Lady Liberty ist grün!
27.06.19
Impressionen (m)einer zweiten Amerikareise. Eine literarische Berichterstattung (II)/Von Carmen Elisabeth Puchianu
Der Aufzug befindet sich im obersten Geschoß der City Hall, er ist recht klein, stammt angeblich aus dem 19 Jahrhundert und wird hydraulisch bewegt. Mehr als drei Besucher haben darin keinen Platz, zumal man von einem Aufzugwärter begleitet wird. Der erzählt einem dann auch gleich, dass der Turm 160 m hoch sei und eine wunderbare All-Round-View, eine Panoramaaussicht auf Philadelphia bietet. Wie die meisten Angestellten der öffentlichen Dienstleistungen ist der Aufzugbegleiter ein Farbiger und von höflicher Freundlichkeit. Er fragt mich und einen weiteren Besucher, einen älteren Herrn, woher wir kämen. Der Mann sagt gleich, er komme aus Paraguay, ich gehe aber davon aus, dass er schon länger in den USA lebt, während ich etwas zögerlich mitteile, ich komme aus Transsylvanien, was gar nicht schlecht auf Pennsylvania reime. Beide wissen sofort Bescheid, the country of Dracula, schreit der Mann aus Paraguay entsetzt auf und fügt im selben Atemzug hinzu, dass ihn keine zehn Pferde nach Siebenbürgen bringen könnten, so sehr fürchte er diesen Dracula. Darauf kann ich nichts sagen, ich lächele etwas schief und entblöße dabei meinen maroden Eckzahn. Glücklicherweise hält der Aufzug schon und wir können die schmale Plattform rund um die Spitze des Turmes betreten und einen ersten Panoramablick auf Philadelphia werfen. Mich erstaunt die Geradlinigkeit der Straßen, die sich im rechten Winkel kreuzen und nirgendwo auch nur die Andeutung einer Biegung aufweisen. Die Längsstraßen verlaufen zwischen den beiden Flüssen, dem Schuyllkill und dem Delaware und tragen Namen, wie zum Beispiel Market Street, Cherry Street, Chestnut Street, Benjamin Franklin Parkway, während die senkrecht darauf verlaufenden Querstraßen Nummern tragen. Es ist unmöglich sich in dieser Stadt zu verlaufen. Und das gilt sicher auch für alle andern amerikanischen Städte, deren Straßenblocks auf dem Reißbrett entworfen worden sind. Das sehe ich vom Turm der City Hall und ich sehe es natürlich auch unten auf den Straßen.
Mein Spaziergang führt mich zu aller erst zum nahe liegenden Reading Terminal Market, einem amerikanischen Viktualienmarkt, der mich an jenen in Budapest am Ende der Vaci utca erinnert. Er ist allerdings wesentlich kleiner und mutet daher etwas voller und lärmiger an. Die Amish verkaufen hier in Reading ihre Tomaten und anderes Gemüse, es gibt frische Fische und Muscheln, unterschiedliche Käse- und Fleischsorten und natürlich jede Menge Imbiss- und Grilltheken. Man kann Burger und BBQ chicken wings und tights essen aber man kann auch allerhand Asiatisches und Mediterranes verzehren, alles auf die Schnelle, nach einigem Anstehen. Ich werde vorerst Reading wieder verlassen und die Market Street entlang wandern bis zu Penns Landing am Delaware Ufer. Dort staune ich über die beeindruckende Breite des Flusses und schlendre ein Stück am Quai entlang. Es ist sonnig und eine mehr als nur leichte Brise weht vom Wasser herüber. Ich wende mich erneut der Stadt zu und kehre auf der Chestnut Street zum Viktualienmarkt zurück, nicht bevor ich die Liberty Bell besichtigt habe. In der Markthalle kann ich mich nur sehr schwer entscheiden, ob ich Pekingente oder BBQ Honey Wings essen soll. Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich für die gegrillten Hähnchenflügel, die sich auf Grund eines akustischen Missverständnisses in Hähnchenschlegel verwandeln, macht weiter nichts, ich finde sie auch schmackhaft genug und nachdem ich sie verzehrt habe, mache ich mich auf den Weg zum Kunstmuseum. Der Weg führt an der Free Library vorbei den breiten Benjamin Franklin Parkway entlang. Dieser Parkway erinnert irgendwie an die Pariser Champs Elysees, wie auch andere Straßen und Gebäude an deren europäische Vorgaben erinnern. Man wird hier den Eindruck nicht los, dass eines der Hauptanliegen aller Einwanderer und Gründerväter und –mütter darin bestanden