Honterusgeist heute
18.06.20
Quellenrede von Hans Philippi
Den Lesern der Karpatenrundschau bieten wir im Folgenden eine Quellenrede aus Umbruchszeiten. Honterusplatz und Honterusquelle in der Noa waren für den Redner 1967 in Deutschland beim Honterusfest in Pfaffenhofen an der Ilm nurmehr Bezugspunkt. Sie erschien in der Zeitschrift „Licht der Heimat. Monatsgruß des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen“ (Nr. 165/Juli 1967) und ist mit „Ph.“ gezeichnet. Als Autor konnte Hans Philippi (1911-1997) ermittelt werden, der langjährige Vorsitzende des Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben (1955-1981), der zum Zeitpunkt der Rede bereits als Oberstudiendirektor am Gymnasium Carolinum in Ansbach in Deutschland wirkte. Ungleich bekannter dürfte den Lesern der Karpatenrundschau sein Bruder Paul Philippi nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als Ehrenvorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumäninen sein (gest. 27.07.2018). Der Sprachduktus und die verwendeten rhetorischen Mittel zeigen die gedankliche Nähe der Brüder, wie aufgrund eines Textvergleiches schnell festgestellt werden konnte. Es ist davon auszugehen, dass Philippis Worte im Kontext der damals verstärkt in Kronstadt einsetzenden Auswanderung von etlichen Zuhören als unziemliche Provokation empfunden wurden, da sie bemüht waren, sich dem Zeitgeist entgegen zu stellen. Im Abstand von Jahrzehnten gelesen, wird der Weitblick des Redners und der Wert der formulierten Gedanken offenbar. In der vor 12 Jahren von Ortwin Götz herausgegebenen Dokumentation der Honterusfeste in Kronstadt und Pfaffenhofen an der Ilm ist die Rede nicht enthalten, weshalb wir sie hier nachreichen, zumal heuer seit 1992 erstmals weder in Pfaffenhofen noch in Kronstadt seuchenbedingt ein Honterusfest stattfinden kann. Thomas Sindilariu
An eines Bergzugs kühlem Waldesrand
Ein Wiesenstück, schon ebnes Sonneland:
Ein voll Jahrhundert war‘s für alt und jung
Nur Hort der Freude und Begeisterung.
Heut nur noch goldener Erinnerungsschatz:
„Honterus f e s t“, „Honterus p l a t z“! –
Das Auge, rückgewandt, erkennt und schaut:
„Es ist der Geist, der sich die Feste baut!“ –
Honterusgeist, auch du hast aufgebaut,
Hast deinem Volk und seinem Stern vertraut.
Dir galt das Fest, dir galt der Jubelruf:
„Preist Honter, der für uns das Beste schuf!“ –
„Honterus p l a t z“, „Honterus f e s t“! –
Verschwunden heute bis zum letzten Rest!
Doch n i c h t entschwunden, lebt noch Honters Geist,
Im Zeitensturm ließ er uns nicht verwaist.
Auf Fest und Festplatz lebt geborgen, weil v e r l e g t
Ins H e r z, das Honters Geist in Treuen hegt.
Es ist der G e i s t, der sich die Feste baut:
Honterusfest, uns bleibst doch herztief du vertraut!
