Katzendorf hat einen neuen Dorfschreiber
23.09.21
Siebte Verleihung Literaturpreises unter dem Zeichen von Corona
„der zug fährt vorbei. gemütlich dran vorbei. in der ferne das. dort in der ferne mit den türmen. das ist es. katzendorf. dessen schreiber er wird. (…)
die sonne scheint. der herbst zeigt sich sommerlich.
der angehende dorfschreiber, ich, zieht zwei rollkoffer hinter sich über beton. (…)
in den kachelöfen von pfarrhaus, klause und ehemaligen stallungen wird feuer gemacht für die gäste. die langsam hereintröpfeln. wie der regen“
So klingt ein Auszug aus dem Tagebuch des Schriftstellers Thomas Perle, der im Jahr 2019 zum Dorfschreiber in Katzendorf gekürt wurde. Als er diese Zeilen schrieb, ahnte er noch nicht, das eine weltweite Pandemie seinem Dorfschreiberdasein ein jähes Ende setzen wird. „Der Beginn von Corona im Dorf hatte etwas dystopisches: die Schule neben dem Pfarrhof wurde geschlossen, im Nachbarort wurden erste Infektionen gemeldet, etwas Beängstigendes lag in der Luft“, erinnert sich Perle. Dabei hatte er sich gut eingelebt: er war mit einer Familie in Kontakt, die er durch ein Filmteam kennengelernt hatte und durfte auch eine interessante Bewohnerin kennenlernen, die von Deutschland nach Katzendorf gezogen war und dort ein neues Zuhause gefunden hat. Im März 2020 gelang es ihm noch vor Schließung der Grenzen Katzendorf zu verlassen und durch leere Dorfwege, Landstraßen und Autobahnen nach Wien zu fahren. Zurückgeblieben sind ein Tagebuch und eine Erzählung über eine fiktive Siebenbürger Sächsin, die er am Sonntag, dem 19. Oktober 2021, den im evangelischen Pfarrhaus von Katzendorf versammelten Gästen vorlas. Einen Tag davor war Perle aus Wien angereist, um die Katzenstatue mit Feder an seinen Nachfolger, Traian Pop, feierlich zu überreichen. Doch wieder einmal zog ihm das heimtückische Virus einen Strich durch die Rechnung: der Dorfschreiber 2021 ist an Corona erkrankt und konnte nicht an den Feierlichkeiten teilnehmen.
Es war anders als sonst, aber trotzdem schön
Das Katzendorfer Kulturfest, im Rahmen dessen das einmalige Literaturstipendium vergeben wird, blickt schon auf eine dreißigjährige Tradition zurück. In diesem Jahr war es anders als sonst: es fehlte das gute Wetter (normalerweise gibt es strahlend blauen Himmel und man kann sich auf Liegestühlen im Hof sonnen), es kamen weniger Gäste als üblich und der Preisträger war nicht da. Trotzdem gelang es dem Gastgeber Frieder Schuller, ein schönes Fest zu organisieren- bunt, chaotisch, multikulturell und mit freundlicher Atmosphäre wie immer. An den Bäumen hingen Gedichte, die Scheune wurde in eine Kunstgalerie umgewandelt, es wurde mit Klavier und Blockflöte musiziert, viel vorgelesen und köstlich gegessen. Am Samstag, dem 18. September, reiste auch der Schriftsteller Ingo Schulze aus Deutschland an. Er wird der Nachfolger von Traian Pop sein und 2022 als achter Dorfschreiber Katzendorf erkunden und sich von der Atmosphäre im Dorf für sein nächstes Werk inspirieren lassen. Aus dem ins Rumänische übersetzten Werk von Schulze las Petra Antonia Binder vor. Der Vormittag des 19. September begann mit der Pflanzung einer Eiche im Pfarrhof durch Dr. Hartel Tibor, ein bekannter Biologe der an der Babes-Bolyai Universität in Klausenburg unterrichtet. Es folgte ein kleines Konzert der Sängerin Maria Raducanu und eine Lesung der rumänischen Schriftsteller Adrian Lesenciuc, Laurentiu-Ciprian Tudor, Cezar Pârlog und Iulian Catalui. Wie in jedem Jahr gab es auch dieses Mal Gäste aus dem Ausland, die zum ersten Mal in Katzendorf waren. Ihre Begeisterung zeigte wieder einmal: Kulturfest und Dorfschreiber-Stipendium sind nicht nur ausgezeichnete kulturelle Initiativen, sie funktionieren auch perfekt als Werbung für die charmante Gegend in Siebenbürgen.
