Eine bezeichnende Geschichte
11.10.08
Eine bezeichnende Geschichte
Der Besuch einer Szeklerdelegation bei den Sachsen in Marienburg
Im Heft 9 des II. Jahrgangs der „Karpathen" (S.286) fand ich den folgenden Bericht über den Besuch einer Delegation ungarischer Landwirte in Marienburg. Leider wird nichts über den Grund dieses Besuches berichtet, auch nicht von wem die Initiative ausging. Folgten die Ungarn einer Einladung, war der Besuch von den jeweiligen Landwirtschaftsvereinen organisiert? Es wird uns darüber nichts gesagt. Bekannt ist, dass es in Siebenbürgen seit der Mitte des 19. Jahrhundert einen ungarischen Siebenbürgischen Landwirtschaftsverein und den sächsischen Siebenbürgischen Landwirtschaftsverein gab, die ein eher höfliches Nebeneinander als eine Zusammenarbeit leisteten. Wie dem auch sei, im Abstand von über hundert Jahren ist der Bericht immer noch lesenswert, zeigt er doch tiefe, bis heute bestehenden Unterschiede in der völkischen Mentalität auf und auch, immer wieder unterschwellig, den Neid, zumindest des Berichterstatters, dass es den Ungarn nicht gelungen ist, früher von den Sachsen zu lernen.
Wie gewohnt wurden eigene Erklärungen und Ergänzungen in / / gesetzt, Auslassungen mit /.../ angezeigt.
Und nun der Bericht:
Ausgehend von dem Grundsatze eines ebenso großen als guten Mannes, „dass man etwas harthörig sein müsse, wenn man Worte höre in denen ein Stachel zu liegen scheine, dass man aber rasch verstehen müsse, wenn sie ein freundschaftliches Gefühl aussprechen" sei hier einiges aus dem Bericht des reformierten Pfarrers Michael Megyaßai mitgeteilt, welcher am 20. und 21. Dezember v/origen/ J/ahres, 1908/ als Mitglied einer Szeklerabordnung unter der Führung Paul Benkös im vereine mit verschiedenen Landwirten des Háromszeker Komitates /heute Kreis Covasna/ und des Gebietes der Csángos /heute Kreis Harghita/ einen Ausflug nach dem im Burzenlande gelegenen Marienburg machte.
„Die sächsischen Landsleute von Marienburg", so schreibt er, „empfingen uns mit freundlichen Gefühlen und ihr Vorstand, Georg Stephani, begrüßte uns mit warmen Worten, als wir vom Zuge abstiegen. Von der Bahnstation führte uns der Weg direkt nach der Ackerbauschule. Die Gründungszeit dieser Anstalt geht zurück in die 70- er Jahre /des 19. Jh./. Die Schule besteht aus einem 32 Joch /18,41 ha/ großen Grundstücke mit 16 Quadratklafter /57,56 m/ großen Täfelchen /Parzellen/ und ist eigentlich ein Versuchsfeld der Sachsenschaft. Dreizehn Gemeinden /die 13 sächsischen Gemeinden des Burzenlandes/ haben sie /die Ackerbauschule/ errichtet und mit einem Jahresbudget von 26 - 30.000 K /Kronen/ arbeitet sie und erteilt 18 jungen Leuten (darunter drei Magyaren) praktischen, fachgerechten Unterricht im Landbau. Fünf Lehrkräfte mit einer jährlichen Bezahlung von 14.000 K beschäftigen sich mit der Erschließung der Schätze des sächsischen Bodens und erteilen Tag für Tag der ackerbautreibenden Bevölkerung die nötigen Ratschläge und Belehrungen. Ihre Gebäude und Einrichtungen sind möglichst einfach, selbst den Schein jeglichen Luxus vermeiden sie von ferne."
Darauf unterzieht der Berichterstatter in eingehender (aber durchaus anerkennender) Weise ihre landwirtschaftlichen Maschinen und Gerätschaften einer fachkundigen Besprechung und fährt also fort:
„In hohem Grade überrascht war unsere Gesellschaft, dass sie /die Sachsen/ eine so wunderbare Einrichtung aus eigener Kraft gegründet und erhalten haben, dass die einzelnen Gemeinden ihre Beitragsleistungen vierteljährlich ohne jeglichen Hader schön regelmäßig einsenden.
