Dominante C – von Capri nach Cap Aurora (III)
22.08.19
Ein Sommersonnentraum in mehreren Tagen/ Von Carmen Elisabeth Puchianu
Ein Bummel durch die schmalen Einkaufsstraßen von Amalfi führt unweigerlich an zahlreichen Souvenirläden und Eisdielen vorbei, sodass man keiner Verlocken lange widerstehen kann, zumal von überall ein Mitbringsel für die abwesende Dritte aus dem Bund der Kronstädter Grazien fällig ist. Die Einheimischen sind in dieser Stadt nur hinter den Theken der Läden, in den Kneipen und Eisdielen, am Kartenschalter des Anlegers, am Anlegeplatz der Fischerboote oder am Steuer der Lieferwagen zu sehen. Sie geben den Touristen den Vortritt. Dabei sind sie freundlich, heiter und von überraschender Seelenruhe. Und ich denke, dass das mit dieser einzigartigen Küste und dem Meer und dem ganz besonderen Licht zu tun haben und dass es eine Wohltat sein muss, dort zu leben. Zum ersten Mal in meinem Leben wünsche ich mir, länger als nur eine oder zwei Wochen an einem andern Ort als meinem geliebten Kronstadt verweilen zu können. Was hinderte mich, dies Wunschdenken in eine Tatsache umzuwandeln?... Zugegeben, nun wartet kein Bauschan mehr auf mich zuhause, aber es gibt vielfache Bindungen, die ich nicht abreißen kann, so bleibt der Gedanke als Wunschtraum schön und irgendwo in meinem Innern verborgen.
Tag 6 – Pompeji, eine Geschichte über Tod und Leben
Der Donnerstag ist unser vorletzter Tag auf neapolitanischem und sorrentinischem Gefilde. Wir fahren zum Sanctuario di Pompeji, dieser überraschend großen Stadt, die 79 n. Ch. unter Lavamassen begraben worden ist. Wie kann man ermessen, was sich hier zugetragen hat? Was sich einem heute hier zuträgt ist eine erschütternde Geschichte vom lebendigen Tod, der überall präsent ist: Er liegt schlafend in versteinertes Lavagewand gehüllt hinter Glas, er steht erhaben auf Säulensockel, er thront mitten auf dem Platz der ehemaligen Basilika, er hüpft über die Stufen des Teatro massimo, er liebäugelt mit dem Faun im Patio einer Villa, er kauert über einem Dachgiebel und lockt ins Prostituiertenviertel, er räkelt sich unter den Arkaden früherer Lustgärten, er kauert am Straßenrand und bettelt um Almosen. Der Tod leibt und lebt in Pompeji an allen Ecken und Enden dieser erstaunlich geradlinigen Straßen und Grundmauern, er geht mit uns über die großen Quersteine, die von Fußgängern zum Überqueren der Straßen gedient hatten, er haucht uns seinen heißen Odem in den Nacken, dass uns fröstelt und wir nicht wissen, wieso, und immer blickt er verstohlen hinüber zu seinem Komplizen, der - in Wolkendunst zwar - seine majestätische Gestalt von überall sehen lässt, dem Vesuvio.
Ihn müssen wir auch besteigen, ohne Frage. Etwas über 1200 m hoch, überragt der Vulkan die gesamte Region des Golfs von Neapel. Man sieht ihn von überall, und er sieht einen, wo immer man geht, wo immer man steht. Vor zwei Jahren hatte eine Feuerbrunst, von unachtsamen Touristen verursacht, den ganzen Baumbestand der Hänge bis zur 1000m Grenze zerstört. Heute sieht man noch die Spuren dieses Brandes, aber der Vulkan ist wieder Besuchern geöffnet. Man kann die letzten 200m zu Fuß zurücklegen, nachdem man eine entsprechende Eintrittsgebühr bezahlt hat. Ein Serpentinenweg, dessen Neigungsgrad etwa 14º beträgt und der aus grauem und rötlichem Lavageröll besteht, führt einen bis hinauf auf das Kraterplateau. Dort kann man eine halbe Kraterumrundung machen. Man sieht das neue Pompeji und Neapel scheinbar unmittelbar am Fuße des Vulkans liegen, man sieht das Tyrrhenische Meer und den Golf von Neapel, sogar Capri kann man sehen, und die Vorstellung jener verheerenden Ausbrüche, davon der letzte große 1944 stattgefunden hat, lässt uns erschauern. Der Vesuvio lebt, sagt man hier, er ist aktiv und lebendig und er kann, wann immer er Lust hat, erneut ausbrechen. Pläne und Strategien zur Evakuierung der Gesamtbevölkerung der Region seien schon lange vorbereitet, ob sie einem auch nützen, sollte der Vulkan eines launigen Tages sein Innerstes unerwartet nach außen kehren, wollen wir lieber nicht wissen.