Traian Pop ist der Dorfschreiber 2021
Am Nachmittag wurde dann die Katzenstatue symbolisch an den nächsten Dorfschreiber überreicht. Traian Pop, 1952 in Kronstadt geboren, war nach einem Studium an der Technischen Uni Temeswar als Lyriker, Dramaturg und Toningenieur u. a. am Deutschen Staatstheater Temeswar tätig. Er verfasste Romane, Theaterstücke und Gedichtbände in rumänischer Sprache. Anfang der 1980er-Jahre begann er mit systemkritischen Texten gegen das Ceausescu-Regime. 1984 erschien sein erster Gedichtband „Innere Zeit“ unter dem Pseudonym Traian Pop Traian. Seither veröffentlicht er unter diesem Namen. 2013 wurde sein Lyrikband „Die 53. Woche“ ins Deutsche übersetzt. Traian Pop wanderte nach der Wende nach Deutschland aus. Hier gründete er vor 17 Jahren den POP-Verlag in Ludwigsburg. Dieser publiziert seither zeitgenössische Literatur europäischer und außereuropäischer Autoren in deutscher Sprache, hervorzuheben ist die Reihe der rumäniendeutschen und rumänischen Autoren, die hier seit Jahren veröffentlichen. Im nächsten Jahr kann Traian Pop „wohnen nach Schreibenslust ein Jahr lang im Pfarrhof von Katzendorf und ihr Preisgeld als tägliches Brot mitnehmen. Er kann und soll sich umsehen, in die Sprache der Dorfbewohner hineinhören, sich wundern, mitreden um einen Dichterbeitrag zum gegenwärtigen Transsylvanien hinzuzufügen“- wie es auf der Urkunde steht.
30jähriges Jubiläum des Kulturfestes im nächsten Jahr
Die Entscheidung, wer Dorfschreiber in Katzendorf wird, traf eine Jury bestehend aus dem Schriftsteller Frieder Schuller, der Kulturreferentin für Siebenbürgen Heinke Fabritius, der Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick und der Künstlerin Ulrike Döpfer. Ein Jahr lang in Ruhe schreiben zu können- das ist der Traum jedes Schriftstellers. Vor Pop waren es sechs deutschsprachige Autoren, die zum Katzendorfer Dorfschreiber gekürt wurden: Elmar Schenkel, Jürgen Israel, Carmen Francesca Banciu, Tanja Dückers, Dagmar Dusil und Thomas Perle. Schenkel, Israel und Dusil haben schon Bücher über ihre Zeit in Siebenbürgen veröffentlicht: „Mein Jahr hinter den Wäldern“, „Katzendorfer Tagebuch“ und „Auf leisen Sohlen. Annäherungen an Katzendorf“. Für manche der Dorfschreiber war Katzendorf keine neue Welt, die es zu erkunden galt. Ihnen ist die Umgebung vertraut, denn sie haben rumänische Wurzeln. So auch Pop.
Wie sein Jahr in Katzendorf verlaufen wird, ist, wie alles nach Ausbruch des Coronavirus, noch unklar. Trotzdem ist es ein Grund zur Freude, dass dieses einzigartige Stipendium weiter geht. Und man blickt voller Erwartung auf das Jahr 2022- dann wird das Katzendorfer Kulturfest sein 30jähriges Jubiläum feiern.
Elise Wilk
Im Pfarrhof von Katzendorf wurde eine Eiche gepflanzt. Foto: die Verfasserin
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