvarianten sind vorzuziehen, da man dabei eine wunderbare Aussicht sowohl auf das Meer als auch auf die terrassenförmig übereinander errichteten Bauten der Stadt bekommt. Vom Anleger dauert die Schiffsüberfahrt nach Capri etwa eine halbe Stunde. Man sagt uns, es gäbe die Möglichkeit auf ein anderes etwas kleineres Schiff mit offenem Deck umzusteigen und damit eine einstündige Inselumrundung auf dem Meer zu machen und drei der vier berühmten Grotten aus nächster Nähe zu sehen, das koste zusätzliches Geld, aber es lohne sich. M. und ich zögern keine Sekunde und sobald wir auf Capri anlegen, wechseln wir auch schon gleich das Schiff und lassen uns die Mittelmeerbrise um die Ohren pfeifen, während der Fährmann geschickte Manöver vollführt, um das Schiff möglichst nahe heran und sogar in die weiße, die rote und die grüne Grotte zu steuern. Formationen von Stalagmiten und Stalaktiten fügen sich zu den wundersamsten Figuren und Formen zusammen und bieten einem bezaubernde Farbwiderspiele auf der Wasseroberfläche des Meeres, die mal weißlich grün, mal türkis und mal tiefblau schimmert, dass es uns den Atem und die Sprache verschlägt. In heller Begeisterung küssen sich die Paare auf dem Schiff, als man durch den Liebesbogen einer der vier Faraglioni schippert.
Die Insel besteht aus zwei Teilen, der untere Teil, Capri, ist der mondänere Teil, darauf befindet sich eine Schlossanlage und ein wundervoller Garten, den man auf der einen Seite nur über die in Fels gehauenen sog. Krupp Treppen erreichen kann. Der obere Teil der Insel, Anacapri, ist der ländlichere Teil. Dort steht Haus San Michele, in dem Axel Munthe zusammen mit seinen Tieren und einigen einheimischen Bediensteten gelebt und geschrieben hat, solange es ihm sein immer schwächer werdendes Augenlicht erlaubte. Das Haus, die Loggien, Pergolen und der Patio mit Brunnen und Faun, sowie der Garten gehören heute dem schwedischen Staat und können von Touristen besichtigt werden. Am meisten beeindruckt einen die Aussicht auf die Bucht, auf das Meer, auf Ischia, der Schwesterinsel sozusagen, aber auch die persönlichen Exponate, die die abenteuerliche und doch so rührende Geschichte des Arztes belegen. Damit man nach Anacapri wiederkehrt, muss man die Sphinx an der Aussichtsloggia zur Bucht berühren, und das tun M. und ich natürlich sofort. Im Souvenirladen des Hauses gibt es u.a. Axel Munthes Das Buch von San Michele in deutscher Übersetzung zu kaufen. Ich kaufe es in Erinnerung an die maßlose Begeisterung meiner Mama nach wiederholtem Lesen dieses Buches, von dem sie so sehr geschwärmt hatte, dass ich sogar meinte, es selber gelesen zu haben. Ich beginne sofort darin zu lesen und kann von der ersten Seite an die Begeisterung meiner Mama nachvollziehen.
Tag 2 – Auf den Spuren königlicher Hoheit
Hatte den ganzen Tag über auf Capri die Sonne geschienen, empfängt uns Sorrento mit einem kräftigen Regenschauer. Es wird auch nachts regnen, aber der folgende Tag, ein Sonntag, entpuppt sich als ein sonniger. Wir fahren nach Caserta, um das Reggia di Caserta, das ehemalige Königsschloss der neapolitanischen Bourbonen yu besichtigen. Eine imposante Schlossanlage, die in spätbarockem Stil der Residenz des französischen Sonnenkönigs in Versailles nachempfunden ist, erwartet uns mit ihren offenen Toren. Allerdings mutet einen die italienische Variante etwas weniger protzig, weniger spektakulär, aber nicht weniger elegant und kunstvoll an. Gerade dadurch erscheint sie einem äußerst anziehend. Über eine breite Marmortreppe, die von ebensolchen Skulpturen gesäumt ist, gelangt man in die Empfangs- und Wohnräume der höher gelegenen Etage. Man geht aus einem Raum in den nächsten und weiter in den übernächsten und gewinnt dabei den Eindruck in einer endlosen Raumschleife, wie in einem Labyrinth um eine Mitte zu wandern, als sei man geradezu auf der Suche nach der eigenen Mitte, dem eigenen Ich. Freskos, Reliefs und gerahmte Ölbilder – Landschaftsdarstellungen und Porträts – schmücken die Wände, wenige aber prunkvolle Möbelstücke sind zu sehen, Lüster hängen von den hohen Decken, allesamt suggerieren die Form der Krone des Königshauses. Und überall erscheint dessen Wappentier, der Löwe.
