Es begann mit der „Kronstädter Sparkasse“
08.01.09
Die Entstehung und Entwicklung des Genossenschaftswesens der Siebenbürger Sachsen bis 1936, kurz gefasst / Von Dr. Johann Böhm
Die hartnäckigen Kämpfe der Madjaren gegen die kleine, aber fest zusammengeschweißte sächsische Nation hatten die besten Kräfte der Siebenbürger Sachsen zur Abwehr gebunden und aufgerieben. Als noch wirtschaftliche Schwierigkeiten hinzukamen, hervorgerufen durch die neuen Verkehrsverhältnisse und die damit eintretende westeuropäische Konkurrenz vor allem für das hochentwickelte sächsische Gewerbe, geriet die sächsische Volksgruppe immer mehr in Bedrängnis. Zunächst begann sich neues Leben im Burzenland zu regen: 1837 wurde die „Kronstädter Sparkasse" gegründet. 1841 erfolgte die Gründung der „Hermannstädter allgemeinen Sparkasse". In Hermannstadt, Kronstadt und anderen sächsischen Städten wurden Gewerbevereine geschaffen. Durch die Errichtung des „Siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaftsvereins" (1845) wurde schließlich das Vereinsleben auch in die Dörfer getragen. Um der Landwirtschaft billige Kredite beschaffen zu können, rief der Landwirtschaftsverein 1872 die „Bodenkreditanstalt in Hermannstadt" ins Leben. Nicht zuletzt hatte sich aber der Landwirtschaftsverein damit ein Institut schaffen wollen, um die Finanzierung seiner Aufgaben sicherzustellen. Dies war auch aus der Bestimmung des Statuts der Bodenkreditanstalt über die Verteilung des Reingewinns (§ 36) ersichtlich: 1) 10 Prozent der Oberverwaltung des Siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaftsvereins zur freien Verfügung, 2) 10 Prozent dem Direktionsrat zur Honorierung seiner Mitglieder, 3) 50 Prozent zur Stärkung der Reserven, und 4) 30 Prozent für gemeinnützige Zwecke oder ebenfalls zur Vermehrung der Reserven.
Die Anstalt war „ein auf dem Prinzip der Selbsthilfe und Gegenseitigkeit beruhender Kreditverein (Genossenschaft) mit dem Sitz in Hermannstadt und auf unbestimmte Dauer begründet, um seinen Mitgliedern die Benutzung des Hypothekarkredits zu erleichtern (§1). Die Anstalt unterschied zwischen gründenden, die mindestens einen Gründungsanteil besaßen, und ordentlichen Mitgliedern, d.h. den Darlehensnehmern, deren Mitgliedschaft mit der Rückzahlung des Darlehens erlosch. In der Vorkriegszeit (1914-1918) hatte die Genossenschaft fast ausschließlich Hypothekargeschäfte betrieben. Die Bedeutung der Anstalt für den sächsischen Liegenschaftsverkehr im Jahre 1914 zeigen folgende Angaben aus dem Geschäftsbericht das gleichen Jahres: „Zur Sicherung von 7022 Darlehen in dem Ende 1914 noch außenstehenden Betrage von 85.440.624,53 Kronen (1 K = rund 34 Lei) dienten die dafür ursprünglich verpfändeten Liegenschaften in 58 Komitaten und 23 größeren Städten im Gesamtwert von 221.331.023,45 K."
Die Mittel in der Vorkriegszeit wurden durch Ausgabe von Pfandbriefen in ungarischen Städten, Wien, Prag und Berlin aufgebracht. Außer der Abwicklung der alten Geschäfte wurden in der Nachkriegszeit nur noch wenige langfristige Geschäfte durchgeführt. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren gab die Anstalt fast ausschließlich kurzfristige Darlehen auf Kontokorrent, gegen Wechsel, aber auch Lombard aus. Wenn auch einige Gelder hypothekarisch gesichert waren, so hatte das doch mit den ehemaligen eigentlichen Aufgaben der Anstalt wenig zu tun. Die notwendigen Mittel beschaffte sie sich durch Aufnahme von Spareinlagen. Da die Anstalt nicht mehr in der Lage war, ihre einst gestellten genossenschaftlichen Aufgaben zu erfüllen, wandelte sie sich 1929 in eine Aktiengesellschaft um.
