„Ich kreiere gerne Bilder durch meine Sprache“
31.10.19
Interview mit Thomas Perle, Dorfschreiber von Katzendorf
Anfang des Monats Oktober wurde zum 6. Mal der Literaturpreis „Dorfschreiber von Katzendorf“ verliehen. In diesem Jahr ging die Auszeichnung an den in Wien lebenden Schriftsteller Thomas Perle. “Ein halbes Jahr lang darf er in der Dichterklause von Katzendorf wohnen und „sein Preisgeld als tägliches Brot hinnehmen“, wie es in der Einladung von Preisstifter Frieder Schuller heißt. „Er kann und soll sich umsehen, in die Sprache der Dorfbewohner hineinhören, sich wundern, mitreden, um einen Dichterbeitrag zum gegenwärtigen Transsilvanienbild hinzuzufügen.“ Thomas Perle wurde 1987 als Sohn eines Ungarn und einer Rumäniendeutschen in Oberwischau geboren, wo er dreisprachig aufwuchs. 1991 siedelte er mit seiner Familie nach Deutschland um. Er wuchs in Nürnberg auf. Nach dem Abitur und einem Volontariat am Staatstheater Nürnberg studierte er Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Er wurde mit mehreren deutschen und österreichischen Literaturpreisen und -stipendien ausgezeichnet. Das Thema der Migration, die Fragen über „Heimat“ und über „bleiben und gehen“ beschäftigen Thomas Perle auch in seiner Arbeit. 2018 erschien sein Prosaband „wir gingen weil alle gingen“ in der edition exil. In den Erzählungen schildert Perle das Schicksal einer Familie, die Rumänien verlässt und in Deutschland ein neues Leben beginnt. In poetischer und dichter Sprache erzählt der Autor von Anpassung und Brüchen, von Widerstand, Sehnsucht und Aufbruch. Im vergangenen Jahr war Perle Rottweiler Stadtschreiber und erhielt für sein neuestes Theaterstück „karpatenflecken“ das Wiener Dramatik Stipendium, mit dem er auch den Retzhofer Dramapreis 2019 gewann. Im Juni 2020 wird das Stück am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Das Stück erzählt von der Besiedlung des Ostens – der Karpaten, Rumäniens durch Aufrufe von Maria Theresia und Joseph II., von der Zeit des Faschismus, dem Nachkrieg und den Verfolgungen alles Deutschen bis zum Fall des Eisernen Vorhangs. In den nächsten Monaten wird Thomas Perle die Ruhe aus Katzendorf zum Schreiben nutzen. Vielleicht wird ihn die eine oder andere Begebenheit im Dorf für sein Werk inspirieren. KR-Redakteurin Elise Wilk traf Thomas Perle im Oktober in Kronstadt und Gheorgheni. Über seine Pläne demnächst in Katzendorf lesen Sie im folgenden Interview.
Ein Jahr kostenlos wohnen, um in aller Ruhe schreiben zu können – das ist ein Traum fast jedes Schriftstellers. 2018 warst du drei Monate Stadtschreiber in Rottweil. Jetzt Dorfschreiber in Katzendorf, Rumänien. Wie ist es dazu gekommen?
Zufälle und Fügungen. Ich wurde eingeladen in Salzburg einen literarischen Salon mit einem meiner Texte zu veranstalten und die Chefdramaturgin des Salzburger Landestheaters hat mir den Gedichtband eines siebenbürgischen Schriftstellers in die Hand gedrückt. mein vaterland ging auf den roten strich von Frieder Schuller. Die Gedichte fügten sich ganz organisch in meinen Text wir danken der partei. Er würde auch einen Dorfschreiberpreis in Katzendorf ausschreiben. Katzendorf soll ein wunderbarer Ort in Siebenbürgen sein. Ich hatte noch nie davon gehört. Nach dem gelungenen Salon schrieb ich ihm, schickte meine Biografie, Textproben und den ausdrücklichen Wunsch der neue Dorfschreiber zu werden und wartete. Wartete. Dachte noch ich werde zu einem Vorstellungsgespräch geladen. Mit der Antwort aber war ich schon der neue Dorfschreiber.
