Lady Liberty ist grün!
11.07.19
Impressionen (m)einer zweiten Amerikareise. Eine literarische Berichterstattung (IV)/Von Carmen Elisabeth Puchianu
Unser Weg führt weiter auf den Broadway zwischen Wolkenkratzern von einem Block zum nächsten bis in den Central Park, vorbei an der Carnegie Hall. Auf den Straßen New Yorks weht immer der Wind. Und an diesem Samstag weht er ganz besonders heftig und kalt. Nur gut, dass ich eine Mütze dabei habe. Da der Central Park etwas tiefer gelegen ist als die umliegenden Straßen, deren Wolkenkratzer sich zu einer stählernen Bastion zusammengerottet haben, ist der Wind hier in der Parksenke so gut wie gar nicht zu spüren. Es ist angenehm warm, man kann auf Bänken oder Steinen sitzen und sich von der Sonne wärmen lassen. Hier sind alle Geräusche gedämpft, man hört Vogelgezwitscher und das Fiepen und Pfeifen der Eichhörnchen, das Gackern der Enten am Teich und die Töne eines Jazzmusikers, der in einiger Entfernung auf einer der Alleen sein Saxophon spielt. Der Trubel der Stadt kann nur noch als Reminiszenz oder flüchtiges Innuendo wahrgenommen werden. Sobald man aber den Park verlässt, schlägt alles wieder als Geräusch- und Bilderlawine über einem zusammen.
„Du musst unbedingt den Grand Central sehen”, sagt M.M. und schiebt mich in Richtung des Kreisler Gebäudes, daran vorbei und zum Eingang des Grand Central. Eine weitere Filmkulisse, die ich kenne und die Meryl Streep und Robert De Niro als Staffage gedient hat, nun auch mir zu Diensten steht, sozusagen. Und da es mehr als nur hoher Mittag geworden ist, entschließen wir uns im Grand Central einen Imbiss zu uns zu nehmen und uns dabei auch etwas auszuruhen, denn es gibt noch einiges zu erwandern und zu sehen. Es geht die Fifth Avenue entlang, am Empire State Buildung vorbei. Dort erwägen wir die Möglichkeit, uns mit dem Aufzug auf den Aussichtsturm hinauffahren zu lassen, überlegen es uns jedoch anders, da zu viel Zeit verloren ginge dabei. Sattdessen nehmen wir die U-Bahn und fahren an den äußersten Zipfel von Manhattan, von wo wir die Fähre nach Statten Island nehmen, wo es im Grunde nicht viel zu sehen gibt, aber man hat Gelegenheit gleich zweimal an der Freiheitsstatue, der im gleißenden Licht grünlich schimmernden Lady Liberty vorbei zu fahren und dabei die Skyline dieser bemerkenswerten Festung New York sich entfernen und dann wieder nähern zu sehen und etwas von dem Hochgefühl der Einwanderer nachzuempfinden. Die Aussicht von der Hudson Bay auf die Landzunge Manhattans ist überwältigend, auch wenn ihr etwas vom Kitsch der Film – und Fotoabbildungen anzuhaften scheint. Ich kann M.M. nicht genug danken für diese Ausfahrt.
Wir kehren nach Manhattan zurück und gehen noch ein gutes Stück zu Fuß zur Wall Street, wo wir an der Börse vorbei kommen und auf dem Weg zurück zu einer U-Bahnstation, von wo wir uns zum Busbahnhof fahren lassen wollen, da es schon Abend geworden und die Abfahrtszeit näher gerückt ist, kommen wir auch am World Trade Center Memorial, am sogenannten Ground Zero vorbei. Und hier überwältigt mich die Schlichtheit der Gedenkstätte und deren Unaufdringlichkeit. Ganz anders als bei den zahllosen Denk- und Mahnmälern, die man sonst zu sehen bekommt, herrscht hier die stille Demut, die einem jegliches patriotische Brumborium versagt und einen in Andacht versinken lässt. Ich versuche mir auf den eher kleinen quadratischen Vertiefungen die beiden ehemaligen Hochtürme, die darauf zurasenden Flugzeuge, das wuchtige Durchbrechen der Turmsubstanz, die furchtbaren Schreie und die daraus entstehende Stille, den Staub, das Grau und das Grauen jener Momente vorzustellen und ich weiß, dass die Bilder, die man an jenem 11. September weltweit zu sehen bekommen hatte, nur einen schwachen Abglanz der höllischen Realität hatten wiedergeben können. Dort zu stehen erfüllt mich mit Ehrfurcht und mit Trauer.
Ab diesem Punkt möchte ich nichts weiter mehr sehen. Wir nehmen die U-Bahn und erreichen binnen weniger Minuten den Busbahnhof. Aus dem Fenster des Peter Pan Reisebusses werfe ich noch einen letzten Blick auf die nächtliche Postkartenskyline von New York. an diesem Tag wurde mir mehr als nur ein Wunsch erfüllt…
Am nächsten Tag, einem Sonntag, habe ich noch Zeit den College Campus und den angrenzenden Wald zu durchstreifen. Es ist ein Sonnentag und schon recht warm, wenn auch immer noch etwas windig. Auf den Grünanlagen blüht es schon bunt, Krokusse in gelb, violett und weiß sind zu sehen, Leberblümchen und gezüchtete Kuhschellen, japanische Strauchgewächse, deren Namen ich vergessen habe. Ich treffe hin und wieder auch andere Spaziergänger, teilweise sind es Eltern von College Studierenden, teilweise handelt es sich um Ortsansässige, die ihre Hunde an der Leine ausführen. Hier dürfen die Hunde nicht frei laufen, nicht einmal im Wald. So muss ich auch wieder an Bauschan denken und daran, dass er an meiner Seite ein sehr glückliches Leben führen und in unserm kleinen Wald nach Herzenslust herumlaufen durfte. Mir wird klar, dass ich ihn die ganze Zeit mitgeführt habe während der fünf Tage meines USA Aufenthalts, so wie ich auch meine Mama mitgeführt habe und meine Freundinnen, die andern beiden Kronstädter Grazien unseres Trios, und meine jungen Theatermacher der Gruppe. Ich habe sie alle hierher beigebracht, wie in einem Text von J. W. zu lesen ist, denn ich meine, dieses Land genannt Amerika, von dem Peter Bichsel schrieb, es gäbe es gar nicht, sollte man grundsätzlich nicht allein bereisen.
