Erinnerungen an dunkle Zeiten
25.01.18
Die Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu hat wahre Geschichten aus ihrer Kindheit in Filme verwandelt
Im Kinosaal ist es still. Die Zuschauer halten den Atem an. Auf der Leinwand spielt sich eine spannende Geschichte ab. Sie handelt von einer illegalen Flucht über die Donau während des Kommunismus. Beim Rumänischen Filmfestival 2017 in München liefen am Sonntag, dem 19. November, zwei Filme der aus Rumänien stammenden Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu. Viele der Zuschauer an diesem Abend kennen manche Details aus dem Film nur zu gut. In einem anschließenden Publikumsgespräch erzählen sie davon. Auch die Regisseurin ist da. Anca Miruna Lăzărescu hat es geschafft, sich in Deutschland einen Namen zu machen. Ihre Kindheitserfahrungen hat sie in in eine Filmsprache verwandelt, die Menschen bewegt.
Der meistprämierte deutsche Kurzfilm aller Zeiten
Es ist 1986 in Temeswar. Auf dem Pausenhof in der Lenauschule unterhalten sich die Kinder. Über Klassenkameraden, die plötzlich verschwunden sind. Über Nachbarn, die über die Donau geflüchtet sind, nach Jugoslawien. Über einen Tulpenhändler, der Menschen hilft, in die Bundesrepublik zu flüchten- gegen viel Geld. Anca Lăzărescu ist acht Jahre alt. Mit solchen Geschichten ist sie aufgewachsen. Im Dezember 1989 wird die kommunistische Diktatur gestürzt. Kurz nach der Wende reist Anca mit ihren Eltern in den Westen aus, nach Deutschland- ein Land, dessen Sprache sie aus der Schule kennt. Zwei Jahrzehnte später, als Anca Miruna Lăzărescu auf der Filmhochschule in München Regie studiert, kommen die Geschichten ihrer Kindheit wieder hoch. Eine davon, die von einer illegalen Flucht über die Donau während des Ceauşescu-Regimes handelt, wird zum meistprämierten deutschen Kurzfilm aller Zeiten: „Stille Wasser“. Im Jahr 1986 wollen die beiden Rumänen Gregor und Vali über die Donau nach Jugoslawien flüchten. Auf dem Weg zum rettenden Fluss werden sie jedoch von einem Grenzposten angehalten. Ihr Auto wird durchsucht. Erschossen werden oder Gefängnis - das sind die zwei Alternativen, sollte der Polizist Valis schwangere Frau entdecken, die dieser im Kofferraum versteckt hat. Diese Geschichte ist wahr. Anca hat sie als Kind von einem Freund ihrer Familie mehrmals gehört. „Ich wollte unbedingt von der Zeit erzählen, an die ich mich sehr vage und doch eigentlich sehr intensiv erinnere, das sind die 1980 Jahre, die sogenannte schwarze oder dunkle Periode, in der ich meine Kindheit verbracht habe“, meint die Regisseurin.
48 Stunden für eine lebenswichtige Entscheidung
Weltweit wird der Kurzfilm“ Stille Wasser“ mit mehr als 80 Preisen ausgezeichnet und auf Festivals in der ganzen Welt gezeigt. Die Erwartungen an den ersten abendfüllenden Spielfilm von Anca Miruna Lăzărescu sind hoch. Die Regisseurin entscheidet sich wieder einmal für eine wahre Geschichte, die sie nie losgelassen hat, die sie unbedingt erzählen will. „Mein Vater hat mir diese Geschichte sehr häufig erzählt, ich war Kind, und die hab ich immer nicht begriffen. Bei uns zu Hause wird immer wahnsinnig viel gestritten, wir sind vom Balkan und bei uns flogen häufig Fetzen und Teller, aber immer wenn es um diese Geschichte ging, gab es so eine Melancholie im Raum, und da wurde man immer eher still“, erinnert sich Lăzărescu. Die Familie des Vaters der Regisseurin wollte 1968 in der DDR Urlaub machen. Kaum angekommen, rollen jedoch sowjetische Panzer ein, die Grenzen werden dicht gemacht. Die Familie kommt in ein Auffanglager. Dort erreicht sie die Nachricht, dass eine Rückreise nach Rumänien über den Osten ausgeschlossen sei. Stattdessen erhält die Familie ein 48-Stunden-Visum für den Transit über die BRD. Und damit die Chance, zu entscheiden, ob sie im Westen bleibt oder in die Heimat Rumänien zurückkehrt.Der Vater der Regisseurin musste damals als 18jähriger diese Entscheidung treffen. Zu Hause wartete seine Freundin Nelly auf ihn. Er entschied sich, zurückzukehren. Für sie.
