“Jede Fotografie ist eine Begegnung”
04.03.21
Der französische Fotograf Laurent Jouault hat Moieciu zu seiner Heimat gemacht
Ein winziges Foto von einer cremefarbenen Dacia 1310 in einem Dia-Rahmen. Ein kleiner Teil Vergangenheit, der für immer eingefangen wurde. Auf der Rückseite ist ein Magnet angebracht. Es ist einer der originellsten Kühlschrankmagneten, die man in Rumänien kaufen kann und kostet nur 10 Lei. Auch andere Magneten im Dia-Rahmen kann man in der Bilderhütte („La cabane aux images”) kaufen. Und viele andere höchst originelle fotografische Souvenirs. Die Hütte in Moieciu de Sus gehört dem Franzosen Laurent Jouault und wurde in ein kleines Museum umgewandelt. Hier finden Touristen eine beeindruckende Kollektion von alten Fotoapparaten, sowie Schwarz-Weiss und Farbbilder, die mit verschiedenen Technologien aufgenommen wurden. Die Souvenirs entstanden aus Spass. Joault will experimentieren, keine Geschäfte machen. Auch Workshops für Kinder bietet er kostenlos an. Es sind schon 14 Jahre vergangen, seitdem er das kleine Dorf in den Bergen zu seiner Heimat gemacht hat.
Die Bilderhütte am Fuße der Berge
Valea B²ng²leasa heißt die Hauptstraße im Bergdorf Moieciu de Sus, 10 Kilometer vom legendären Schloss Törzburg entfernt. Hier reihen sich die Pensionen und Gaststätten aneinander. In den Sommermonaten, besonders an Wochenenden, ist die Straße dauernd befahren. Es sind meistens Touristen aus Bukarest, die ein paar Tage in der Natur verbringen oder mutige Bergsteiger, die zum Omu-Gipfel oder zur Padina-Hütte im Bucegi-Gebirge gelangen wollen. Die Hausnummer 158 ist auf der rechten Straßenseite, wenn man in Richtung Berge geht. Am Zaun sind Fotografien angebracht. „La cabane aux images“ (Die Bilderhütte) ist ein kleines Haus, auf dessen Wände Schwarz-Weiss-Fotos angebracht sind.Es sind Potraits von Kindern und Ansichten vom Kronstädter Marktplatz. Auf der Tür ist ein Schild, auf dem steht: „Este deschis! Poftiti!”Laurent wartet draußen im Garten mit warmem Tee. „Bonjour“, grüßen wir. Er antwortet mit „Buna ziua“. Dann stellen wir eine Frage, die er vielleicht Tausend mal gehört hat. „Wie kommt es, dass Sie so gut Rumänisch sprechen?” Laurent lächelt und antwortet geduldig: “Ich habe mich schnell angepasst und habe die Sprache im Dorf gelernt, mit Hilfe meiner Frau, mit Hilfe der Nachbarn. Es hat etwa ein halbes Jahr gedauert und war überhaupt nicht schwer, da es viele Ähnlichkeiten mit dem Französisch gibt”.
Liebe auf den ersten Klick
In das Dorf am Fuße der Bucegi ist er zum ersten Mal im Jahr 1997 mit einem Schüleraustausch gekommen. Damals war er noch Leiter eines Jugend- und Kulturzentrums in der Normandie. Mit Moieciu war es Liebe auf den ersten Blick. Und auch mit der Dorflehrerin, die er später heiratete. Das Paar zog nach Frankreich, doch beschloss es, 2007 zurück nach Moieciu zu kommen. Die alte Tischlerwerkstatt des Großvaters seiner Frau hat er in ein Fotografiemuseum umgewandelt.
Über 120 Fotoapparate, manche älter als 100 Jahre, sind im Museum ausgestellt, fast alle sind noch funktionell. Der älteste Apparat wurde im Jahr 1890 gebaut, der neueste stammt aus dem Jahr 1985. In seiner Kollektion findet man einen Apparat, der kleiner ist, als seine Seife, und den er aus Chicago gekauft hat. Laurent zeigt uns seinen ersten Fotoapparat, der Marke Minolta, den er mit 12 Jahren zur Erstkommunion bekommen hat. „Damals war das klassische Geschenk eine Uhr und ein Fotoapparat. Jedes Kind bekam das. Man konnte raten, wie alt jemand ist, am Fotoapparat-Modell das er zur Erstkommunion bekommen hat“. Den nächsten Fotoapparat, auch einen Minolta, hat er sich aus dem ersten Gehalt gekauft.
