Pest, Glaube, Reformation in der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte (II) / Von Thomas Sindilariu
26.11.20
Vortrag im Gottesdienst zum Reformationsfest in sächsischer Sprache, Michelsberg 31.10.2020
Die Fülle an detaillierten Angaben zum Pestgeschehen in Kronstadt vor gut 300 Jahren verdanken wir auch der Tatsache, dass Siebenbürgen damals seit 30 Jahren bereits Teil des weitläufigen Herrschaftsverbandes der Habsburger und damit Europas war. Davor, besonders im 17. Jahrhundert war Siebenbürgen geopolitisch betrachtet Niemandsland und allzu oft Kampfgebiet. Folglich ist nur die Anzahl der Pestepidemien, fünf an der Zahl, bekannt, jedoch liegen kaum Informationen über ihre Bekämpfung durch namhafte Mediziner vor. Es gab sie schlechterdings nicht.
Im Archiv der Honterusgemeinde liegt aus dieser Zeit ein handschriftliches Kantional (eine Kombination aus Agende und Gesangbuch) vor, über das der Kronstädter Kirchenmusiker Tamas Sz?cs eine bemerkenswerte Doktorarbeit unter dem Titel „Zwischen Pest und Stadtbrand“ veröffentlicht hat. Über einem Punkt seiner Arbeit habe ich mit Tamas lang diskutiert: die Identifizierung des Hauptschreibers. Es sind mehrere Handschriften darin enthalten, aber der Band ist aller Wahrscheinlichkeit nach der prägendsten Figur des musikalischen, tipografischen und politischen Lebens von Kronstadt im 17. Jahrhundert, Michael Herrmann (1602-1660), zuzuschreiben, der 1626 als Kapellmeister im Gefolge des Fürsten von Siebenbürgen, Gabriel Bethlen, nach Kronstadt gekommen war und kurz entschlossen in das Amt des Organisten der heutigen Schwarzen Kirche wechselte.
Unter den Pestgebeten des Kantionals weist allein das nachfolgende Beispiel die Jahreszahlen der Pest von 1633, 1648 und 1660 auf und schließt an zwei Verse des 90. Psalms wie folgt an:
„Dass macht dein Zorn, dass wir so vergehen.
Und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen
Lasst uns bitten: O Allmächtiger Ewiger Gott […] Wir bitten dich herzlich, du wollest von uns und dieser ganzen Gemein, ja auch von allen anderen Örtern, unsere Mitbrüder und Schwestern in Christo, die schrecklichen Frücht der schädlichen Pestilenz väterlich abwenden, und uns verleihen, dass wir uns mit wahrer Reu und Leid unserer Sünden, von ganzem Herzen zu dir bekehren, und wir also nicht allein dem zeitlichen sondern auch dem ewigen Übel entrinnen, und in deiner Gnad immer und ewiglich bleiben mögen, umb Christi Jesu unseres Herrn Willen. Amen“
Umkehr, das Erreichen des wahren Glaubens mithilfe des Herrn, hilft insofern auch gegen die Pest, da sie so als Strafe hinfällig wird – so ließe sich die Essenz des Gebets ohne theologischen Anspruch zusammenfassen. Eine dem protestantischen Milieu typische Bereitschaft, die Vorsehung anzunehmen, ist hierin durchaus aber auch erkennbar.
Herrmann gelang übrigens die endgültige Sicherung des Eigentums der Stadt Kronstadt über die Törzburg und die zugehörigen neun Dörfer. 1658 trat er den Heerschaaren der Tataren und Türken entgegen und erreichte mit diplomatischem Geschick und gezielter Bestechung die Abwendung der Ausplünderung des Burzenlandes. In der Folgezeit begann die politisch instabile Endphase des Fürstentums Siebenbürgen. Derartige Mengen an fremden Truppen hatte das Land noch nicht gesehen. Unweigerlich blieben die Seuchen nicht aus. Michael Herrmann selbst starb 1660 in der damaligen großen Pestwelle.
Über die Maßnahmen, die im 16. Jahrhundert gegen die Pest in der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte ergriffen wurden, will ich nur einige Bemerkungen machen, da noch in diesem Jahr dank des Engagements von Dr. Robert Offner über das Siebenbürgenforum und den Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde ein Band über das Wirken dreier Hermannstädter Stadtärzte im 16. Jahrhundert erscheinen wird. Die Ankoppelung Siebenbürgens an den habsburgischen Raum war damals weit enger als im 17. Jahrhundert. Folglich sind mit Johann Salzmann (1510), Sebastian Pauschner (1530) und Johann Stubing (1561) berühmte Mediziner jener Zeit bei uns anzutreffen gewesen.