1. So sang Hermann Tontsch im Jahre 1956, 17 Jahre nachdem das letzte Honterusfest in Kronstadt gefeiert wurde. „Heut nur noch goldener Erinnerungsschatz”. Jeder von uns erinnerte sich auf dem Gang durch den Wald zu diesem Festplatz an die Honterustage, die er als Kind, als Student, als Mann oder Frau miterlebte, mit all ihrer Spannung, Freude und Begeisterung; an persönliche glückliche Stunden ebenso wie an die einzelnen, jedem Kronstädter vertrauten Etappen des Festablaufes: die Vorbereitungen, das Bangen um das Wetter; das Einläuten des Festtages durch die große Glocke der Schwarzen Kirche; Aufstellung auf dem Kirchhof mit der Rede des Rektors des von Honterus gegründeten Honterusgymnasiums an die Jugend – hier errichteten unsere Väter im Jahre 1898 zum 400. Geburtstag des Reformators das Denkmal, das (im Lutherjahr 1883 beschlossen und dann neben der Lutherlinde stehend) zu einem Symbol für unser Sachsenvolk wurde; Halt auf dem Marktplatz, wo die Vereine sich dem Zug anschlossen und alle zusammen „Siebenbürgen, Land des Segens” sangen (mit Staunen lesen wir in einem Bericht, daß 1857 auch die Schüler und Bewohner „aus allen Stämmen und Religionen unserer nations- und confessionsreichen Stadt” an dem Fest teilnahmen); vorbei am Geburtshaus in der Schwarzgasse, dessen Gedenktafel am Honterusfest 1857 geweiht wurde, damit – wie der damalige Rektor Samuel Schiel sagte – „der Stein noch rede, wenn vielleicht zu Zeiten alle Stimmen schweigen sollten, auf daß der Geist der Liebe, der nicht das Seine sucht, sondern seine Beseligung findet in treuer uneigennütziger Wirksamkeit für die Brüder, unter den Enkeln und Urenkeln nicht ersterbe“; Zug zum Festplatz und Aufmarsch der Schulen und Vereine vor dem Festzelt und die Begrüßungsreden des Vertreters der Bürgerschaft und des Stadtpfarrers; die Spiele der Jugend, das frohe Beieinander der Familien bei Speise und Trank – jeder kannte seinen angestammten Platz an einem der Tische im Zelt oder unter der knorrigen Familienbuche, wo die Jugend immer wieder Einkehr suchte nach lustigem Treiben; die Trinksprüche im „Lehrerzelt”; und dann der Gang durch den hellen Frühlingswald zu der Quelle, die früher der Pfaffenbrunnen hieß: seit dem Jahre 1845, als im Anschluß an die Säkularfeier, die 300jährige Jubelfeier des am 1. Dezember 1544 eröffneten Gymnasiums, das erste Honterusfest gefeiert wurde, heißt sie Honterusquelle – mein Urgroßvater verkündete damals die Namensgebung – und hier wandte sich der Direktor der ebenfalls von Honterus eingerichteten Mädchenschule in besonderer Weise an die Jugend. „Denn wie Honterus – so sagte 1928 der 92. Rektor der Honterusschule, Oskar Netoliczka – einst den Weg zu verschütteten Quellen wieder aufgedeckt hat, so ist er uns nun selbst eine Quelle geworden, aus der wir Leben um Leben schöpfen sollen, Kraft um Kraft.” Gilt dies Wort auch heute, auch hier, auch uns?
2. Das Honterusfest war unter den Schulfesten unserer sächsischen Städte und den Vereinstagen für die Sachsen „ihr schönstes Schul- und National-Fest“ (Kronstädter Zeitung 1894 in Anlehnung an die Rede des Rektors Julius Groß) und wurde so zum Ausdruck unserer inneren Einheit. Friedrich Teutsch schrieb über Honterus: „Sein Verdienst ist nicht nur die Gründung der evangelisch-sächsischen Kirche, sondern die Begründung der Einheit des sächsischen Volkes.” So empfanden wir Kronstädter es bei unserem Honterusfest und in den Liedern, die wir sangen und die alle in Kronstadt entstanden sind – geschaffen von Max Moltke, Joh. Luk. Hedwig, Franz Obert, Heinrich Schlandt und Rudolf Lassel, findet diese Einheit und die Dankbarkeit für ihre Gabe beseelten Ausdruck. Es ist mir nicht bekannt, daß selbst die größten politischen Spannungen, die immer wieder über dem Suchen des besten Weges für unser Volk aufbrachen, diese Einheit jemals in Frage gestellt oder das Fest gestört hätten. In dem Aufruf zu den Feiern des Jahres 1898, den er als Vorsitzender des „Ausschusses für die Errichtung eines Honterusdenkmals“ veröffentlichte, erwartete Stadtpfarrer Obert von dieser Aktion einen „Anstoß zum Aufschwunge der Gemüter, zur Zusammenfassung der Kräfte, zur Einigung der Herzen“ und sagte: „Die Flamme nationalen Empfindens und nationaler Begeisterung könnte dadurch zum Hellauflodern gebracht werden.