Auch heute noch liebt der Fotograf diese Marke und arbeitet damit. Gerne stellt er aber Fotokameras her, denen man einen Teil der Geschichte der Fotografie ablesen kann. Seine Lieblingskamera ist eine Lochkamera (camera obscura), mit der sich Bilder der Außenwelt auf Flächen projizieren lassen. Er hat mehrere Modelle gebaut, hat aber eine kleine bunte Keksedose immer griffbereit. Mit der hat er zahlreiche Aufnahmen gemacht, einige auch in Kronstadt. Seine Keksdose färbte Jouault innen komplett schwarz aus, stach mit der Stecknadel ein winziges Loch seitlich ein, legte Fotopapier hinein, verschloss sie, um die Dunkelheit zu bewahren und macht Bilder damit. “Sie funktioniert wie ein Fotoapparat. Man muss allerdings viel länger warten, bis das Licht in die Dose dringt und das Bildmaterial belichtet” erklärt der Begeisterte. Gerne baut er mit Schülergruppen, wenn sie mit der Klasse zu Besuch kommen, derart Objekte, hofft in manchen jungen Leuten die Begeisterung für das Fotografieren zu wecken.
Mit der Lochkamera auf der Straße
Wir bewundern die Fotos, die er im Laufe der Jahre in Rumänien und in anderen Ländern gemacht hat. Laurent zeigt uns ein Foto vom Marktplatz Ecke Purzengasse, wo einst zwei Telefonzellen standen. „Jugendliche wissen nicht mehr, was das ist“, meint Jouault. Und wir erinnern uns an die blauen Münzentelefone beim Eingang zum Rosenanger, wo wir während der Schulpausen Telefonscherze machten. „Für mich bedeutet Fotografie Begegnung und Austausch”, meint der Franzose. Er zeigt uns ein Portrait eines Schäfers. „Als ich ihm das Foto gebracht habe, hat er mich zu sich eingeladen, und da entstand dieses zweite Foto, wo er einem Lamm eine Babyflasche gibt. Es sind mehr die Momente, an denen ich interessiert bin. Zum Beispiel erinnert mich dieses Foto an einen kalten Januartag in Klausenburg, als ich eine Blumenverkäuferin fotografiert habe. Die Blumen habe ich dann für meine Frau gekauft”.
Seit 2017 macht Jouault im Rahmen seines Projekts “Afghan Box” Portraits mit einer aus Holz selbstgebastelten Lochkamera (50x30x25cm) an öffentlichen Orten. Wie in der Zwischenkriegszeit, die ihn für das Projekt inspirierte, geht er mit dem Apparat auf der Straße und lichtet Menschen ab, entwickelt die Fotos gleich darauf und schenkt sie ihnen. Im vergangenen Sommer hat er zahlreiche junge Menschen im Sommergarten des Kulturvereins Visssual aus Kronstadt, Traumgarten/Gradina din Visss, verewigt. Er experimentiert gerne auch mit verschiedenen Druckverfahren und Bildmaterialien. In seinem kleinen Museum sind Fotografien zu sehen, die nicht nur auf Fotopapier entwickelt wurden, sondern auf Karton, auf getrockneten Blättern oder Stein, auf Kacheln, Kaffeefiltern, Teebeuteln, sogar auf Nase-Mund-Schutzmasken. “Man kann auf alle Flächen, die porös sind, drucken” erklärt der er begeistert. Das sei nicht kompliziert und durch das zusammenschmelzen von Foto-Emulsion, die auf jede Oberfläche übertragen werden kann, möglich. Daraufhin werden die Bilder belichten und mit gewöhnlichen Dunkelkammer-Chemikalien entwickelt werden.Interessant sind auch die Bilder, die er mittels der Zyanotypie herstellte. Diese fotografische Drucktechnik aus dem 19. Jahrhundert wurde bis ins 20. Jahrhundert zum Kopieren von technischen Zeichnungen angewendet, die als Blaupausen bezeichnet werden. Das Resultat dieser Technik sind blau-weiße Fotos. „Die Nachbarn haben mir geraten, das Museum vielleicht in Bran zu eröffnen, näher am Schloss, da es dort mehr Touristen gibt. Aber ich mache die Kunst nur aus Leidenschaft und nicht für Geld“, meint der Fotograf.
Mehr Informationen über Laurent Jouault und die Bilderhütte unter cabaneauximages.blogspot.com.
Elise Wilk und Laura Capatana-Juller
Laurent Jouault kennt die Geschichte jeder Fotokamera, die im Museum ausgestellt ist. Foto: die Verfasserin.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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