Pfingstradlerei nach Kronstadt (III)
15.01.09
Aus einer zeitgenössischen Reportage über das Radfahrerfest 1901 in Kronstadt / von Hansotto Drotloff, Alzenau
Am Rande des Berichtes über die Bergmeisterschaft 1901 enthält die Reportage noch eine skurrile Episode, die dem heutigen Leser wohl nur ein müdes Schmunzeln entlocken wird, die aber einen tiefen Blick auf den Zeitgeist erlaubt. Nachdem die Bergfahrer mit ihrer Staubwolke verschwunden waren, kehrten die verkaterten Starter ein, denn „gar zu einladend winkte die stattliche Bierbrauerei, und bei einem frisch gezapften Zell-Bräu stiegen in mir die denkbar angenehmsten Erinnerungen“ auf. Offenbar war Haltrich schon wiederholt in Kronstadt bzw. in der Dârste gewesen, dem „Endpunkt aller radsportlichen Veranstaltungen“, wie er sie nennt. So erzählt er, wie der mittlerweile „selig verstorbene Braumeister Ziegler im /18/96er Jahre als Sieger im Seniorfahren ganz besonders /gefeiert wurde/, indem wir mit ca. 8 Mann den Kolossal-Menschen auf die Schultern hoben.“ Und noch etwas heute schwer Nachvollziehbares hält Haltrich ausführlich fest: Als „eingefleischter ‚Antialkoholist’“ bringt er seinen Unwillen über die vis-á-vis dampfende Spiritusbrennerei zum Ausdruck, „und nur die Aufklärung meines unzertrennlichen Bierfreundes Galz, dass die ganze Schnapsbrennerei eigentlich nur den Zweck habe, Ochsen mit Schlempe zu füttern, beruhigte mein empörtes Temperenzlergemüt.“ Oh sancta simplicitas – ist der heutige Leser geneigt zu stöhnen. Da bezeichnet sich unser Reporter als Antialkoholiker und ereifert sich über das Schnapsbrennen, und dieses mit einem Kater, der er und seine Mitstreiter sich mit offenbar „erlaubtem“ übermäßigen Bierkonsum eingefangen hatten. –
„Alles rennt in die Mitte der Straße“
Wie dem auch sei, nachdem die Radfahrer ihr Mittagsmahl wieder im Promenaden-Restaurant eingenommen hatten, fand am Pfingstmontag nachmittags um halb drei Uhr noch das „Flachrennen“ statt, zu dem „der prächtige Radfahrerzug mit fliegenden Bannern, in Begleitung schneidiger Regimentsmusik viel Publikum auf die Rennstrecke /lockte/.“ Haltrich berichtet von erschwerten Bedingungen beim Rennen, über die der heutige Leser wiederum getrost schmunzeln darf: „Die Straßen um Kronstadt sind infolge des riesigen Lastenverkehrs furchtbar ausgefahren und speziell die gewählte Rennstrecke fast nur halb so breit wie unsere Reichsstraßen, demnach war womöglich eine doppelt so große Unordnung seitens des Publikums /zu erwarten/, wie wir sie bei uns /in Mediasch, Anm. d. Autors/ gewöhnt sind. Da rennt denn alles, was Entree gezahlt hat und nicht, so in die Mitte der Strasse, um die ankommenden Renner nicht nur zu sehen, sondern auch zu behindern, und es ist schon oft vorgekommen, dass der ‚Führende’ beim Einlauf wegen der eine enge Gasse bildende Menschenmasse schwer 'überspurtet' werden kann.“ Welche Rennen im Einzelnen gefahren wurden, zählt Haltrich in seiner Reportage nicht auf, doch dürften es die „Klassiker“ gewesen sein, die bei dergleichen Wettkämpfen nie fehlten. 1898, anlässlich der Vereinstage in Kronstadt waren dies: „Eine Eröffnungsfahrt über 4000 m, die der Gewinner in 8 Minuten zurücklegte, das Neulingsfahren über 4000 m (Rekord bei 9 Minuten), das Hauptfahren über 8000 m (16:30 min) und die Meisterschaft von Kronstadt über 10000 m (21:40 min),“ dazu kam ein so genanntes „Gästefahren“ und ein Juniorfahren. „Herr Gull /aus Mediasch/ gewann das Eröffnungs-, Haupt- und Gästfahren überlegen mit großartigem ‚Endspurt’“. Die Kronstädter Meisterschaft 1901 gewann „unser Landsmann Wolff, derzeit dort in Kondition, nach hartem Kampfe“. Bei der Preisverleihung am Abend im Schützenhaus nahmen die Mediascher 6 erste Preise und einen dritten mit, der an Herrn Gräser im Juniorfahren ging. Am Ende der Feier dankte der Kronstädter Vorstand dem Wiener Ehrengast Gustav Schreiber für „seine uneigennützige Aufopferung, welche der ganzen sportlichen Veranstaltung die Krone aufgesetzt hatte“, mit einer „kernigen Ansprache“ und einer Ehrenmedaille. Eine besondere Medaille erhielten auch alle „Kommandanten“ der am Wettbewerb beteiligten Reigengruppen. Wie lange der anschließende „fröhliche Tanz in dem überaus freundlichen Schützen-Saale gedauert haben mag, soll /laut Haltrich/ Redaktionsgeheimnis bleiben.“ So viel verrät er noch mit einem Augenzwinkern: „Augenzeugen behaupten, dass speziell der Kunstmeisterfahrer Schreiber beim Morgengrauen mit der 15. Liebeserklärung beschäftigt gewesen sein soll – ein ‚richtiger Wiener.’“ Zu Ehren der fremden Radfahrer organisierte Josef Kolbe am darauf folgenden Dienstag übrigens noch einen Ausflug per Bahn nach Sinaia mit Besichtigung der Sommerresidenz der rumänischen Könige in Schloss Peles.
(Fortsetzung folgt)
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