Ohne „elektronische“ Märchen (III)
11.10.18
Wie ich die Zeit als Grundschulschüler und Gymnasiast von 1933 bis Ende 1946 in Nordsiebenbürgen erlebte/von Dr. Johann Böhm
Der Nationalsozialismus brachte auch im deutschen Siedlungsraum von Rumänien selbst keineswegs eine in sich geschlossene Doktrin hervor. Er fasste nur extremistische, zeitgenössische geistig-politische Tendenzen - wie im Reich - zusammen. Latent waren also im deutschen Siedlungsraum von Rumänien vor der Gründung der Nationalsozialistischen Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDAR) und der Nationalen Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien (NEDR) bereits alle NS-Lehren vorhanden. Sie brauchten nur noch wirkungsvoll den Deutschen „eingebläut“ zu werden.
1939 war das Jahr des Aufatmens, der selbst genügsamen Gesichter, des Umdenkens auch der Skeptiker und Kritiker. Alles schien zu bestätigen, was die Naziparole „Der Führer hat immer recht“ verhieß. 1939 habe ich als Zehnjähriger besonders schön in Erinnerung, als sonnig, warm und wohlig. Mir ist es, als hätte meistens die Sonne geschienen. Unsere Gärten hinter den Häusern waren wie ein grünes Zimmer. Die Hälfte des Jahres spielte sich im Freien ab, und bis in die Nächte hörte man ringsum nur fröhliches Lachen und Bechern. An die Nazis in den Spitzenstellungen der NS-Erneuerungsbewegung gewöhnte man sich nach und nach. Das Jahr 1939 ist eingebrannt in die Geschichte und in die Haut der Erde und in die Alpträume aller, die es erlebten. Es lag in der Luft wie Smog. Ungeachtet aller Friedensbeteuerungen und ohne Skrupel ließ Hitler am 13. März seine Wehrmacht gegen die verkleinerte Tschechoslowakei einmarschieren. Auf dem Hradschin, der Prager Burg, verkündete er der geschockten Welt, dass der tschechische Teil des Vielvölkerstaates künftig das deutsche „Protektorat Böhmen und Mähren“ und der slowakische der selbständige Staat Slowakei seien. Beschlossen und verkündet. Nach Hausbesetzerart. Die Begeisterung Großdeutschlands war verhalten. Die meisten Deutschen in Rumänien befürchteten, dass es diesmal schiefgehen könnte.
Als der Krieg begonnen hatte, wurde zu Hause ständig vom Krieg geredet. Mein Vater und Großvater erzählten vom Ersten Weltkrieg viele, viele Geschichten. Diese Zeit war für junge Leute aber sehr, sehr weit weg. Dennoch hörte man begierig zu, weil es so ganz anders klang als das, was man sonst offiziell zu hören bekam. Doch wieder blieb es ruhig in Frankreich, England und Amerika. Und schon bald verflogen auch die deutschen Ängste wie Zwiebelträume. „Der Führer hat immer recht.“
Trotz der durch Prag ausgelösten Krise und trotz englischer und französischer Interventionen wurde der Wirtschaftsvertrag zwischen Deutschland und Rumänien am 23. März 1939 abgeschlossen. Das deutsche Wirtschaftsinteresse an Rumänien hatte sich als weitaus wichtiger erwiesen als die ideologische Solidarität mit der Eisernen Garde. Vertreter der SS und der Partei sowie der damalige Nachrichtenberichterstatter, Dr. Klaus Schickert in Bukarest, welche die Eiserne Garde unterstützten und mit ihr sympathisierten, kritisierten die Prinzipienlosigkeit gegenüber dem faschistischen Gesinnungsgenossen. Da sich aber die Mehrzahl der deutschen Berichterstatter, denen Hitler Gehör schenkte, darüber einig waren, dass die Eiserne Garde niemals regierungsfähig sein würde, entschloss sich die nationalsozialistische Führung, die Eiserne Garde einerseits zu unterstützen und andererseits sie als Druckmittel im politischen Pokerspiel zu verwenden. Dieses Spiel sollte sich zwei Jahre später wiederholen.
1940 alles wie gewohnt: die Krähen in den Gärten, Schnee, das Ticken der Wanduhr. Morgens wurde es hell wie immer, auch in Botsch. Man schaute aus dem Fenster. Dann die aufregende Nachricht im August: Zweiter Wiener Schiedsspruch. Dass 43.492 km² große Nordsiebenbürgen wurde Ungarn angegliedert, während das 59.295 km² große Südsiebenbürgen weiterhin rumänisches Territorium blieb. Doch dann stockte das Herz: Krieg. Dieses Wort legte die Gedanken lahm. Man konnte nicht froh sein, nicht hoffen, nicht weg. Der Winter schien den Krieg gebremst zu haben. Nach dem Blitzsieg über Polen, an dessen Zerstückelung sich auch sowjetische Truppen beteiligt hatten, überstieg die angenehme Phantasie. Noch kein Fliegeralarm, kein Mangel, keine Verwundeten. Ordnung nach gewohntem Maßstab. Tagsüber ließ sich die innere Unruhe leicht bremsen, bei der Arbeit, in der Schule. Aber mit der Dunkelheit kam sie um so bedrückender zurück in die Gemeinde: kein Anhaltspunkt, kaum Gespräche, kein Lachen, kein nettes Wort. Unbeeinflusst vom „Vater der Dinge“, wie der Stubenhocker Heraklit den Krieg definierte, paukten wir im Unterricht im Gymnasium von Sächsisch Reen Vokabeln und deutsche Lyrik. Die bemerkenswerteste Veränderung gab es im Biologieunterricht - den Rassegedanken.