Vom Vesuvio bringe ich drei kleine Steine mit, einen für die abwesende Grazie, einen für Mama und einen für Bauschan. Für mich erstehe ich eine Halskette aus rund geschliffenen schwarzen Lavasteinen. Auf dem Abstiegsweg gehen wir an einem Limonenhändler vorbei. Der hat einen etwas wackeligen Tisch aufgestellt, daneben einen Sonnenschirm, auf dem Tisch sind eine manuelle Obstpresse und haufenweise Limonen und Orangen zu sehen. Man kann bei ihm um 2 Euro einen Pappbecher frisch gepressten Saft kaufen. M. und ich zögern keine Sekunde und bestellen Zitronensaft. Und während er eine Frucht nach der andern halbiert und in die Presse legt, weist er uns barsch zurecht: „Nix Zitrone, Madame, dies Limone, verstehen? LI-MO-NE!” Dann fragt er noch, ob wir nicht auch Orangensaft dazu haben wollen, was wir entschieden verneinen, im Glauben, es käme ja wohl auch etwas Wasser dazu…So trinken wir den Saft von etwas fünf oder sechs unterschiedlich großen, unterschiedlich gelben Limonen pur, ohne jegliche Beigabe. Und ich gestehe, nie vorher einen derart belebenden und erfrischenden Saft getrunken zu haben!
Diesen denkwürdigen Tag, an dem uns der unsichtbare Geist des Todes mehrfach angehaucht, unsern Atem zum Stocken, unser Herz zum Flattern gebracht und unsere etwas ermatteten Lebensgeister zu neuer Kraft erweckt hat, beschließe ich mit einer vorletzten und letzten Schwimmrunde im Meer am kleinen Strand von Piano di Sorrento. M. zieht es vor mit zuzusehen und dabei mit einem Entenpaar zu konversieren. Ihre Sprache hatte sie am Vortag in Sorrento von einer freundlichen Möwe erlernt.
Tag 7 – Neapel, Adieu!
Der letzte Tag, der Tag unserer Abreise, bricht an. M. und ich wollen ein paar Limonen mit nachhause nehmen. Allerdings scheint es noch zu früh am Morgen zu sein, die Gemüse- und Obsthändler haben zwar ihre Läden schon geöffnet, aber keiner hat noch Limonen ausgestellt! So begnügen wir uns damit, dass wir ein Glas hausgemachter Limonenmarmelade kaufen. Am Nachmittag dann in Neapel, kurz vor unserer Fahrt zum Flughafen, erstehe ich in einem kleinen Mischwarenladen zwei Limonen und eine Limonenseife.
Wir machen noch einen letzten Spaziergang durch Piano di Sorrento, bevor wir mit dem Bus nach Neapel gefahren werden, wo wir noch einiges besichtigen können, wie zum Beispiel die Galleria Umberto, die Piazza del Plebiscito und das Spanische Viertel. M. und mir schwebt ein ruhiges Straßenlokal vor, wo wir gemütlich essen könnten. Und tatsächlich, da findet sich etwas Passendes, wie wir meinen: Ein kleines Lokal, davor gerade mal drei Tische mit je zwei Stühlen auf der Straße stehen. Eine Markise von einer Kletterpflanze überwuchert spendet etwas Schatten, die Speisekarte enthält genau das, was wir zu essen wünschen, nämlich „bacallà fritto”, ausgebackenen Kabeljau zu Deutsch, mit „peperoni in padella”, d. h. in der Pfanne angedünstete Paprika, als Beilage. Dazu nehmen wir ein Glas spritzigen Weißwein. Und gerade als wir bestellen, rast eine Vespa vorbei und gleich darauf eine nächste hinterher, und bald kommt ein Lieferwagen aus der entgegengesetzten Richtung die Straße hoch, dass das Gefährt, das von oben kommt, anhalten und sich ganz eng an die Häuserseite quetschen muss, damit der Lieferwagen vorbei kann. Uns aber munden der Fisch und der Wein und wir können nur noch lachen und uns darüber freuen, dass wir noch in Neapel sitzen und das Leben in diesem Augenblick genießen dürfen, der ohnehin allzu schnell vergeht.
Zuhause presse ich den Saft einer meiner neapolitanischen Limonen aus und bereite daraus meinen morgendlichen Entschlackungstrank. Davor werfe ich einen Blick aus dem Schlafzimmerfenster: Von leichten Wolkenschleiern umflorten zwinkert mir der Vesuvio verschmitzt zu und spiegelt sich im Tyrrhenischen Meer wie eine Braut. Er hat sich an diesem Morgen als Zeidner Berg verkleidet. Später dann beim Kaffeetrinken stimmt mich die Erinnerung an die blättrige Sfoliata mit Vanillefüllung, die wir in Neapel gegessen hatten, ganz melancholisch.
