Kein schöner Anblick
31.01.19
Hässliche Inschriften auf den Wänden am Schnurgässchen
„Denisa+Sofia+Alex” steht mit Großbuchstaben mitten in einem roten, etwas unförmig geratenen Herz. Gleich darüber kann man eine Nachricht vom 7. Januar 2019 lesen, die mit dunkelblauem Marker an die Wand gekritzelt wurde: „Familie Bichir, für immer zusammen“. „Alex ist ein Psychopath“, hat jemand anders auf die Wand geschrieben. „Dede war hier“, „Warum hast du mich verlassen?“, „Ti amo Cici“, sind andere Nachrichten, die auf der Wand zu lesen sind. Ein Verwalter einer Pension aus Constan]a macht Werbung für sein Geschäft, jemand schreibt seine Telefonnummer auf und meint, dass man wann immer anrufen kann an und ein anderer dankt für die Wand, an der jeder schreiben kann, was ihm gerade durch den Kopf geht.
Der Anblick, wenn man auf dem Kronstädter Schnurgässchen spazieren geht, ist nicht gerade schön. Die frisch gemalte Wand gleicht mehr einer Toilettenwand in einer LKW-Raststätte als einer touristischen Attraktion. Und das, obwohl die berühmte Straße in Kronstadt vor nur einem halben Jahr renoviert wurde.
Touristen und Kronstädter hatten die Gelegenheit, die neue Identität der berühmten Straße mitzugestalten. Doch heute sind die Wände voll mit Kritzeleien, obszönen Zeichnungen und Schuhsohlen-Abdrücken. Es ist genau das Gegenteil von dem, dass sich die Mitglieder des Vereins „Gemeinsam für die Entwicklung der Gemeinschaft“ gewünscht haben, als sie letztes Jahr ein Projekt entwickelten, das einen neuen Look für das Schnurgässchen vorsieht.
„Schönheitsoperation“ ist schiefgelaufen
Mit einer Breite zwischen 111 und 135 Zentimetern ist das Schnurgässchen in der Kronstädter Innenstadt eine der engsten Straßen Europas. Und mit Sicherheit auch eine der meist fotografierten. Täglich werden auf Instagram hunderte von Fotos mit dem Tag #ropestreet hochgeladen. Sie zeigen fröhliche Touristen aus aller Welt, die sich neben den bunten Mauern fotografieren. Mit Unterstützung vom Kronstädter Bürgermeisteramt und der Kreiskulturdirektion schaffte es der Verein „Gemeinsam für die Entwicklung der Gemeinschaft“, die beliebte Gasse einer „Schönheitsoperation“ zu unterziehen.
An den beiden Zugängen in der Waisenhausgasse bzw. Neugasse wurden Infotafeln über die Geschichte des Schnurgässchens angebracht, die Dächer und Rinnen wurden repariert, die Mauern in bunten Farben bemalt. Die 23 Fenster, die zu dem Gässchen münden erhielten Farbe und einen persönlichen Anstrich. Beim Zugang aus der Neugasse wurde eine Statue angebracht, die in Richtung des Gässchens zeigt, damit die Touristen es nicht verpassen, hier spazieren zu gehen. Heute fehlt der Statue eine Hand.
Auch eine Schnur wurde an die Wand angebracht, dazu mehrere Fotos, die Leute zeigen, welche sich hier fotografiert haben. Innerhalb des Gässchen wurde eine Glaswand von 6 qm Fläche angebracht, wo Besucher ihre Erinnerungen kurz niederschreiben können. Obwohl sie das nur auf einer bestimmten Fläche tun konnten, haben sie die ganze Mauer dafür genutzt. Und das, obwohl an der Wand mehrere Plakate angebracht sind, auf denen steht: „Bitte helft uns, die Wände sauber zu halten!“ Sauber, das bedeutet „ohne Inschriften“. Doch die Bitten wurden ignoriert.
„Die ursprüngliche Idee war, dass die kitschigen Aufschriften an den Fassaden in der Kronstädter Innenstadt verschwinden. Deshalb kamen wir auf die Idee, diese Glaswand am Schnurgässchen anzubringen. Wer Lust hat, auf die Fassaden zu kritzeln, kann hier seiner Phantasie freien Lauf lassen. Ursprünglich gab es die Idee, die Glaswand jeden Monat zu reinigen, damit sie dann erneut beschriftet werden kann. Aber die Leute haben unsere Initiative falsch verstanden und jetzt ist die ganze Wand voll mit Aufschriften. Es sollte eigentlich wie eine Kunstgalerie ausschauen. Doch genau das Gegenteil ist passiert“, meinen die Vertreter des Vereins „Gemeinsam für die Entwicklung der Gemeinschaft“.
Freiwillige werden gesucht
Zum Glück sind an einer Stelle auf dem Schnurgässchen eine Überwachungskamera angebracht, und ein Teil der Leute, die an die Wand geschrieben haben, wurden von der Polizei erwischt und mussten Strafe zahlen. Laut Anca Lautaru, Pressesprecherin der Kronstädter Lokalpolizei, wurden im Jahr 2018 11 Personen bestraft, die ertappt wurden, während sie die Wand bekritzelten. Die Gesamtsumme der Strafgelder betrug 3200 Lei.
Nun will der Verein, der das Schnurgässchen letztes Jahr renoviert hat, die Wände erneut streichen, damit die Touristen, die in diesem Jahr unsere Stadt besuchen werden, nicht enttäuscht sind. Das Problem ist, dass sie keine Freiwilligen mehr finden können, die die Arbeit verrichten sollen. Auch die Reserve von Baumaterialien reicht nicht aus.
Die Vertreter des Vereins hoffen jedoch, dass sie bis im Frühjahr ein Team von Freiwilligen zusammenbringen werden. Diejenigen, die Interesse haben, können den Verein „Gemeinsam für die Entwicklung der Gemeinschaft“ unter folgender Telefonnummer kontaktieren: 0727833101.
Elise Wilk
Die voll bekritzelte Wand sieht auf keinen Fall wie ein Kunstwerk aus. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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