Lady Liberty ist grün!
20.06.19
Impressionen (m)einer zweiten Amerikareise. Eine literarische Berichterstattung (I)/Von Carmen Elisabeth Puchianu
Von Otopeni nach Philadelphia via Heathrow
Nach Amerika zu fliegen ist mehr als nur eine Reise in ein fremdes Land. Es ist vielmehr eine Reise ins Deja-Vu, oder ins Deja-Lu, ins Angeeignete, Angelesene, Angesehene. Und außerdem ist es eine Reise nach Übersee. Der Gedanke an die lange Flugreise, an das möglicherweise mehrfache Umsteigen macht die Sache nicht leichter selbst dann nicht, wenn man gerne fliegt und das Treiben auf den Flughäfen so ganz in Foucault’scher Manier als heterotopische Annehmlichkeit empfinden. Immerhin werden einem, sobald man den Flughafen betreten hat, alle weiteren Entscheidungen abgenommen, alles scheint bereits entschieden und festgelegt, man wird behutsam aber dezidiert in die rechte Richtung geschubst und manövriert, dass einem nicht anderes übrig bleibt, als sich brav einzureihen, sich allen möglichen und unmöglichen Checks und Sicherheitsvorkehrungen zu unterwerfen, um schließlich im Flieger seinen Platz zu finden und diesen für die nächsten 3 und danach beinahe 8 Stunden einzunehmen und sich seinem fliegenden Schicksal zu fügen.
Die erste Flugetappe verbringe ich größtenteils schlafend, da ich Mitten in der Nacht aus Kronstadt nach Bukarest Otopeni gefahren werde. Natürlich komme ich viel zu früh am Flughafen an, aber besser so, denke ich und suche einen freien Platz zum Zeit absitzen. Kaffee werde ich im Flieger trinken, jetzt verzehre ich lieber eines meiner mitgebrachten Jausenbrote und beobachte die Menschen, die mit ihrem Gepäck hin und herlaufen, sich die elektronischen Aufschriften ansehen, gestikulieren, aufgeregt auf einander einreden, feststellen, dass sie etwas vergessen haben oder viel länger zu warten haben, als sie gedacht hatten. Manche dösen auf den Bänken, andere stehen vor dem Flughafengebäude und rauchen eine Zigarette nach der andern. Schließlich ist es so weit, für meinen Flug nach London Heathrow wird soeben der Check-in geöffnet. Ich habe zwar meinen Check-in online gemacht, allerdings nur für die erste Flugetappe, so frage ich sicherheitshalber nach, man sagt mir, das müsse ich problemlos in London erledigen.Und dann sitze ich auf meinem Fensterplatz in der Maschine der British Airways und verfalle bald nachdem sie abgehoben hat, in eine Art Dämmerschlaf, aus dem ich erst richtig erwache, nachdem man zum Landeflug ansetzt.
Heathrow, so wurde ich bereits zuhause vorgewarnt, ist ein Riesenflughafen, dort braucht man viel Zeit um von einem Terminal zum nächsten zu gelangen, zumal wenn man vorher noch den nicht vollständigen Check-in für den Weiterflug zu erledigen hat. Allerdings habe ich volle drei Stunden vor mir bis zum Abflug der Air American nach Philadelphia, auch ist alles sehr übersichtlich ausgeschildert, sodass ich ohne Weiteres zum Ausgang des Terminal 5 und von dort per Bus zum Terminal 3 gelange. Dort habe ich jede Menge Zeit und Muße, mir das Treiben anzusehen, einen Buchladen zu besichtigen, in einem Pret-a-manger eine indische Gemüsesuppe und einen Cappuccino zu erstehen, mich an einen Tisch zu setzen und die Suppe zu verzehren, danach mit dem Cappuccino auf einem Sessel im Warteraum Platz zu nehmen und mich mit dem rumänischen Ehepaar zu unterhalten, das mir bereits in Bukarest aufgefallen war und mit dem ich dann im Flughafenbus von einem Terminal zum andern sogar ein paar Worte gewechselt hatte. Sie sind beide Rentner, sichtbar älter als ich, und fliegen in die USA zu Tochter und Enkelkindern, ihnen steht ein noch längerer Flug bevor als mir, sie nehmen alles mit gespielter Gelassenheit hin, aber ich merke, dass es ihnen nicht eben leicht fällt. Sie sorgt sich um sein kaputtes Knie, das er hoffentlich ausstrecken und etwas bewegen können wird, und er sorgt sich um ihren Blutdruck und überhaupt macht beiden die Tatsache zu schaffen, dass sie ein zweites Mal in Newark umsteigen müssen. Das alles verbergen sie mühevoll vor einander und tun so, als hätten sie niemals etwas anderes getan, als über den Ozean zu fliegen. Ich versuche mir vorzustellen, was sie dort drüben jeden Tag tun und wie sie sich in der fremden Welt zurechtfinden würden. Und ich verstehe, dass allein die elterliche und großelterliche Liebe und Fürsorge diesen und so vielen andern alten Menschen die Kraft verleihen, derlei Strapazen auf sich zu nehmen.