Zwei Bemerkungen hierzu also nur: Salzmann und Pauschner sind eindeutig dem katholischen Europa zuzuordnen und stehen in klarer Weise in Kommunikation mit den sonst am Kontinent üblichen Abwehrmaßnahmen gegen die Pest. Der einzige, dem es in der siebenbürgischen Geschichte je gelungen ist, durch frühe, konsequente und langanhaltende Abschottung die Pest vollends von einer Stadt fern zu halten, ist Johann Salzmann gewesen. Er hatte dies 1510 in Hermannstadt erreicht, während „all ander umbligund Stett und Märckt, die solcher ordnung nit pflegten, mit der pestilentz grausamlich beschärt warden“, wie Salzman leider ohne Angabe von Dauer und Opferzahlen außerhalb Hermannstadts resümiert.
Als Johannes Honterus am 22. Oktober 1529 in Regensburg beim humanistischen Historiker Johannes Turmaier bzw. Aventinus anklopfte, hielt dieser den Besuch als den zweier sehr gelehrter siebenbürgischer Exilanten fest und gibt leider nur den Namen von Honterus dabei preis. Seitdem diese Belegstelle in der siebenbürgischen Geschichtsforschung 1931 bekannt wurde, scheiden sich die Geister an den Fragen: welches war der Grund des Exils, also einer möglichen Flucht und woher floh Honterus eigentlich?
Gehörte Honterus zu den für die Niederlage der kaiserlichen Partei in der Schlacht von Marienburg vom 22. Mai 1529 in den Stadtrechnungen verantwortlich gemachten jugendlichen Hitzköpfen und wich deshalb aus der Stadt?
Oder war Honterus seit Erreichung des Magistergrades 1525 an der Universität in Wien geblieben, bis sich im September 1529 die Belagerung Wiens durch das Heer Süleymanns des Prächtigen als unausweichliche Gefahr herausstellte und war dann, wie so viele andere, donauaufwärts geflohen?
Es ist fraglich, ob das je wird entschieden werden können. Gewiss ist aber dieses: bald nach der Schlacht von Marienburg brach in Kronstadt die Pest aus und mit der Belagerung Wiens ging die als Englischer Schweiß bezeichnete pestähnliche Seuche einher. Beide Seuchen dürften die existenten Fluchtbewegungen verstärkt haben, die umgekehrt aber auch für neue Kontakte und Kommunikationsstränge zwischen den kulturellen Zentren Europas gesorgt haben.
So kam es, dass Honterus Aventinus zu einer umfassenden Geschichte Deutschlands anregte, die auch unter dem Titel „Deutsche Chronika“ gedruckt erschienen ist. Und so kam es, dass Honterus in der Folge nicht nur die Reformation aus eigener Anschauung kennenlernte und später in der Heimat zum Durchbruch verhalf.
Ohne die Katastrophen des Bürgerkriegs um die Herrschaft in Siebenbürgen und Ungarn und die damit einhergehenden Seuchen, hätte Honterus nie an Aventins Tür geklopft und wir wären vielleicht heute nicht evangelisch!
Angesichts der in unserer Gegenwart bevorstehenden Umbrüche und Veränderungen, wobei die gegenwärtige Corona-Pandemie möglicherweise nur einer unter vielen Faktoren sein könnte, gilt es an einem Tag wie heute, sich des Schatzes unserer evangelischen Konfession erneut bewusst zu werden, das Vertrauen auf ihre Kerninhalte zu behalten, das Neue, das da kommen wird, auf dieser Grundlage zu erkennen, erkennen zu wollen und es aktiv mitzugestalten, so wie auch bisher.
(Literatur: Sarah Hadry: Der Tot in Kronstadt 1717-1719. Ein Augenzeugenbericht zur letzten großen Pestepidemie Siebenbürgens, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, 28 (2005), S. 57-69; Diarium des Thomas Tartler 1701-1740, in: Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt, Bd. 7, Kronstadt 1918, S. 103-242; Tamás Sz?cs: Kirchenlied zwischen Pest und Stadtbrand. Das Kronstädter Kantional I.F.78 aus dem 17. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 2009; Karl Reinerth: Honterus-Forschungen. Neue Beiträge zur Kenntnis des siebenbürgischen Reformators uns seiner Schriften. Mit einem Nachwort des Herausgebers [= Karl Kurt Klein], in: Siebenbürgische Vierteljahrsschrift, 54 (1931), S. 26-43, 107-127)
1. Aventinus-Turmair, BU: Johannes Aventinus/Turmair (1477-1534), bayrischer Historiker und Humanist; Wikipedia
2. Johannes Honterus, BU: Johannes Honterus (1498-1549), Archiv der Honterusgmeinde, Bildarchiv.
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