Im Rassekunde-Unterricht ging es sehr hart her, und unser Lehrer und Pfarrer Friedrich Benesch, selbst alles andere als der Typus des nordischen Menschen, konnte nicht genug das nordische, blonde Schönheitsideal herausstellen. Wenn er zu Beispielen aus der Klasse schritt, ließ er einen blonden DJ-Jungen aufstehen, um an ihm den nordischen Typus zu erklären. Da aber in unserer Klaase im Gymnasium von Sächsisch Reen auch Schüler rumänischer und ungarischer Intellektuellen waren, wurde einer von ihnen aufgefordert, aufzustehen, um als Typus des mediteranen Menschen vorgeführt zu werden. Das hat mich natürlich geärgert. Nachdem das einige Male passiert war, packte den rumänischen Schüler die Wut. Er sagte: Herr Prof. Benesch, ich fühle mich genau so nordisch wie Adolf Hitler, was Haarfarbe und Augen betrifft. Die Klasse trommelte mit den Händen auf die Bänke. Unser Lehrer Benesch bekam einen roten Kopf im wahrsten Sinne des Wortes; denn Haare, die Hitler anders erscheinen ließen, konnte er nicht herbeizaubern. Von diesem Augenblick an wurden keine Schüler mehr aufgerufen.
Allmorgendlich, je älter das Jahr wurde, sahen wir unter den Familienanzeigen im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt, Beiblatt der Südostdeutschen Tageszeitung, eine Art Völkischer Beobachter des Südostens und in der Zeitschrift Volk im Osten Todesanzeigen mit dem Eisernen Kreuz. „Für Führer, Volk und Vaterland fiel auf dem Felde der Ehre unser geliebter ...“. Die ersten wurden wie Unglücksfälle aufgenommen, später wurden sie zahlreicher. Bald befanden sich auch Schüler aus dem Bistritzer und Sächsisch Reener Gymnasiums darunter, drei bis vier Klassen über mir. Manche waren als Fronturlauber noch mal zu Besuch im Gymnasium gewesen und hatten uns von ihrem „Einsatz“ vorgeschwärmt. Solche Heldentaten machten nachdenklich, wenn man dem Helden persönlich nahestand. Aber nicht stutzig.
Inzwischen gehörte ich dem Jungvolk (DJ) an. Meine Eltern kauften mir eine Uniform, die aus wenigen Teilen bestand; Schiffchen, Braunhemd, Halstuch mit Lederknoten, Koppel mit Schulterriemen und Cordhose. Dazu kamen dann noch ein einfacher Brotbeutel und eine Feldflasche für die „Verpflegung“, wenn wir „auf Fahrt“ gingen, was soviel bedeutete, dass wir öfters in den Wald fuhren oder gingen. Im Wald wurde dann ein Lager gebaut mit einer Feuerstelle. Im „Hordentopf“ brodelte eine dicke Suppe für die hungrigen Mägen, die wir den Butterbroten von zu Hause unbedingt vorzogen. Wir streiften durch das Gelände, dauernd bereit, neue Entdeckungen zu machen. Der Krieg hatte den „Dienstplan“ noch zeitraubender gemacht. Verwundetenbetreuung und Bahnhofdienst sowie das Winterhilfswerk, Werbeaktionen und Einberufung deutscher wehrpflichtiger Männer zur Waffen-SS kamen hinzu. Bis heute weiß ich nicht, warum solche Erlebnisse nur das Gedächtnis beschäftigten, nicht aber die Gedanken.
1943 war ich 14 Jahre alt, schon längst kein gutgläubiges Kind mehr, Zweifel und Verzweiflung grassierten in meinem Unterbewusstsein, gewiss, aber sie verführte mich nicht zu Mutlosigkeit und Lebensangst, sondern zu noch größerer Liebe zu meiner Heimat Siebenbürgen. Skurril und paradox. Auf dem „Schleichwege zum Chaos“ waren wir allesamt, auch das Gros der Erwachsenen zu endogenen Psychopaten geworden. Erst nach 1945 wurde mir bewusst, was diese Zeit (1933-1945), d. h. die NS-Erneuerungsbewegung des Fritz Fabritius und die NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien unter Andreas Schmidt und dieser Hitler uns antat: Wir lernten das Leben nur in verkleinerter Kopie kennen. Unsere Reaktionen, Gefühle, Gesten, die Tage waren entstellt und andersartig, abartig. Ohne dass wir es begriffen, verleugnete jede Lebensäußerung uns selbst. Jede Kreativität war durch die Werbeaktionen zur Waffen-SS, durch Sondermeldungen, Bedrohungen aller Art sinnlos geworden. Niemand nicht an der Front, nicht unter dem Hausdach, wusste bald schon nicht mehr, ob er den anderen Tag, die nächste Jahreszeit, eine Zukunft erreichen würde. Das machte uns zu Milieugeschädigten, dumm, aber trotzköpfig. Anfang März 1940 war die trügerische Ruhe zu Ende. Viele volksdeutsche Ruhrkranke in rumänischen Einheiten stürmten deutsche Lazarette und versuchten mit Hilfe bekannter Offiziere der deutschen Luftwaffe, PK Nikolayew, Abhilfe zu schaffen, wurden dann zum dortigen SS-Sonderkommando - Oberführer Ohlendorf - weitergeleitet und in dessen Dienst gestellt.
(Fortsetzung folgt)
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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