“ Aus dem In- und Ausland gingen die Spenden ein und der Hermannstädter Stadtpfarrer, der spätere Bischof Müller, schrieb bei Übermittlung einer Spende, daß die Spender mit ihrer Gabe „dem Bewußtsein Ausdruck geben, daß Honterus unserem ganzen Volke angehört und daß die Reformation, deren hervorragender Träger er unter uns war, auch unser Volk zu neuer, schöner Einheit zusammengeschlossen“. Der heutige Sachsenbischof gleichen Namens sagte ein Menschenalter später: „Wenn man die Bedeutung von geschichtlichen Persönlichkeiten nach dem Worte Jesu ‚An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen‘ beurteilen darf, muß Johannes Honterus als der bedeutendste Mann unseres Volkes anerkannt werden. Die Wirkung, die seine Tätigkeit gehabt hat, ist von solchem Ausmaß, daß unser ganzes Leben in allen seinen Gemeinschaftsprägungen damals erneuert wurde.“
3. „Doch nicht entschwunden, lebt noch Honters Geist“, hörten wir zu Beginn. Und Obert zitierte 1898: „Honterus lebt! Ihn hatte Gott erkoren / das Licht des Himmels in dies Land zu tragen. / Was er geschaffen hat in seinen Erdentagen / und was er war, es ist uns nicht verloren.“ Honterus hat uns die Quellen des Evangeliums und die Quellen der Bildung wieder erschlossen: Der Begründer der Honterusschule und ihrer Bibliothek, der Einführer des Buchdrucks, der dem Sittenverfall entgegentrat und Ordnung und Gesetz reformierend beeinflußte, lebte aus dem Glaubenszeugnis seines Gewissens. Sapiens pietas – weise Frömmigkeit und strenger Anschluß an das Wort Gottes waren die Wurzeln der damaligen Erneuerung. Honterus war uns Luther und Melanchhthon in einer Person, Weisheit und Frömmigkeit waren nicht Gegensätze, sondern die Weisheit war die Frucht der Frömmigkeit. Die „Ansicht kann als radikal widerlegt angesehen werden, daß wir den Übergang zur Reformation ohne innere Aufrührung rein als ‚prudentes et cireumspecti‘ vollzogen hätten, also die Nüchternheit mit all ihren Untiefen damals allein bei unserer Wandlung Pate gestanden hätte“ (Fr. Müller in „Schule und Leben“ 1933/34, 3. Heft). Daß diese Glaubenserneuerung dann in der Folge auch für unsere Einheit und den Bestand unseres Volkes so viel Segen brachte, darf uns den Blick für ihren Kern nicht verschließen oder die Gewichte verschieben lassen: die Einheit war ohne die Erneuerung im Glauben nicht möglich. Dies muß unsere Erkenntnis sein, wenn wir heute nach den früheren Zeiten fragen: Es waren Zeiten, in denen klare Gebote und Ordnungen, aber immer auch Durchhilfen und erstaunliche Wunder die Gegenwart Gottes bezeugten. Wir könnten die Aufrufe unserer Großväter heute so nicht schreiben und unsere Reden nicht in solchem Überschwang halten. Das ist nicht schlimm. Schlimm aber wäre es, wenn die Sprachverwirrung unserer Zeit, wenn die Zäune und Mauern, die unsere Welt heute zerschneiden, so daß statt der Liebe – wie wir es gerade dieser Tage erlebten – oft nur noch der Haß die Menschen eint, auch uns zertrennten. Oder sind wir schon zertrennt? Wenn wir uns allein an die Geschichte der letzten Jahrzehnte und ihre eingefahrenen Denk- und Willensbahnen klammerten, könnte es sein, daß sie uns nach einem kürzlich gehörten Wort unseres Bundeskanzlers als Lehrmeisterin im Stich läßt und uns die Zukunft verstellt. Wenn wir unsere Zukunft aus anderen Kräften und ohne die Hinwendung zum Glauben, den uns Honterus von Schlacken befreit und erneuert hat, bauen wollten, wäre das ein Verrat an dem, was unserem Reformator groß und heilig war und ließe uns Einheit, Gegenwart und Zukunft verspielen.