Der Schlossgarten ist weitläufig und über drei großzügige Terrassen im Stil der englischen Gärten angelegt. Am Waldsaum sind Nischen in die Baumkronen geschnitten, unter deren Wölbung klassische Plastiken auf hohen Sockeln stehen, als würden sie sich in der grünen Nische vor den Augen der Welt verbergen und ihrem geheimnisvollen Dasein nachgehen wollen. Rasen und Gehwege öffnen sich vor den Besuchern, die bereit sind, die etwa drei Kilometer lange und breite Gartenanlage zu erwandern. In der Mitte befinden sich langgezogene rechteckige Wasserbecken, die von einem Wasserfall ständig mit Wasser versorgt werden, das über zwei künstlich angelegte Brunnen in die Becken stürzt. Riesenkarpfen schwimmen im Wasser und lassen sich großmäulig von Besuchern füttern.
Der hohe Mittag ist längst vorbei, als wir Caserta mit unserm Reisebus verlassen und nach Neapel fahren, wo wir einen ersten Eindruck der Stadt erhalten. Das Stadtbild ist von engen, langen Straßen geprägt, die meist in beide Richtungen von Fahrzeugen – Limousinen, Lieferwagen und jeder Art von Motorrädern - in rasantem Tempo befahren werden. Dabei gibt es keine Gehsteige, Fußgänger gehen in größeren oder kleineren Gruppen mitten auf der Fahrstraße, sodass die Fahrer ihre Fahrt immer wieder rücksichtsvoll unterbrechen, um die Fußgänger nicht über den Haufen zu fahren. Von der Piazza del Gesù an der Santa Chiara Kirche vorbei gelangen wir in das größte Gewühl von Besuchern, Käufern und Verkäufern, Lokalbesitzern, die einen zum Platznehmen einladen – alle wollen einen überreden etwas zu kaufen, zu essen oder zu trinken, überall hupt oder schellt es, Gelächter ertönt, lebhaftes Sprechen, Straßenmusikanten spielen neapolitanische Weisen, es riecht nach Rosmarin und Basilikum, nach Blätterteig und Vanille, nach Tomatensauce und Lavendel, nach Gelato artigianale und Abgasen, nach Seetang und Möwengelächter. Hoch über den Köpfen hängen Laken, Tücher, Unterhosen, Kleidungsstücke an Leinen, die quer über die Straße von einem Gebäude zum gegenüberliegenden gespant worden sind. Dort hängt die Wäsche zum Trocknen, sie flattert Tag und Nacht im neapolitanischen Luftzug der Straßen. Es ist, als wäre man geradezu in einem Film von Fellini oder Visconti!
Zartbesaitete Mitreisende aus dem Regat, Hausärztinnen ihres Zeichens, die bis zum Ende der Reise nicht wirklich wussten, in welche ethnische Ecke sie uns stecken sollten, fühlen sich plötzlich von all dem bedrängt und belästigt, als säße ihnen bereits die ganze Camorra und Mafia im Nacken und fordern die Reiseleiterin in teils barschem, teils hysterischem Ton auf, sie möge einen sofort und auf der Stelle da wegbringen! M. und ich ziehen es vor, uns von der Gruppe selbstständig zu machen und auf eigene Faust dieses bebende, pochende, vor Leben und Verruchtheit strotzende Herz von Neapel zu erkunden. Mich ziehen Pulcinella und andere Figuren in unterschiedlicher Ausfertigung ganz besonderes an: Von zierlichen Miniaturen bis hin zu mannshohen Holzfiguren, lebt das Commedia dell’ arte Theater überall auf diesen engen Straßen. In andern Läden wieder sind allerhand Pasta und Gewürze und Gerätschaften für die Küche zu sehen, wie etwa ein Spaghettometro, ein Brett für das genaue Abmessen einer, zweier, dreier oder vier Portionen Spaghetti… Das schmale Brett hat vier unterschiedlich große kreisrunde Öffnungen, die sich zuhause tatsächlich als sehr hilfreich erweisen beim Bestimmen der notwendigen Spaghettimenge. M. und ich kaufen natürlich das kleine Wunderbrett, unser erstes Mitbringsel aus Neapel. Endlich werde ich nicht mehr zehn Spaghetti zu viel kochen für mich!
Fortsetzung folgt
Die Küste von Capri. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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