Unser einfaches Abendessen genossen wir gemeinsam in dem großen Saal der Gemeinde, welcher doppelt so groß ist, als der große Saal des Kézdivásárhelyer /Târgu Secuiesc/ Rathauses. Die 2.200 Einwohner zählende Gemeinde trägt sich mit dem Gedanken einen größeren Saal zu bauen. Hier halten sie ihre Hochzeiten, hier kochen und braten sie in eigens zu diesem Zweck hergerichteten Küchen. 200 – 300 Gäste kommen in der Regel zusammen und jeder von ihnen gibt dem jungen Paar 10 – 20 K, welche sie sich anmerken und bei gegebener Gelegenheit zurückerstatten.
Während des Abendessens spielte ein Bläserchor schöne Weisen und launige Bechersprüche würzten de behagliche Stimmung der Gesellschaft.
In dem durch die Gemeinde erbauten Hause wohnt ein Wirt für 5.555 K 55 h /Heller/; hier befindet sich auch das Kasino in zwei Zimmern mit 80 Mitgliedern und, obgleich es der Gemeinde keine Miete zahlt, so setzt doch kein Eindringling dorthin seinen Fuß; wir Szekler würden überall hineindringen, zumal in einem öffentlichen Gebäude, indem wir ganz keck sprächen: Einen Ziegelstein habe auch ich hier eingelegt. Bei den Sachsen kommt dergleichen nicht vor. /!/
Der Mitgliedsbeitrag beträgt 6 K; wer ihn erlegt, kann das Lokal besuchen, sonst niemand. Zeitungen beziehen sie deutsche, auch 2 – 3 magyarische darunter."
Im weiteren Verlauf bespricht der Berichterstatter dann, wie sie in praktischer Art in einer eigenen Milchhalle die zum Verkauf bestimmte Milch einsammeln und zum Verkauf bringen. Hieran knüpft er folgende Bemerkung: „Für erwähnenswert halte ich ferner, mit welcher Anständigkeit die Mitglieder beim Messen vorgehen. Obwohl sie auch vorher zu Hause messen, so nehmen sie ein unvolles Liter nicht zurück, unbekümmert darum, ob man in der Milchhalle ein solches in Betracht nimmt oder nicht. Überhaupt reizt ein halbes oder viertel Liter 'mehr' ihre Gemüter nicht, was bei uns /den Magyaren/ sicherlich eingeschlagene Köpfe, schwere körperliche Verletzungen hervorriefe.
Kuhmilch kostet das Liter 16, Büffelmilch 20 h. Die Zahlung erfolgt monatlich; doch kommen für Verwaltungskosten, Schuldentilgung und anderes dergleichen 15 Prozent in Abzug. Die Sachsen besitzen soviel Einsicht, dass sie nicht glauben, man 'stehle' ihnen dies, sondern dass das Interesse der Vereinigung und ihr eigenes wohlverstandenes dies so fordern.
Dann besichtigten wir mehrere Grundstücke und Stallungen in der Gemeinde. Die Sachsen wohnen auf kleinen, sich in Streifen hinziehenden Gütern oder Höfen. Ihre Gebäude aber sind nicht zerstreut, sondern stehen in schöner Ordnung /nach dem fränkischen Gehöfttyp/. Sie sind mit Mauer- und Dachziegeln gebaut, haben Zementstallungen mit muldenförmig angelegten Zementmistgruben mit dazu gehörigen Jauchepumpen. Diese Mistgruben ziehen sich hinter dem Stalle des Nachbarn hin, aber deshalb führen sie keinen Streit miteinander, sondern sie versehen sie mit 10 cm starkem Zementbewurf und so ist auch der Nachbar geschützt.
Ihr Viehstand ist staunenswert. Für jedes Joch Ackerland halten sie ein Stück Vieh und obwohl ihr Futter nicht so besonders ist (Rübenschnitzel, Häckerling) /hier irrt der ungarische Berichterstatter - das von ihm genannte Futter, mit Melasse und Rüben eignet sich vorzüglich zur Viehmast/, so tritt das Ergebnis regelmäßig eingeteilten und zugemessenen Futters doch sehr deutlich zu Tage an dem großartigen Mastvieh. Ihre Stierzucht ist außerordentlich entwickelt. Schweinerassen sind zwei verbreitet: Yorkshire und Berkshire. Ihre /Schweine/Ställe sind rein, hell und von manchem sagten wir, bevor wir eintraten: sieh dort! Welch nettes Backhaus! Der Lohn für Knechte ist nicht übermäßig, 150 – 170 Gulden auf das Jahr. Mit Haus- und Wirtschaftsgeräten sind sie reichlich versehen.