Ich sitze so, dass ich die weitläufig und offen angelegte Buchhandlung vor mir und die Anzeigetafel halb rechts von mir ohne Schwierigkeit beobachten kann, so werde ich gleich sehen, wann das Gate meiner Maschine nach Philadelphia öffnet. Das sollte kurz nach 12 Uhr Ortszeit geschehen, so steht es auf der Anzeigentafel und so geschieht es auch. Um 13:30 Uhr sollten wir abheben und das tun wir auch, just nachdem die Passagiere ihre Plätze eingenommen haben. Ich sitze auf einem D Platz, das heißt, ich sitze am linken Zwischengang und werde mich daher ab und zu sogar auf und ab bewegen können, wenn meine Glieder allzu steif werden sollten während des langen Sitzens. Die beiden Plätze neben mir bleiben frei, lediglich der vierte Platz dieser Mittelreihe ist belegt. Sehr gut, da kann man ja sogar die Beine seitlich hochlegen. Ich wundere mich etwas, dass die große Maschine eher spärlich besetzt ist, in allen Reihen gibt es freie Plätze, Mitte März scheint keine allzu belebte Reisezeit zu sein, denke ich, und schalte gleich den kleinen Bildschirm vor mir ein. Ich werde Filme sehen und zwar die ganz Neuen, Preisgekrönten. Ich beginne mit The Favorite und höre mit The Wife auf. Zwischendurch lese ich im neu verlegten Ascheregen von J.W. und manchmal verfalle ich in einen leichten Dämmerschlaf. Dann heißt es irgendwann, man setze zur Landung an. Gegen Abend eines endlos scheinenden Tages, während dessen unvorstellbar viel Raum hinter mir zurückgeblieben ist, lande ich in Philadelphia und werde von meiner ehemaligen Studentin, M.M., ganz herzlich begrüßt und sogar in die Arme geschlossen. Zusammen fahren wir etwa 20 Minuten bis in die Kleinstadt Swarthmore, wo sich Ms College befindet, dessen Gast ich in den nächstens Tagen sein werde. Es ist ein renommiertes College, an dem viel Wert auf die kultur- und sprachwissenschaftliche Ausbildung der Studierenden gelegt wird, und ich bin richtig stolz, dass eine unserer ehemaligen Studentinnen es geschafft hat in den USA zu promivieren und an einem so angesehenen College zu unterrichten. Man hat mich eingeladen, einen Vortrag über rumäniendeutsche Literatur zu halten und eine Lesung aus meinem Werk zu machen. Dazu wird mir die Möglichkeit geboten, mich in der Umgebung umzutun, was ich alles gerne annehme.
Pennsylvania reimt auf Transylvania
In Swarthmore gibt es im Grunde außer dem College Campus mit dessen Anlagen und Gebäuden nicht viel zu sehen, handelt es sich um eine recht adrette aber doch eher gewöhnliche Kleinstadt, wie es derer zahllose gibt in Pennsylvania oder in Maine, dem sogenannten New England. Ich nehme an, dass man aus Swarthmore nach Philadelphia oder in andere größere Ortschaften fährt um zu arbeiten. Und man tatsächlich binnen einer knappen halben Stunde mit dem Zug in Philadelphia sein und in der Jefferson Station mitten in der Stadt aussteigen. Und das tue ich gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft: Es ist ein Mittwoch und mein freier Tag, der Tag der Anpassung sozusagen.
Philadelphia ist ein interessantes Gemisch von geschichtsträchtiger Tradition und neuzeitlicher Baukunst. Im Grunde handelt es sich um eine Stadt aus der amerikanischen Gründerzeit und sie zeugt vom abenteuerlichen Geist der ersten europäischen Einwanderer, Deutsche, Holländer, Iren und weitere mehr. Ihnen allen sind größere oder kleinere Denkmäler gewidmet: beeindruckende Bronzeallegorien, Steinskulpturen berittener Generäle und Heroen, eine bescheidene Parkbank mit dem Namen irgendeiner Gönnerfamilie in einem kleinen öffentlichen Garten, die Liberty Bell, jene Glocke, die zum ersten Mal die amerikanische Unabhängigkeit eingeläutet hatte, und nicht zuletzt das Tor der Landungsbrücke, an der William Penn und seine Leute zum ersten Mal das Ufer des stattlichen Delaware Flusses betreten und sich bald darauf heimisch gemacht hatten. Das ganze County, Pennsylvania, trägt den Namen des illustren Gründungsvaters, dessen überdimensionierte Statue den Turm der alten City Hall, des Rathauses, schmückt und mit majestätischer Geste die Stadt und das Land überwacht. Die City Hall kann man besichtigen und vor allem kann man sich auf den Turm hinauffahren lassen. Dazu braucht man lediglich eine Besucherkarte zu erwerben, auf der die genaue Uhrzeit angegeben wird, zu der man sich vor dem Aufzug einzufinden hat.
Fortsetzung folgt
Swarthmore am Abend meiner Ankunft. Fotos: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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