Fünf Jahre Arbeitslager (Auszug)
15.01.15
von Helene-Martha Kopony
2013 erschienen im Kronstädter Verlag „aldus“ (Marktplatz/Piata Sfatului 18) in deutscher und rumänischer Sprache die Erinnerungen von Helene-Martha Kopony an die in Dnjepropetrowsk verbrachten Deportationsjahre. Der Band trägt den Titel „Fünf Jahre Arbeitslager“ und kann zum Preis von 19 Lei gekauft werden. In dem von Christine Chiriac redigierten und ins Rumänische übersetzten Text schildert Martha Kopony (1925 in Rosenau geboren) die Umstände unter denen sie und ihre Schwester deportiert wurden, die Hinfahrt sowie das Leben im Lager samt Fluchtversuchen. In unserem Auszug werden die letzten Deportationsmonate, sowie die Rückkehr in die Heimat beschrieben, mit einigen der nicht wiedergutzumachenden Folgen dieses Schicksalsschlages.
Saporoschje
Es war September 1949. In unserem Lager suchte man etwa zweihundert Personen aus, die einigermaßen noch bei Kräften und arbeitsfähig waren und führte sie nach Saporoschje, südlich von Dnjepropetrowsk, zur Arbeit. Dort hatte ein Lager „den Fünfjahresplan” nicht erfüllt und diese Arbeit sollte nun termingerecht ausgeführt werden. Meine Schwester und ich waren dabei.
Diejenigen, die in Dnjepropetrowsk geblieben waren, durften schon bald nach Hause fahren, aber wir blieben noch etwa drei Monate in Russland. Nach Saporoschje fuhr man uns mit Lastern. Als wir ankamen, waren wir sehr enttäuscht: Es herrschte eine schreckenerregende Stimmung. Wir sahen gleich bei unserer Ankunft einen Mann, der neben dem Laster stand, uns anstarrte und sich über die Stiefel mit einer kleinen Lederpeitsche schlug - ein schauerlicher Mensch mit einem ordinären Grinsen, wie ich sofort bemerkte. Ich sprang aus dem Laster auf der anderen Seite herunter und mied ihn. Im Lager waren Banater untergebracht und sofort kamen Frauen zu uns und machten uns aufmerksam, dass wir uns „vor der Gefahr” hüten mussten: Der Mann hielt die Frauen in Ketten gebunden und vergewaltigte sie, obwohl deren Männer im selben Lager lebten. Er konnte ein wenig Russisch, spielte deshalb den großen Chef und verbreitete Terror unter den Menschen. Er trug keine Uniform, er war kein Russe, sondern ebenfalls ein Banater, „einer von uns”!
Wir konnten uns entscheiden, ob wir in der Nacht oder am Tag arbeiten wollten – aber schon als ich das erste „Passt auf” von den Leuten gehört hatte, wusste ich, dass ich mich für die Nachtschichten melden würde. Wir haben Hochleitungsmäste einbetoniert – es kam ein Auto mit fertig gemischtem Beton, wir mussten die großen Flächen dann ausgleichen. Es war weder anstrengend, noch gefährlich. Der Herbst verging schnell, es wurde immer kälter, aber wir waren längst nicht mehr so empfindlich und hatten uns in all den Jahren an so Manches gewöhnt – sogar an den russischen Winter.
Saporoschje war unsere letzte Station in Russland. Am 11. Dezember sind wir von dort wieder einwaggoniert und nach Hause transportiert worden. Wie auch bei der Fahrt von Kronstadt nach Russland, wussten wir nicht genau, in welche Stadt wir gebracht werden – eines Tages wachten wir in Sighet auf. Die Heimfahrt war allerdings „bequemer” - ich erinnerte mich, dass ich vor fünf Jahren mit den Knien am Mund gefahren war, weil der Waggon vor so vielen Menschen platzte. Jetzt allerdings saßen wir in einem fast leeren Zug. Es waren nur noch sehr wenige übrig geblieben. Ich fragte mich, wo die anderen waren. Waren alle Tausenden von Menschen gestorben oder krank nach Hause geschickt worden? Waren wir die Letzten, die noch in Russland geblieben waren?
Auf der Heimfahrt erlebten wir noch einen Schreck. In einer Nacht hielt der Zug plötzlich an, die Wächter liefen nervös herum, man hörte aufgeregte Stimmen. Wir warteten und warteten – ich schätze etwa drei Stunden lang, stand der Zug im Nirgendwo. Bald sprach es sich herum und wir erfuhren, dass man während der Fahrt einen umgebracht und tot aus dem Zug geworfen hatte. Es war jener, der das Lager terrorisiert hatte – wohl rächte man sich jetzt an ihm. Er hatte uns tatsächlich so viel Angst eingejagt, dass wir alle erleichtert aufatmeten, als er weg war. Bei den Russen war uns nichts Vergleichbares passiert – ausgerechnet zum Schluss bei einem Landsmann.
In Sighet waren fast zeitgleich mehrere Züge angekommen – einer leerer als der andere. Während der Fahrt hatte man viel über Deutschland gesprochen, es gab manche, die für Deutschland „Reklame” gemacht hatten – man solle direkt nach Deutschland fahren, auswandern, denn daheim sei sowieso alles kaputt und in Deutschland würde es uns viel besser ergehen, schließlich gäbe es ja nur noch Deutschland oder Russland zur Wahl. Auch meine Schwester und ich ließen uns von den Gesprächen überzeugen und entschlossen uns, nach Deutschland zu fahren. Als wir aber erfuhren, dass der Weg dahin wieder über Russland führte, packte uns die Angst. Ich dachte NEIN; BLOSS NICHT WIEDER, ICH FAHRE JETZT NACH HAUSE!
Folgen
Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember 1949, sind wir in Rosenau angekommen. Es war ein Weihnachtsgeschenk, dass wir nach so langer Zeit endlich wieder alle zu Hause waren. Dort nichts war wie früher: Mutter sah mindestens zwanzig Jahr älter aus; Vater war schon ein Jahr vor uns zurückgekehrt, ebenfalls sehr geschwächt und hoffnungslos; Milli und Hildegard waren beide erwachsene, verheiratete Frauen. Wir stellten fest, dass wir enteignet worden waren und nichts mehr besaßen – weder Grund, noch Tiere, noch Geräte für die Feldarbeit. Jahrelang hatten wir wie verrückt gearbeitet, gespart, Raten gezahlt, und jetzt war alles weg.
Helene-Martha Kopony - eine der wenigen heute noch lebenden ehemaligen Russlanddeportierten.
Foto: KR-Archiv
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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