Ein fünftes Mandat?
06.08.20
George Scripcaru gilt als Hauptfavorit der Kronstädter Bürgermeisterwahl
Die Kommunalwahlen sind für den 27. September festgesetzt. Sie stehen im Zeichen der Gesundheitskrise hervorgerufen vom neuen Coronavirus, eine Krise die in Kronstadt stärker als in anderen Landesteilen verspürt wird. Der Wahlkampf wird praktisch ohne Wahlveranstaltungen stattfinden müssen. Die Wahlbeteiligung wird voraussichtlich gering sein, selbst wenn strenge Hygieneregeln im Wahllokal gelten sollen. Welche politischen Kräfte passen sich diesen neuen Umständen besser an?
Was die Bürgermeisterwahl betrifft, sind bereits die großen Parteien bevorzugt weil es zu keinen Stichwahlen kommt, falls die 50 Prozent der Wahlstimmen im ersten Wahlgang nicht erreicht werden. Der Kronstädter Bürgermeister George Scripcaru gehört auf dem Papier nicht der PNL an, wird aber von dieser Partei voll unterstützt, wie das PNL-Chef und Premier Ludovic Orban auf einem Kronstadt-Besuch im Juni persönlich unterstrichen hatte. Hinzu kommt für Scripcaru auch sein Bekanntheitsgrad den er in seiner 16-jährigen Tätigkeit als Bürgermeister gewonnen hat. Die meisten Kronstädter dürften sich an ihn gewöhnt haben und ihm die Fortschritte zuschreiben die die Stadt in diesen Jahren vorweisen kann. Es handelt sich dabei z.B. um bessere Straßen (zumindest im Zentrum), um neue, umweltfreundlichere Stadtbusse, einschließlich ab September 2019 auch Schulbusse, um weniger Ampeln und mehr Kreisverkehr, um einige sanierte Schulen, ein neues Technologiezentrum (CATTIA) im Nordwesten der Stadt u.a. Der Bürgermeister setzt sich für eine öffentlich-private Partnerschaft ein die hauptsächlich aus eigenen Kräften das so notwendige neue Regionalkrankenhaus finanzieren soll und will auch stärker den Bau des Flughafens vorantreiben. Scripcaru signalisiert sogar Bereitschaft zu Gespräch und Kompromiss mit der Zivilgesellschaft nachdem diese vehement gegen einige Projekte der Stadtverwaltung protestierte: erwähnt seien vor allem das Tiefgarage-Projekt unter einem Teil des Zentralparks oder der Vorschlag zum Anlegen einer 11 km langen Forststraße durch Kronstadts Stadtwälder. Diese Projekte wurden vor der Debatte und Abstimmung im Stadtrat zurückgezogen und vorläufig verschoben. Sie hätten wahrscheinlich Scripcaru und die PNL viel mehr Wahlstimmen gekostet als eingebracht.
Was dem amtierenden Bürgermeister und der von ihm geleiteten Stadtverwaltung von seinen politischen Gegnern vorgeworfen wird, ist das Fehlen einer Vision über Entwicklungsperspektiven und Zukunft Kronstadts. Während Städte wie Großwardein/Oradea, Klausenburg/Cluj oder auch Hermannstadt/Sibiu Beachtliches in Bereichen wie Städtebau, Sanierung, neue Technologien, attraktive Investitionsförderungsmaßnahmen vorweisen können, bewegt sich in Kronstadt in diesen Bereichen sehr wenig, sehr langsam und sehr schwer. Ein Umschwung sei unter Scripcaru nicht zu erwarten; weitere vier Jahre mit ihm an der Spitze seien einfach vergeudete Zeit, sagt Scripcarus stärkster Gegenkandidat, Senator Allen Coliban (Union Rettet Rumänien – USR).