Epilog – Cap Aurora
Lange bevor feststand, dass ich sozusagen als Ersatzgrazie die Reise nach Sorrento und Neapel mitmachen würde, habe ich einen achttägigen Auf enthalt am Schwarzen Meer und zwar in Cap Aurora gebucht, dem Badeort, den M. und ich vor zwei Jahren nach Jahrzehnten wiedergesehen und auf Anhieb zu unserem Lieblingsbadeort erkoren haben. Und da das Mittelmeer Lust nach Meer macht, treten wir eine Woche nach der Rückkehr aus Italien die Reise ans Schwarze Meer an. Schon von Kindesbeinen an sind M. und ich, unabhängig voneinander, zusammen mit unsern Eltern nach Konstanza ans Schwarze Meer gefahren und so konnten wir im Verlauf unserer Kindheit und Jugend beinahe Jahr für Jahr verfolgen, wie die Rosenrabatten nach und in Mamaia in mühseliger Gartenarbeit sozusagen aus dem Sand gestampft wurden, wie ein Badeort nach dem andern an der Küste zwischen Konstanza und Mangalia auf- und ausgebaut wurde und zu Glanz und Gloria gelangten für Touristen aus dem In- und Ausland, und wir konnten auch sehen, wie die Badeorte nach der Wende zunächst ihren Glanz und ihre Gloria mehr oder weniger wieder einbüßten.
Cap Aurora gehört zu den Badeorten von nationalem Interesse, so die Inschrift bei der Ortseinfahrt. Allerdings kann man die Inschrift kaum lesen, denn mannshohes Gras wuchert überall am Wegrand in die Höhe, man könnte meinen, je größer das nationale Interesse, umso höher das Gras…Wie dem auch sei, unser Hotel ist seinen drei Sternen entsprechend in Ordnung, es hat eine nette Gartenterrasse, wo es sich gut speisen lässt, das finden wir sehr schnell heraus und werden die gastronomischen Künste des Koches zu schätzen wissen. Seine Spaghetti con frutii di mare sind beinahe besser als in Italien, die vegetarische Pizza ist knusprig und mit knackigem Frischgemüse belegt, die ciorb² de peri{oare schmeckt auch an jenem Tag hervorragend, als wir knapp anderthalb Stunden auf sie und die anschließende Rechnung warten mussten, weil einem Ober gerade alles etwas aus dem Ruder gelaufen war, was ihn anschließend sogar seinen Job kosten sollte. Der Seebarsch ist delikat und der Wein vom benachbarten Weingut ist nicht zu verachten. Das Schwarze Meer gebärdet sich ebenso freundlich wie das Tyrrhenische, es ist warm und die meisten Tage glatt, dass man sich in die weite Freiheit hinausschwimmen kann. Der Strand ist sandig, man bekommt immer ganz weiße Zehen davon, nur manchmal stolpert man über die Felsbrocken, die am Meeresgrund liegen und einem ein Bein stellt.
Wir fahren wie üblich auch nach Mangalia und nach Konstanza. In Mangalia ist noch wenig los, sogar die Bootsleute sind zu faul, am frühen Nachmittag mit ihrem Boot Touristen aus dem Hafen hinauszufahren. Bis zuletzt lassen sie sich doch noch überzeugen, die Fahrt aufzunehmen und so können wir uns auch die Schwarz-Meer-Brise um die Ohren flattern lassen, während wir am alten Leuchtturm vorbeirauschen, der uns selbstverständlich an jenen von Capri erinnert. Obwohl wir als aller erstes in unserm Lieblingscafe tükischen Kaffee trinken und einen etwas zu süßen serbischen Kuchen verzehren, enttäuscht uns Konstanza dieses Mal. Die Stadt mutet noch verlassen an und scheint vollkommen unvorbereitet für die Sommersaison. Vielleicht liegt es auch daran, dass M. eine leicht gestauchte Zehe hat und deswegen nicht gut zu Fuß und dem entsprechend still und etwas verstimmt ist. Vieles liegt weiterhin brach in dieser Stadt, Renoviertes sieht unbewohnt, ungenützt aus. Und doch fühlen wir uns auf merkwürdige Weise zuhause hier. Die Tage vergehen im angenehmen Einerlei des Badeurlaubs. Wir lesen ein wenig, plaudern und blödeln ebenso viel wie wir schwimmen. Wir genießen das Nichtstun, das Sein am Meer, das irgendwann auch wieder zu Ende geht. Woran liegt es, dass mich das Meer so sehr in seinen Bann zieht, denke ich, als wir schon längst im Zug nach Kronstadt sitzen, und draußen die ersten Bergeshöhen der Karpaten zu sehen sind. Ich kann die Kühle der Bergluft vor dem Zugfenster spüren, lange bevor wir am Ziel eintreffen und ich sehe die steinerne Unbewegtheit der Berge, die ich schon als Kind zusammen mit meiner Mama und meinem Großvater mit beharrlicher Besessenheit bestiegen habe, die mir aber immer etwas Angst eingeflößt haben, weil sie mich irgendwie an die Starre des Todes erinnern. Das Meer hingegen ist bewegt, veränderlich und mahnt ans Leben. Und von beiden komme ich nicht los…
Die Küste von Amalfi. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
19.04.24
Literarisch-musikalische Performance im Apolonia Kulturzentrum, Kronstadt
[mehr...]
19.04.24
Das Museum für Sport- und Bergtourismus öffnete seine Tore in Kronstadt
[mehr...]