Wie stellst du dir das Jahr in Katzendorf vor? Wie oft wirst du das Dorf besuchen?
Erst einmal bis Ende Oktober bleiben und schauen, fühlen, wie der Ort ist. Im Laufe des Jahres dann so oft wie möglich hier Schreibaufenthalte einlegen, den Ort auskundschaften, aber auch Siebenbürgen an sich. Eine Mischung aus ruhigen längeren Aufenthalten im Dorf und viel Reisen. Gerne auch mit Kolleginnen und Kollegen in der Pfarrhofoase gemeinsam schaffen und arbeiten. Schreibworkshops mit Kindern und Jugendlichen an der Schule möchte ich anbieten. Mal sehen wie kooperativ und offen man sich dafür zeigt.
Hast du die Bücher der ehemaligen Dorfschreiber schon gelesen?
Elmar Schenkels Buch habe ich vor meinem Amtsantritt verschlungen und die ersten Tage als neuer Dorfschreiber Dagmar Dusils Annäherungen an Katzendorf. Als Vorbereitung und quasi Überlebensguide. Aber auch um zu sehen, was längst aufgeschrieben wurde, welche Geschichten schon zu Papier gefunden haben. Als nächstes ist Jürgen Israels Tagebuch dran. Dann kann ich mich endlich meinen Geschichten, meinem eigenen Katzendorf annähern.
Wie hast du die Zeit in Katzendorf bisher verbracht? Hast du schon Lieblingsorte im Dorf? Was findest du besonders inspirierend?
Ich habe ein solches Glück mit dem Wetter. Obwohl es an dem Wochenende meiner Ankunft genau dann anfing zu regnen, als ich mich gerade in meiner Klause eingerichtet hatte, erleben wir jetzt einen goldenen Herbst mit sommerlichen Temperaturen und wolkenlosem Himmel. Nach meiner Amtseinführung blieben die Hausherrschaften und die Dame, der ich mein Dorfschreiberdomizil zu verdanken habe noch ein paar Tage am Pfarrhof. Wir besuchten Reps, Raco{, die tausendjährigen Eichen. Und auch eine ungarische Beerdigung auf dem alten Sachsenfriedhof. Inspirierend empfinde ich die Sonnenuntergänge, die ich von meinem Turm aus beobachte.
Woran wirst du arbeiten?
Ich werde an einem neuen Prosaband arbeiten und parallel Aufzeichnungen über Katzendorf machen. Daraus soll ein Katzendorfbuch entstehen. Derzeit schreibe ich außerdem an einem neuen Theaterstück, für das ich in der Zeit viel lesen und recherchieren werde.
Du bist mit als Kind mit deiner Familie nach Deutschland ausgewandert. Das Thema Migration beschäftigt dich auch in deiner Arbeit. Wie autobiografisch sind deine Erzählungen aus „wir gingen weil alle gingen“ und das Theaterstück „karpatenflecken“?
Die Erzählungen und das Stück sind durchaus inspiriert von meiner eigenen Familienbiografie. Diese darf man jedoch nicht eins zu eins in meine Arbeit hineinprojizieren. Ich recherchiere viel und sauge alles auf, wenn ich gerade an etwas arbeite. In mir arbeitet es und findet in veränderter Form zu Papier.
Was passt am besten zu dir? Theater oder Prosa?
Beides! Ich lasse Theater und Prosa gerne ineinander fließen. So haben meine Theaterstücke prosaische Elemente und meine Prosa dramatische. Ich kreiere gerne Bilder durch meine Sprache und lege Wert auf (mehr)sprachlichen Rhythmus. Was meine Prosa und Dramatik beide gemein haben: das Lyrische.
Was bedeutet für dich „zu Hause“?
Wien. Hier habe ich mir in den letzten elf Jahren meinen Lebensmittelpunkt aufgebaut. Hierher kehre ich auf meinen vielen Reisen immer wieder zurück und tanke Kraft. Geborgenheit.
Wir danken für das Interview und wünschen eine schöne und inspirierende Zeit in Katzendorf!
Thomas Perle im Pfarrhof aus Katzendorf. Foto: privat
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