hat, so viel wie möglich aus Europa, der alten Welt, in die neue Welt herüber zu verpflanzen. So sieht der Peter und Pauls Dom in Philadelphia aus der Ferne der Peterskirche in Wien ziemlich ähnlich, aus nächster Nähe jedoch entpuppt er sich als Abglanz, als Kopie. Was verbirgt sich dahinter? Die Sehnsucht jedes Emigranten nach dem zurückgelassenen Zuhause und der heimischen Kultur, der Geborgenheit, die man in der Hoffnung auf Besseres wissentlich aufgegeben hat, als man sich ins große Abenteuer stürzte, das leider nicht immer so gut endete, wie man es sich gewünscht hatte. Oder ist es eher der Stolz und das Geltungsbedürfnis, sich in der neuen Welt niedergelassen und dort sesshaft und amerikanisch geworden zu sein, ohne allerdings die Wurzeln ganz vergessen zu können? Ich kann nur Mutmaßungen anstellen…
„I am Transsylvanian in the third generation!” Mit diesem Satz stellt sich mir eine der ehrenwerten Damen des Swarthmore College vor, als wir einander kurz vor meinem Vortrag begegnen. Sie und andere sind gekommen um etwas über die siebenbürgisch deutsche Literatur aus Rumänien zu erfahren. Sie wiederholt den Satz noch etliche Male während der späteren Gespräche und sie meint es ganz ernst mit ihren siebenbürgischen Wurzeln, obschon sie kein einziges deutsches Wort spricht und nie in Siebenbürgen gewesen ist. Grundsätzlich ist man aber durch und durch amerikanisch und patriotisch. Davon zeugen die größeren und kleineren Denkmäler in den Parks, in Gärten, an der Landebrücke, auf der Museumsesplanade oder ganz einfach am Straßenrand. Man spricht überall das amerikanische Englisch, selbst wenn man aus Thailand, Indien, Mexiko oder Norwegen kommt, ganz gleich, ob man weiß oder farbig ist, dieses Englisch ist die lingua franca für alle, und für die meisten sicher auch schon die Muttersprache, die auch zuhause gesprochen wird und es spielt durchaus keine Rolle, ob man sie mit italienischem, chinesischem oder russischem Akzent spricht.
Das Kunstmuseum von Philadelphia erreiche ich in weniger als einer halben Stunde zu Fuß: Von der City Hall aus gehe ich immer nur geradeaus den Benjamin Franklin Parkway entlang, vorbei am Naturwissenschaftlichen Museum und am Franklin Institute, vorbei an der Free Library und dem Rodin Museum. Die Mittelallee des Parkway ist von stattlichen Platanen beschattet und von hohen Stangen gesäumt, an denen die Flaggen aller Länder dieser Welt im Winde flattern. Über mehrere Stufenterrassen gelangt man vor das imposante Gebäude des Kunstmuseums. Der hohe Giebel des Eingangs ist von Säulen gestützt. Die Skyline von Philadelphia breitet sich vor einem aus, man meint beinahe auf dem Trocadéro in Paris zu stehen. Es fehlt bloß der Eiffelturm…
Im Museum muss ich zunächst meinen Rucksack vorzeigen. Ein sehr höflicher Wärter bittet mich darum, nachdem er mich fragt, wie es mir gehe. Ich löse eine Eintrittskarte, sie kostet 20 Dollar, da ich noch keine 65, also keine Seniorin bin! Wäre ich das, bekäme ich hier eine Zwei Dollar Ermäßigung… Allerdings ist das Ticket auch am nächsten Tag gültig, und das ist gut, denn das Museum bietet viel zu sehen und der Nachmittag reicht mir gerade, um die Galerien des Erdgeschosses in relativem Laufschritt zu durchmessen. Ich sehe Interessantes hier. Was mich am meisten beeindruckt und auch ein wenig wundert, ist der tadellose Zustand der Exponate. Truhen und Möbelstücke aus dem 17. und 18. Jahrhundert glänzen nur so hinter der Glasverschalung, alles ist sorgsam abgestaubt und auf Hochglanz poliert. Keramikteller mit deutscher und holländischer Aufschrift zeigen siebenbürgisch anmutende Tulpenmuster. Den Tellerrand zieren weise und gottesfürchtige Sprüche. Französische Impressionisten kann ich sehen, das mir unbekannte Gemälde eines Hundes gemalt von Toulouse Lautrec erinnert mich an Bauschan, ein frühes Selbstporträt von Picasso versetzt mich in blanke Begeisterung. Es gibt einige Brancusi Skulpturen, die mir gut gefallen.
Fortsetzung folgt
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