Viele Bewerber ums Bürgermeistermandat helfen eigentlich Scripcaru und der PNL denn so werden die Stimmen verstreut. Außer Coliban sind die bisher genannten Rivalen von Scripcaru ohne echte Chancen. Die Sozialdemokraten schicken wahrscheinlich den Arzt und Senatoren Florin Or?an ins Rennen oder verzichten sogar auf einen eigenen Kandidaten und unterstützen eventuell den ehemaligen Finanzminister Gheorghe Ialomitianu der als Kandidat der Liberaldemokraten (ALDE) auch auf andere Wahlbündnisse mit kleineren Parteien hofft. Mit im Rennen sind auch die beiden Vizebürgermeister Costel Mihai (PMP) und Laszlo Barabas (Ungarnverband), der parteilose Stadtrat Serban Sovaiala als Unabhängiger, Sorin Susanu (Pro România), Sebastian Grapa (seitens der Öko-Partei PER) und andere. Für das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt kandidiert Thomas Sindilariu, Vorsitzender des Stadtforums, für das Amt des Bürgermeisters – eine Kandidatur die das Forums-Wahlprogramm für Kronstadt sowie die Kronstädter Forumskandidaten für den Stadtrat einem möglichst breiten Wählerkreis bekannt machen soll und auf die die ADZ/KR in weiteren Berichten zurückkommen wird.
Die bisherigen Beziehungen zwischen den Deutschen aus Kronstadt (also Forum, evangelische Kirchengemeinde, DWK u.a.) und Bürgermeister Scripcaru hatten ihre Höhen und Tiefen. Scripcaru unterzeichnete vor Jahren mit der Honterusgemeinde einen Vertrag zur Gründung eines Vereins der sich die Rettung der Kronstädter Inneren Stadt zum Ziel setzt – eine Voraussetzung für die vorgesehene Neugestaltung des Honterushofes nach Plänen des Architekten Johannes Bertleff. Dass dieses Projekt nicht zu Ende geführt werden konnte, liegt eher an Finanzierungsschwierigkeiten und bürokratischen Hürden. Eine Lösung muss aber gefunden werden, woran vor allem die Honterusgemeinde großen Wert legt. Scripcaru und Stadtverwaltung waren und sind Partner des Deutschen Wirtschaftsklubs Kronstadt (DWK) in der Umsetzung des landesweit viel beachteten Projektes zur Ausbildung von Fachkräften im Rahmen der Dualen Fachschule Kronstadt. Stellungnahmen und Wortmeldungen desselben Scripcaru weisen ihn aber nicht auch als Unterstützer oder Freund des Honterus-Nationalkollegs aus. Für zusätzliche Spannungen sorgten auch die öffentlichen Kritiken die George Scripcaru immer wieder von Forums-Stadtrat Christian Macedonschi zu hören bekam, wobei aber auszugehen ist, dass es sich dabei um persönliche Standpunkte und Initiativen von Macedonschi handelte und nicht um die offizielle Position des Kronstädter Forums. Arnold Ungar, der zweite der beiden Stadträte seitens des Kronstädter Forums, setzt hingegen eher auf eine persönliche gute Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister und hofft dadurch, punktuellen Anliegen der Gemeinschaft (insbesondere der Bartholomäer evangelischen Kirchengemeinde) zum Erfolg zu verhelfen.
Scripcaru selber wird kaum in Wahldebatten auftreten und im Wahlkampf diskret bleiben, in der Annahme, dass seine Wiederwahl zum Selbstläufer wird. Manch seiner unbedachten Äußerungen („Wem es in Kronstadt nicht gefällt, der soll bitte umziehen.“ oder „Ich bin kein Viren-Jäger“) bereut er heute. Der gegenwärtige Bürgermeister setzt auf den Wunsch vieler Kronstädter die in der Scripcaru-Kontinuität kein Experiment befürchten und die das bewahren wollen, was sie bereits haben. Zu ihnen gehören auch der Beamtenapparat der Stadtverwaltung samt Familien und all jene die über Firmen oder Arbeitsplätze mit dem Bürgermeisteramt vertraglich verbunden sind. Versprechen und Visionen der anderen Kandidaten werden von jenen die dafür noch Interesse zeigen, eher als wirklichkeitsfremd und riskant betrachtet. Von der Politik, auch in ihrer Kronstädter Lokalvariante, erwartet man nicht viel, wobei gegenwärtig die Sorgen um die eigene Gesundheit nicht einfach ignoriert werden können.
Ralf Sudrigian
George Scripcaru beim Heimattreffen der Brenndörfer Sachsen (2016). Foto: der Verfasser
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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