Im Jahre 1920 errichtete die Bodenkreditanstalt einen Kartoffelverwertungsbetrieb, die „Amylon"-Aktiengesellschaft, die derzeit ein Aktienkapital von 25 Millionen Lei und über 1 Million Lei Reserven hatte. Der Betrieb hatte eine Stärke- und eine Sirupabteilung. Da bei der Errichtung des Fabrikgebäudes Mangel an Arbeitskräften bestand, verrichteten die Schüler der evangelischen Mittelschulen die Handlangerdienste, damit der Betrieb bald aufgenommen werden konnte.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fasste unter den Sachsen das Genossenschaftswesen Schulze-Delitzschen Systems Fuß. 1852 wurde der „Bistritzer Spar- und Vorschussverein", 1862 ein gleicher in Mediasch und der „Schäßburger Gewerbe-, Spar- und Vorschussverein" u. a. gegründet. Auch auf dem Lande entstanden Schulze-Delitzsche Kassen: 1867 ein Spar- und Vorschussverein in Großpold, 1870 in Windau, 1872 in Zeid, 1874 in Schellenberg usf. In jene Jahre fiel die Gründung des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes" (1874), das von dem 1849 in Schäßburg geborenen Dr. Carl Wolff geleitet wurde. Das Blatt wurde das führende politische deutsche Organ. Dr. Carl Wolff erkannte sehr bald, dass die Rettung des sächsischen Volkes nicht allein auf politischer Ebene durchführbar war, dass man vielmehr nach neuen Formen in der Wirtschaft Umschau halten musste. 1883 wurde er zum Vorstand der Hermannstädter allgemeinen Sparkasse gewählt, die er sofort reorganisierte. Es wurden neue Geschäfte aufgenommen, das Lombardgeschäft, Wechselkredit an Geldinstitute, Amortisationshypothek, um die Kassa so zu gestalten, dass sie imstande war, dem Volke dienen zu können. 1885 wurde Dr. Carl Wolff schließlich zum Direktor der Sparkasse gewählt. Unter seiner Leitung wurde die Anstalt zur ersten Genossenschaft des Landes. Daran änderte auch die Umwandlung des alten Sparkassa-Vereins in eine Aktiengesellschaft nichts. Der Reingewinn wurde nur zur Stärkung der Reserven und zu Zuwendungen für gemeinnützige und wohltätige Zwecke benutzt. Die Aktionäre erhielten niedrige Dividende. Hierbei wurde der alte österreichische Gulden nur mit 70 Lei und die frühere österreichische Krone mit 35 Lei berechnet.
Da die sächsische Bevölkerung überwiegend von der Landwirtschaft lebte, versuchte Dr. Carl Wolff sich in erster Linie dem Bauerntum zuzuwenden. Einen Helfer in all den wirtschaftlichen, sozialen und nationalen Nöten seines Volkes erblickte er in Raiffeisen. Die Anregung gab ihm Raiffeisens Buch. Bei den Siebenbürger Sachsen konnten sich die Gedanken Raiffeisens sehr gut auswirken, was dann auch geschah. In Raiffeisen sprach ein verwandter Geist nicht allein zu Dr. Carl Wolff, sondern zum ganzen sächsischen Volk. Auf diese Weise wurde in den Genossenschaften nicht nur eine äußere Organisationsform übernommen. In welcher Weise Dr. Carl Wolff das Raiffeisensche Gedankengut angewandt wissen wollte, geht aus einer Äußerung hervor, die er im Jahre 1888 über die Bedeutung von Raiffeisens Buch machte: „Dieses Buch sollte als ein Wegweiser des praktischen Christentums in dem Hause eines jeden, welchem Amt und Ambition die Rolle des Führers einer Landgemeinde zuteilt, den Ehrenplatz neben der Bibel einnehmen und ebenso eifrig wie diese gelesen werden; namentlich sollte es in keinem sächsischen Pfarrhaus fehlen dürfen".
Im Herbst 1885 gründete Dr. Carl Wolf die ersten Raiffeisenkassen in Großscheuern, Frauendorf, Arbegen und Reußmarkt, also ein Jahr früher als die erste sudetendeutsche Raiffeisenkasse. Im Frühjahr 1886 erfolgten weitere Gründungen in Rothberg, Girelsau, Waldhütten und Zendersch. Da Dr. Wolff kurze Zeit vor der Gründung der ersten Raiffeisenkassen Direktor der Hermannstädter allgemeinen Sparkasse geworden war, war die Möglichkeit gegeben, die Sparkassen zum Mutterinstitut des Genossenschaftswesens zu machen. Alle Spar- und Vorschussvereine, wie man die Raiffeisenkassen auch nennt, erhielten billigen Betriebskredit (5 Prozent). Bereits am 19. Juli 1886 schlossen sich diese acht Genossenschaften zu einem Verband zusammen. Somit war die siebenbürgisch-sächsische Raiffeisenorganisation die älteste außerhalb der Grenzen des deutschen Altreiches. Der Anwalt wurde selbstverständlich Dr. Carl Wolff. Damit wurde von Anfang an die Personalunion zwischen der Hermannstädter allgemeinen Sparkasse und dem Genossenschaftsverband hergestellt, so dass dadurch für den Verband zunächst die Beschaffung der Betriebsmittel gelöst war. Eine weitere Unterstützung erfuhr er, indem die Sparkassen aus ihren Reihen Beamte zur Durchführung der Revision der Genossenschaften stellte. Ende 1936 gehörten dem Verbande an: 185 Raiffeisenkassen mit rund 17.400 Mitgliedern, 56 Konsumvereine mit rund 4.400 Mitgliedern, 2 Kellervereine, 1 Molkereigenossenschaft und 1 Bäckereigenossenschaft. Die Mitglieder der Konsumvereine waren zumeist auch Mitglieder der Raiffeisenkassen. Lediglich in vier Konsumvereinsgemeinden bestanden keine Raiffeisenkassen, das betraf rund 200 Mitglieder. Die anderen Verbandsgenossenschaften (Molkerei-, Bäckereigenossenschaft usw.) hatten etwa 900 Mitglieder, worunter sich nur wenige sogenannte Doppelmitgliedschaften befanden. Die gewerblichen Genossenschaften zählten 330, die Gruppe der Bausparkassen (einschließlich „Selbsthilfe") erfassten etwa 2.300 Mitglieder. Insgesamt waren rund 25.400 Personen von den Genossenschaften mitgliedsmäßig erfasst. Wenn man davon die Mitgliederzahl der Konsumvereine abzieht, so verbleiben rund 21.000 einfache Mitgliederschaften. Bei einer deutschen Bevölkerung Siebenbürgens von rund 250.000 Seelen bedeutete das, dass jede elfte bis zwölfte deutsche Person in einer Genossenschaft Mitglied war.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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