Epilog
Der Abschied von M.M. fällt mir schwerer, als ich gedacht hatte. Während der kurzen Zeit, die ich bei ihr verbringen durfte, habe ich in der jungen Frau, meiner ehemaligen Studentin, eine echte Freundin und Seelenverwandte entdeckt. Nun sehe ich sie mir von jenseits der Absperrung der Check-in Area zuwinken. Ich winke zurück, während ich schon damit beschäftigt bin, meine Schuhe auszuziehen und sie zu dem Übrigen auf das Kontrollband zu stellen. Ein kurzes Zuzwinkern, dann wende ich mich dem Zollbeamten zu, der mir bedeutet, über die Kontrollschwelle zu treten. Kurz nach 20 Uhr Ortszeit hebt die Maschine in Richtung London Heathrow ab. Eine lange Flugnacht steht mir bevor. Ich schaue mir wieder drei Filme an, versuche zwischendurch auch zu schlafen, zu lesen, irgendwie gelingt mir nichts davon so recht. Immer wieder verfalle ich in einen eigenartigen Dämmerzustand, in dem ich mir immer noch auf den Straßen von New York den kalten Wind um die Ohren wehen lasse und der Lady Liberty, die tatsächlich grün ist, von der Fähre aus zuwinke.
Durch das Bullauge neben mir sehe ich die ersten roten Streifen am Himmel, auf dem wir beinahe bewegungslos zu schweben scheinen und der jetzt viel eher als ein endloses Sicherheitsnetz anzusehen ist. Als man dann zum Sinkflug und zur Landung ansetzt, reißt das Netz immer mehr auf, die Erde wird sichtbar, breitet sich als Flickwerkdecke unter mir aus, auf der die Maschine bald landen wird. In Heathrow mache ich mich auf den umgekehrten Weg vom Terminal 3 zum Terminal 5, dem größeren, auf dem sich Passagiere in kunterbuntem Durcheinander hin- und her bewegen, an Imbissständen anstehen, in den zahlreichen Läden Bücher, Parfüms oder Süßigkeiten einkaufen bevor sie zu ihren Abflugtoren gehen. Auch ich werde hier einige Mitbringsel einkaufen und damit die Sammlung, die ich in Philadelphia und New York begonnen habe nun mit einigen Magnetbildern aus London ergänze. Allerdings geschieht dies nicht bevor ich eine weitere Kontrolle über mich ergehen lasse, der mein Handgepäck allerdings nicht standhält. Der Inhalt meines Kulturbeutels hätte in durchsichtige Folie gepackt werden müssen. Nun wird mein Gepäck Stück für Stück ausgepackt und genauestens durchleuchtet. Meine amerikanischen Mitbringsel, allen voran eine Minibüste von Benjamin Franklin in Form eines Bleistiftspitzers wird von der Zollbeamtin mit einem nachsichtigen Lächeln quittiert.
Die Maschine von Heathrow nach Bukarest ist voll besetzt. Ich sitze in der rückwärtigsten Reihe am Fenster. Die Dame neben mir scheint unter Flugangst zu leiden. Sie spricht kein einziges Wort, vollführt aber in größeren oder kürzeren Abständen stereotypisch fahrige Bewegungen, sucht minutenlang irgend ein Objekt in ihrer Handtasche, blättert immer wieder nervös in der Bordzeitschrift, lehnt sich mal nach vorne, mal drückt sie sich ganz steif gegen die Lehne ihres Sitzes, versucht zu schlafen, kann es offensichtlich nicht. Kurz vor der Landung in Bukarest, beginnt sie zu sprechen, fragt mich, ob ich gehört hätte, dass ein Airbus kürzlich abgestürzt und wie schrecklich das doch gewesen sei und wieso American Airlines immer noch eine solche Maschine fliege... Ich sehe sie etwas erstaunt an und meine beruhigend, dass uns das auf gar keinen Fall passieren könne, allerdings finde ich kein triftiges Argument für meine Aussage. Und sie lehnt sich wieder ganz weit zurück und erzählt mir unvermittelt und mit geschlossenen Augen, dass sie aus Philadelphia komme, wo sie die letzten sechs Monate bei ihrer Tochter und dem Enkelkind verbracht habe und wie sehr ihr der Kleine jetzt schon fehle! Ich unterdrücke die Bemerkung, dass auch mir meine Liebsten sehr fehlten, weil sie alle längst tot seien, stattdessen murmele ich mehr für mich so etwas wie, ja, sehen Sie, so öffnen, so schließen sich die Kreise, gute Frau.
Aussicht aus dem Central Park. Foto: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
31.05.24
Interview mit Bernhard Heigl, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Kreis Kronstadt
[mehr...]
31.05.24
Das Andreanum - 800 Jahre Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen (II)/ Von Dr.Harald Roth, Deutsches Kulturforum östliches Europa
[mehr...]
24.05.24
Das Andreanum - 800 Jahre Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen (I)/ Von Dr.Harald Roth, Deutsches Kulturforum östliches Europa
[mehr...]