Sie sind schon längst über den Standpunkt hinaus, auf dem wir jetzt stehen, dass sie sich in wirtschaftlichen Vereinigungen /Genossenschaften/ gemeinschaftlich Maschinen kommen lassen und verwenden.
Dort weiß schon jeder Landwirt, dass man bei derlei Geräten keine Auslagen /Ausgaben/ scheuen soll. Kostspieligere und größere Geräte /dazu gehörten vor allem Dreschmaschinen und Silierkolonnen/ aber beschaffen sie sich heute noch gemeinschaftlich. Ihre Viehwaage steht dort unter Dach auf der Hauptstraße und die 900 K /teuere/ Waage bringt wöchentlich 10 bis 12 K ein. Für Schweine und Rinder zahlen sie stückweise 10 h, die Last der einzelnen Fuhren wird nach dem Zentnergewicht bemessen und bezahlt.
Hier kauft und verkauft man allgemein nach dem Gewicht. Abgewogen verschicken sie in den Monaten Februar, März und April ihre 100 – 120 Kilo schweren gezüchteten Schweine in 80 – 100 Waggons verladen nach dem Pester /Budapest/ und Wiener Markte. Erwähnenswert ist der Stierhof der Gemeinde, wo 14 Stück feuriger Stiere schnauben in sorgfältig und praktisch getrennten Abteilen. Für zwei Stiere zahlte die Gemeinde 2.800 K. Auch die Eber sind alle in hohen, eisernen Käfigen untergebracht."
Zum Schluss bespricht er auch ihre Schulen und ihre Selbstbesteuerung und sagt: „Zu Schulzwecken haben sie sich eine große Selbststeuer auferlegt. Auf eine 1.000 K betragende Lehrerbesoldung /man beachte, ein Knecht erhält 150 Gulden, der Lehrer 1.000 K!/ sind 150 K Besteuerung angesetzt und es gibt Leute welche 2- 300, ja sogar 400 K Steuern zahlen, aber deshalb schimpft man hier nicht über den Pfarrer und die Lehrer, ja auch seinem Glauben wird darum niemand untreu. Das ist das Ergebnis des Zusammenhaltens, der Verständigkeit und des Fleißes.
Ihre Kinder besuchen 8 – 9 Jahre die Gemeindeschule. Mit 15 – 16 Jahren werden sie konfirmiert und bleiben hernach im Rahmen der Bruder- oder Schwesternschaft, welcher beizutreten sie bei sonstiger Strafe von Seitens des Ortsamtes verhalten werden. Religionsunterricht erteilen ihnen die Lehrer und gehen ihnen in Sachen der Kirche voran. Das Erträgnis ihrer Tanzunterhaltungen verwenden sie für Zwecke der Jugend (doch nicht zum Vertrinken), zu einem Fonde für Ausflüge und veranstalten davon jährlich vergnügliche und nützliche landwirtschaftliche Studienreisen.
So wachsen sie hinein in die verschiednen Vereinigungen, von denen eine der großartigsten Gestaltungen der das ganze Sachsentum einschließenden landwirtschaftliche Verein mit dem Hauptsitz in Hermannstadt ist. Dieser zerfällt in 16 Kreise, die Kreise bestehen aus den einzelnen Gemeinden. Die Zahl der Mitglieder beträgt 11.000. Der Mitgliedbeitrag beträgt 4 K. Hievon verbleibt dem Ortsverein bloß eine Krone, eine Krone fällt dem Kreise und zwei Kronen der Zentrale zu. Na, wir würden dergleichen tun! Wir würden darüber disputieren, mit welchem Rechte der Kreis und die Zentrale es wage, derlei zu verlangen!?
Doch der Wille ist überall im Stande große Dinge zu verrichten. Ihre Straßen sind offen, gerade und von mächtiger Breite. Das Wasser erhalten sie durch eine Leitung von 26 km Entfernung.
Wohlstand und Zufriedenheit liest man in ihrem Antlitz; Ordnung, Sauberkeit und Einfachheit spiegelt sich wider allenthalben in der Umgebung ihres Hauses. Doch ich möchte diesen Bericht nicht durch eigene Bemerkungen noch länger gestalten. Ich sage einfach, dass wir 30 und etliche Szekler Ausflügler aus dem Staunen gar nicht heraus kamen über die entwickelte Landwirtschaft unserer sächsischen Nachbarn, über ihren wunderbaren Tierstand, ihre große Intelligenz. Es sind dies märchenhaft klingende Dinge, aus denen man aber lernen, Klugheit schöpfen kann.