4. „Wachet und betet!“ ist das bekannteste und allen vertraute Honteruswort. Es ruft uns in diesem Gedenkjahr der Reformation zu einer inneren Erneuerung, zu der reformatio semper reformanda. Hören wir genauer auf ihn, der in seiner Zeit das Abgestorbene durch Neues ersetzte. Er ruft uns zu: „Sehet zu, daß ihr nicht jedermann glaubet, sondern prüfet, ob die Worte von Gott sind! […] Schwer ist es, unter soviel Unkraut den guten Samen zu erkennen, wenn wir nicht alles prüfen an den Vorschriften Gottes und diesen allein anhängen, gleichwie Gott selber geboten, zu seinem Worte nichts hinzuzutun, nichts von ihm wegzunehmen, von ihm nicht abzuweichen zur Rechten und nicht zur Linken. […] Wir wollen sorgen, wachen und beten, damit wir den verschlagenen Künsten entgehen, die der Teufel, nie müde und ohne Schlaf, durch seine Diener hinterlistig ins Werk setzt, damit wir nicht dem Rauche zwar entfliehen, aber erst recht in die Flammen stürzen. Die Wahrheit ist allen hinlänglich verkündet. Lasse, Gott, sie die einsehen, denen Du sie gegeben hast.“ [Honterus in der Vorrede zu den Sentenzen aus allen Werken des göttlichen Augustin, Kronstadt 1539, zitiert mit Auslassungen und eigenen Ergänzungen nach: Theobald Wolf: Johannes Honterus der Apostel Ungarns, Kronstadt 1894, S. 38]
Hier ist unser Weg gezeigt, der zu einer Erneuerung und in die Zukunft führt. In der Besinnung auf das, was Honterus selbst in lauteren und schlichten Worten gelehrt hat, werden wir davor bewahrt, aus ihm einen Götzen falscher Selbstverherrlichung zu machen. Unser Honterusfest hier an der Ilm darf kein Ersatz für das Fest sein, das uns vor der Schwarzen Kirche und an der Honterusquelle zusammenschloß. Es führt uns aber zu dem ewigen Quell der Erneuerung im Glauben und in der Liebe, aber auch in der Hoffnung und in der Geduld, zu der Honterus auch unsere Brüder und Schwestern in der Heimat ruft. Solches Gedenken kann nicht in Erinnerungen, schon gar nicht in wehmütiger Erinnerung stecken bleiben. Es hilft uns, unsere Augen von den Gaben, die wir in der Vergangenheit empfangen haben – von Honterus, von unserer geschichtlichen Leistung – dankbar zum Gebet zu erheben, zur Quelle zu gehen. Es befreit uns zu wahrer Nüchternheit und schenkt uns das Vertrauen, daß Gott unser Volk auch weiter führen und gebrauchen will. Solches Vertrauen zu erneuernder Kraft des Glaubens lehrt uns unser Reformator. Daß wir dieses Zeugnis des Glaubens doch alle erfaßten! Dann lebt Honterus Geist unter uns. Heil Honterus!
Ph.
Die Fortsetzung des Artikels „Das Kronstädter Bürgerspital“ von E. Hellmann folgt in der KR nr. 25
Die Brüder Hans (r.) und (l.) Kurt Reimar Philippi (1913-2004) während des 51. Landeskirchenversammlung 1978 in Hermannstadt. Foto: Archiv des Siebenbürgen-Instituts
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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