Meinungen
21.03.19
Richtungsweisend für Europa und Rumänien
Die Wahlen fürs Europa-Parlament stehen am 26. Mai an. Vor fünf Jahren gingen in Rumänien knapp ein Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen. Diesmal dürften es mehr sein denn Rumänien hat bis Ende Juni die EU-Ratspräsidentschaft inne und für den 9. Mai ist in Hermannstadt das EU-Gipfeltreffen angesetzt. Erwartet werden dabei klare Worte und Hoffnung gebende Perspektiven seitens der EU-Führungsspitze für die Zukunft der Europäischen Union. Denn inzwischen macht man sich Sorgen, dass der Brexit, die Folgen der Finanzkrise in Griechenland, populistische Tendenzen in Ungarn, Polen, Italien, die Schwächung des Rechtsstaates in Rumänien schwerwiegendere Folgen haben als der traditionelle Unmut über die sprichwörtliche Brüsseler Bürokratie oder die Klagen über das zu teure und zu blasse EU-Parlament.
Wie kommen aber Europa-Themen auf Lokalebene, zum Beispiel in Kronstadt, an? Ob die EU in den nächsten fünf Jahren sozialdemokratischer oder christdemokratischer oder „grüner“ sein soll, ist dem hiesigen Durchschnittswähler eigentlich gleichgültig. Von einem massiven Flüchtlingsstrom fürchtet man sich in Rumänien, zum Unterschied von Westeuropa oder Ungarn, nicht. Da bereiten eher die mit Russland verbundenen Bedrohungen eine gewisse Verunsicherung. Der Garant für Frieden ist wohl die EU aber in Abwesenheit einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik sind eher NATO und die USA diejenigen an die man sich wenden muss, wenn die „russische Gefahr“ heraufbeschworen wird.
Mehr zählen die sozusagen kleineren, alltäglichen Vorteile die die EU-Mitgliedschaft fast jeder rumänischen Familie gebracht hat: die Möglichkeit im Ausland zu arbeiten oder zu studieren oder einfach sich dort als Tourist aufzuhalten. Diese will man nicht verlieren, wie auch die EU-Fonds die den Lebensstandard verbessern, Investitionen ermöglichen, Arbeitsplätze schaffen. Wer das alles im Namen eigener Interessen und willkürlich zurechtgebogenen Vorstellungen über Rechtsstaat, Unabhängigkeit der Justiz oder sogar nationale Souveränität aufs Spiel setzt, der müsste die EU-Wahlen verloren haben.
Keine Partei, kein Kandidat wird sich gegen die europäische Zukunft Rumäniens aussprechen. Aber unter dem Motto „Die rumänischen EU-Parlamentarier müssen Rumäniens Interessen vertreten“ wird oft von nationalistischen parteienübergreifenden Kreisen versucht, die EU-Politik als „antirumänisch“ darzustellen. Der Wähler muss selber erkennen, wer auf Grund von Taten und erfolgreich umgesetzten Initiativen demokratisch und europäisch handelt, wer nur leere Versprechungen liefert und wer im Kampf gegen vermeintliche Feinde aus dem In- und Ausland grob gegen die europäischen Ideale verstößt.
Die PSD samt ihren Verbündeten dürfte als Regierungspartei auch in Kronstadt, wo sie in Stadt- und Kreisrat nur die zweite Geige spielt, die Gunst weiter Wählerkreisen verspielt haben. Ob sie wieder, wie vor fünf Jahren (damals in Allianz mit UNPR und PC) als Sieger dastehen wird, wäre traurig aber, zumindest in Kronstadt, vermeidbar. Die Kronstädter Nationalliberalen haben ihren Chefarrangeuren Cancescu verloren; Bürgermeister Scripcaru ist (zumindest auf Papier) aus der Partei ausgetreten und hält sich mit öffentlichen Auftritten und Äußerungen zurück. PNL-Filiale-Leiter Adrian Vestea versucht aus dem Flughafen-Projekt (wo EU-Fonds nur indirekt ins Gewicht fallen könnten) Kapital zu schlagen und bemüht sich, die alten PNL- und die von der PDL hinzugekommenen Leute zusammenzuhalten. PNL Kronstadt unterstützt, in Mangel eines eigenen Kandidaten, Siegfried Muresan, ein junger aber bereits erfahrener EU-Parlamentarier der durch Heirat auch persönliche Bindungen zu der Stadt am Fuße der Zinne hat. In einer bunt gemischten Wählerliste (mit dem Journalisten und Fernsehmoderator Rares Bogdan als Spitzenkandidaten) ist Muresan auf Platz drei gesetzt. PNL rechnet mit zehn Mandaten im neuen EU-Parlament und traut sich den Wahlsieg landesweit zu.
Die Überraschung könnte aber die Wahlallianz USR-PLUS bringen. Wie europaweit so ist auch in Kronstadt eine neugegründete Bewegung die auf bürgerschaftliches Engagement setzt, besser im Trend als alte, große aber inzwischen abgenutzte und unpersönliche Parteistrukturen. USR punktet in Bereichen, wo die Liberalen als Stadtverwaltung Schwierigkeiten haben: Stadtmobilität und Umweltschutz. USR setzt eine mobile Messstation für Messungen der Luftreinheit ein; die Stadt schließt eine fixe Station und versetzt sie an eine wenig befahrene Stelle. USR spricht sich gegen illegale Baupläne in der Oberen Vorstadt aus – die Stadtverwaltung reagiert nur nachträglich. USR mobilisiert die Bürger mit Unterschriftenkampagnen für neue und integre Leute in der Politik - PNL (wie auch PSD) können sich nicht erneuern. USR organisiert öffentliche Debatten – andere Parteien beschränken sich auf Pressemitteilungen. Unter diesen Umständen könnte diese Allianz als Sammelbecken jener Wähler gelten, die anti PSD eingestellt sind, aber bisher aus Verdruss nicht wählen gingen. Dass man sich ideologisch viel Freiraum bei USR-PLUS lässt, ist eine Rechnung die eher mehr als weniger Wahlstimmen einbringen könnte. Das selbstgesteckte Ziel von 20 Prozent der Wahlstimmen könnte in Kronstadt von USR-PLUS sogar überboten werden.
Die Wahlen fürs Europa-Parlament sind wichtig, nicht nur weil sie richtungsweisend für die europäische Zukunft des Landes sein müssten, aber auch weil sie als Stimmungsbarometer gelten in Hinblick auf die am Jahresende angesetzten Wahlen für den Landespräsidenten und für die Kommunal- und Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Die Wahlbeteiligung müsste jedem verantwortungsbewusstem Bürger als etwas Selbstverständliches gelten. Dass eventuelle die Wahlen mit einem Referendum zum Thema Justiz gekoppelt werden sollen, ist wohl verfassungskonform, bleibt aber eine umstrittene Entscheidung. Seitens des Deutschen Forums (das keinen eigenen Kandidaten für die EU-Wahlen hat) ist bisher keine Wahlempfehlung ausgesprochen worden.
Hoffentlich verlaufen die Wahlen am 26. Mai korrekt, selbst wenn die Wahlkampagnen der meisten Parteien voraussichtlich eher auf Emotionen, Falschmedlungen und persönliche Angriffe setzen werden und weniger auf Fakten, Vernunft und stichhaltige Argumente.
Ralf Sudrigian
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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