„Gedenken zu bewahren ist bleibende Pflicht“
08.08.19
Zweites Begegnungsfest der Nussbacher von nah und fern
Fast alle Bänke waren am Vormittag des 2. August in der Evangelischen Kirche aus Nussbach besetzt. Seitlich saßen die Männer, in der Mitte die Frauen. Genau so, wie sie es von früher kannten. Zusammen mit der Orgel ertönten über 100 Stimmen beim ersten Lied des Gottesdienstes. Das Bild, das sich an diesem Sommertag in der Kirche bot, ist seit langer Zeit nicht mehr alltäglich. Doch an besonderen Tagen sieht es im Gottesdienst wieder so aus wie vor der Auswanderung der sächsischen Bewohner. Und der 2. August 2019 war ein besonderer Tag: Nussbacher von nah und fern haben das zweite Begegnungsfest in ihrem Heimatort gefeiert.
Gedenktafel für Opfer des 2. Weltkriegs und der Deportation
Rund 140 Personen sind der Einladung des Bürgermeisters Nistor Boricean zum gemeinsamen Treffen mit dem Motto „Gemeinsam in heimatlichen Gefilden“ gefolgt. Der Tag startete mit einem Festgottesdienst mit Abendmahl, den Pfarrerin Adriana Florea gestaltete. „Tage wie heute sind wie ein kraftgebendes Brot. Sie stillen unseren Hunger nach Gemeinschaft“, meinte diese in ihrer Ansprache. Den Gottesdienst begleitete Ursula Philippi an der vor vier Jahren restaurierten und wieder eingeweihten Orgel. Der wichtigste Punkt auf dem Programm war die Einweihung einer
Gedenktafel für die Opfer des 2. Weltkrieges und der Russland-Deportation, eine Spende der Heimatortsgemeinschaft Nussbach. Auf die Absicht, eine Gedenktafel anzubringen, hatte der Vorstand der HOG Nußbach schon im Sommer 2017, beim ersten Begegnungsfest, hingewiesen. „Mit diesem Projekt können wir Zeitgeschichte aufarbeiten und dokumentieren“, hatte der Vorsitzende Harald Zelgy damals angekündigt. Nun ist das Projekt verwirklicht worden.
„Wir brauchen diese Orte des Gedenkens“
Anschließend an den Gottesdienst wendete sich Harald Zelgy mit einem inhaltsreichen Grußwort an alle Anwesenden. Er erwähnte dabei das Denkmal für die Opfer des 1. Weltkrieges auf dem Nussbächer Friedhof, das immer wieder Schändungen zum Opfer fällt, deren Spuren leider auch heute noch sichtbar sind. Danach erwähnte er den 2. Weltkrieg mit seinen über 55 Millionen Menschenopfer, an dessen Ende Europa in Trümmern lag und durch den Eisernen Vorhang geteilt wurde. Auch Nussbach blieb von dieser Zeit nicht verschont. „Viel zu oft musste man der traurigen Wahrheit ins Gesicht sehen und erfahren, was es heißt, einen geliebten Menschen durch Krieg und Deportation zu verlieren. Seitens der Heimkehrer des 2. Weltkriegs und der Deportation gab es schon in den 70-er Jahren Überlegungen, dieser Opfer zu gedenken. Umgesetzt wurde diese Absicht in den finsteren Jahren des Kommunismus aber nicht“. Anstoß für eine Gedenktafel war laut Zelgy die Vorbereitung des Burzenländer Kalenders 2017. Im Vorstand wurde darüber diskutiert und der Vorschlag wurde anschließend dem Presbyterium der Kirchengemeinde Nussbach vorgestellt, der gleich damit einverstanden war. Dann machte man sich an die Arbeit. Daten wurden zusammengetragen, zum Teil aus kirchlichen Büchern, Familien und Zeitzeugen wurden befragt. Am Ende wusste man die traurige Bilanz: die Nussbacher Gemeinschaft beklagt 49 Opfer des II. Weltkrieges und 16 Opfer der Deportation.
„Wir brauchen diese Gedenktafel, aus Respekt vor unseren Toten, vor den Millionen Opfern von Krieg und Gewalt. Wir brauchen diese Orte des Gedenkens, des Innehaltens und der Erinnerung als Aufarbeitungsort der Trauer, als Mahnmal, als Abschreckung davor, uns in Zukunft vor Gräueltaten fern zu halten. Durch sie drücken wir aus, welche Ereignisse und Erfahrungen unserer Geschichte wir im Bewusstsein künftiger Generationen bewahren und lebendig halten wollen, als Beitrag für den Frieden“, meinte der Vorsitzende der HOG.
Zum Abschluss las Zelgy einen Satz von Schülern und Schülerinnen der Dannewerk-Realschule Schleswig: „Gedenken heißt, wir werden euch nicht vergessen, wir wollen aus dem Vergangenen lernen, den Mut aufbringen, es nie wieder zuzulassen“. Anschließend ergriff Bürgermeister Nistor Boricean das Wort. Er freute sich, dass so viele Nussbacher seiner Einladung gefolgt sind, betonte die Wichtigkeit der guten Beziehungen mit der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft und wünschte allen Beteiligten gutes Gelingen und eine freundliche Begegnung. Als Zeichen der Dankbarkeit, der Verbundenheit und der Liebe zu ihrer Heimatgemeinde überbrachten die in Deutschland lebenden Nussbacher ein Fotografiealbum von dem ersten Heimattreffen 2017 und ein Liederbuch von Angelika Melzer und Rosemarie Christel, „E Liedchen hälft ängden“. Das Geschenk wurde vom Kurator Georg Foof mit Freude angenommen.
Anschließend an den Gottesdienst begaben sich alle Teilnehmer auf den Friedhof, um ihrer Ahnen zu gedenken. Der Tag ging weiter am Fuße des Geister Waldes. Hier wurden die Teilnehmer vom Vorsitzenden des Kronstädter Kreisrats Adrian Vestea begrüßt. Bei Musik und Tanz haben die Nussbacher von nah und fern zusammen mit ihren Gästen viele Stunden lang gemeinsam verbracht und gefeiert.
Elise Wilk
Am Vormittag trafen sich die Beteiligten vor der Evangelischen Kirche. Foto: die Verfasserin
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