Wir Szekler sind noch schrecklich weit zurück. Ich für meine Person bin seit meiner Heimkehr beinah desperat und frage mich beständig: Was sind wir, wo stehen wir, wohin treiben wir? Wartet Leben oder Tod auf uns? Eigensinn, Verblendung, dünkelhaftes Geflunker, Verdächtigungen, Misstrauen, herrisches Großtun: das ist unsere Sünde, das ist unser Fluch.
Legen wir diese 'falschen Tugenden' (virtus) von uns ab, so wartet Wohlstand, Zufriedenheit, Leben auf uns, wenn aber nicht, so werden wir wie unwürdige Geschöpfe von diesem Erdboden verschwinden und andere werden unsern Platz einnehmen.
Klopfen wir nicht fort und fort an die Türen der Behörden, sondern beschäftigen wir uns ernstlich mit der schrecklich ernsten Frage des nationalen Seins oder Nichtseins. Bis dahin aber nehmen wir den Hut ab vor unsern sächsischen Brüdern, die uns im Lernen, im Fleiße, in der Opferwilligkeit ein so schönes, herrliches Beispiel aufgestellt haben."
In der Zuversicht aber, dass solch reichlich, vielleicht überreichlich gespendetes Lob weder einem Sachsen noch aber dem freimütigen Berichterstatter irgendwelchen Schaden bringe, wohl aber dem den Szekler und Sachsen gemeinsamen Vaterland Ungarn Nutzen, schließen wir hier diesen Bericht ab.
Soweit der Beitrag in den „Karpathen“
Der obige Bericht erscheint in einer Zeit, als der offizielle ungarische (Einheits)Staat alles versuchte, die Minderheiten zu assimilieren. So erscheint das fast überschwängliche Lob, das ein Ungar den Sachsen singt, fast anachronisch.
Daneben ersehen wir aber auch einige andere interessante Aspekte. Die Erwähnung des Kasinos ist ein solcher. Es konnte sich damals nicht jeder ein oder mehrere eigene Zeitungsabonnements leisten, so war eben im Kasino die Möglichkeit gegeben, gleich in mehrere Publikationen Einsicht nehmen zu können.
Eine andere bemerkenswerte Tatsache ist die Beschreibung der Bauweise der sächsischen Gehöfte. Uns ist diese Einteilung selbstverständlich, die ungarischen Gäste waren von der Rationalität und von der Ausführung, auch der einfachen Wirtschaftsbauten, beeindruckt. Das heißt, dass auch in der Nähe des sächsischen Siedlungsgebietes, noch archaisch gebaut wurde. Das kann man auch heute noch beobachten: in vielen Dörfern im Kreise Covasna, der alten Háromszék, kann man noch Häuser sehen, die keinen Rauchfang haben, bei denen der Rauch einfach aus dem mit Schindeln gedeckten Dach austritt, unter dem die Esse des offenen Herdes mündet.
Nicht zuletzt verdient die Bemerkung Beachtung, dass nur sehr teuere und von dem Einzelnen nicht voll nutzbare Geräte, wie Dreschmaschinen und die dazu nötigen Antriebe, meist eine Dampflokomobile, gemeinschaftlich angeschafft werden. Alle andern Geräte und Maschinen, wie Pflug, Egge, Drillmaschine, Kultivator usw. besitzt jeder einzelne Bauer.
Ich hoffe, dass dieser Rückblick in eine Vergangenheit, die für viele von uns als „gute alte Zeit“ erscheint, einiges Interesse erweckt hat.
Auswahl und Kommentar von Erwin Hellmann
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.10.24
Abschluss der Restaurierungsaktion im Rahmen der Vortragsreihe „Kulturerbe hautnah“ öffentlich vorgestellt
[mehr...]
25.10.24
Zum Band von Alfred Schadt: Zwischen Heimat und Zuhause. Betrachtungen eines Ausgewanderten
[mehr...]
25.10.24
Marienburg im Burzenland hat seit Kurzem ein amtlich bestätigtes Ortswappen/Von Wolfgang Wittstock
[mehr...]