„Mein Vater hatte eher so eine Traurigkeit und hat sich immer gefragt: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn er sich damals anders entschieden hätte. Nun bin ich also damals mit einem Vater großgeworden, der eigentlich diese Entscheidung bereut hat und das hat mich natürlich als Filmemacherin und auch als Mensch und Tochter sehr tief berührt“, meint Anca Miruna Lăzărescu.
„Das waren Zeiten, die so unfassbar andere Spielregeln hatten“
Auf dieser Geschichte beruht auf leicht abgewandelter Form das Drehbuch des Spielfilms „Reise mit Vater“. So entsteht der Film „Die Reise mit Vater“, der 2016 seine Weltpremiere in München feierte. Zwei total verschiedene Brüder aus Arad wollen im Jahr 1968 ihren kranken Vater in der DDR operieren lassen. Doch kaum ist das Männer-Trio dort, marschieren die russischen Truppen in die Tschechoslowakei ein, und der direkte Rückweg nach Rumänien ist versperrt. Dann passiert das Unglaubliche: Auf Druck der rumänischen Botschaft erhält die Familie ein Transitvisum, der Weg nach Westdeutschland ist frei.
Der Film begeistert gleichermaßen Kritik und Publikum. 2016 tourt er durch die Welt. Am emotionalsten ist die Premiere in Rumänien. Im Publikum sitzt dort die wirkliche Nelly, die damalige Freundin des Vaters. „Mein Vater und Nelly haben sich ja dann ziemlich bald auch getrennt und Nelly wurde nicht meine Mutter. Ich habe sie dann ja zur Recherche des Films getroffen und gefragt, ob sie weiß, dass mein Vater auch wirklich mindestens zu 50% für sie zurückgekehrt ist. Und das Interessante ist, sie wusste das gar nicht so genau. Sie haben nie mehr so richtig darüber geredet, weil das alles belastet war. Man durfte nicht darüber reden. Auch schon allein einen Freund zu haben, der 48 Stunden oder mehr im Westen verbracht hat. Da haben die Eltern völlig zurecht gesagt: Der Junge hat Probleme, lass mal die Finger von dem. Das waren Zeiten, die so unfassbar andere Spielregeln hatten, dass es wirklich schon sehr gut ist, im Zuge der „Anti-EU-Gespräche und sollen wir die Grenzen wieder zuziehen“ schon sinnvoll ist, wieder sich daran zu erinnern, wie wir mal gelebt haben oder wie unsere Eltern mal gelebt haben“, meint die Filmemacherin.
Ode an die deutsche Provinz
Zurzeit dreht Anca Miruna Lăzărescu ihren zweiten Spielfilm. „Glück ist was für Weicheier“ spielt nicht mehr in Rumänien, sondern in der deutschen Provinz. Es ist genau die Provinz, wohin Anca 1990 als Elfjährige zog, aus einer rumänischen Großstadt. Der neue Film handelt von einer 12jährigen, dessen große Schwester an einer schweren Krankheit leidet. Jessica möchte nicht zusehen, wie Sabrina stirbt. Stattdessen hat sie den Plan, die Todkranke zu heilen. Und dieser Plan klingt sehr originell.
„Das ist durchaus wieder ein Stück von mir, aber ein wahrscheinlich viel kleineres. Es ist ein Film über zwei Schwestern und ich glaube, es ist ein sehr poetischer Film, wo ich noch viel mehr das machen will, was mir eigentlich auf der Seele brennt. Nämlich Lachen und Weinen ganz nah aneinander zu bringen und weiterhin in der Erzähltradition zu bleiben, in der ich großgeworden bin“, meint Lăzărescu. Über die Entscheidung ihrer Eltern, 1990 nach Deutschland auszureisen, freut sich die Filmemacherin heute. Diese Erfahrung hat sie bereichert. Sonst wäre sie nicht der Mensch, der sie heute ist. Und hätte nicht so viele Geschichten zu erzählen.
Elise Wilk
Der Spielfilm “Reise mit Vater“ hatte Erfolg bei Krtitik und Publikum Foto: Filmallee GmbH
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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