Rezension
28.02.19
Nationale Loyalitätskonflikte in den Staaten Ost- und Südosteuropas vor und nach dem Ersten Weltkrieg
Florian Kührer-Wielach und Marcus Winkler (HGG): Mutter:Land – Vater:Staat. Loyalitätskonflikte. Politische Neuorientierung und der Erste Weltkrieg im österreichisch-russländischen Grenzraum. Veröffentlichung des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilian Universität München. Band 134, Herausgegeben von Friedrich Kührer-Wielach und Konrad Gündisch. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2017, 214 Seiten.
Die im vorliegenden Band zu besprechenden Beiträge sind das Ergebnis einer internationalen Tagung in Czernowitz im Jahre 2017, die sich, wie es in der Einleitung heißt, zum Ziel setzte, die als Folge des Ersten Weltkrieges entstandenen Dilemmata zwischen nationaler, staatlicher und kultureller Orientierung in den Bevölkerungsgruppen Bessarabiens, Galiziens und der Bukowina zu untersuchen. Dabei gibt es drei Begriffe zu klären, die die Grundlage der Untersuchungen bilden: „Mutter:Land“ und „Vater:Staat“, „Loyalität“.
Jenes Land, in das ein Mensch hineingeboren wird und durch seine Geburt dessen Volkszugehörigkeit erwirbt, ist für ihn das „Mutter-Land“. Bilden seine Nationsangehörigen auch die bestimmende und prägende Mehrheit der Landesbevölkerung, so nennt man das Gebilde zugleich Vaterland. Für die meisten Menschen ist das Mutterland und Vaterland das gleiche. Das Land bleibt auch dann Mutterland, wenn die Menschen es verlassen, sich aber in der neuen Wahlheimat weiterhin zu dem Land ihrer Geburt und deren Nation bekennen und deren Sprache als ihre Muttersprache behalten. So betrachteten die Siebenbürger Sachsen über Jahrhunderte Deutschland als ihr Mutterland und ihre Nation und Sprache dem deutschen Volk und der deutschen Sprache zugehörig. Ihr Vaterland war bis vor 100 Jahren Ungarn und ist seither Rumänien. Der größte Teil von ihnen ist nach durch dem Zeiten Weltkrieg in das Mutterland Bundesrepublik Deutschland umgesiedelt und die Mutter Germania hat ihre deutschen „Auslandskinder“ entgegenkommend aufgenommen und als Deutsche integriert.
Das Mutterland verliert seinen Charakter, wenn ein anderer Staat es besetzt und eine andere nationale oder geistige Herrschaft einführt. Eine Volksgruppe kann aber auch durch Auswanderung in einen anderen Staat, das eigene Mutterland aufgeben oder gezwungener Maßen verlieren und in einem anderen Staat, in einem anderen Vaterland beheimatet werden. Das ist in den Staaten Südosteuropas der Fall, wir am Beispiel der Siebenbürger Sachsen gezeigt haben.
Wir verfolgen weiter als Beispiel die Loyalitätsproblematik in den rumänischen Landen.
In der Bukowina, Bessarabien und Galizien hatte sich im Laufe durch zugewanderte Ethnien jeweils eine gemischt-nationale Bevölkerung gebildet. Die zugewanderten Volksangehörigen stammten aus dem Nachbarland und lebten zum Teil massiert in Grenzstreifen zu ihrem Auswanderungs- oder Mutterland, während andere, wie die Deutschen aus deutschen Landen abstammten und in allen Staaten Ost- und Südosteuropas siedelten. Da die Völkerschaften sich meistens zu ihrem Mutterland bekannten und an ihrer Ethnie festhielten, ergaben sich Loyalitätskonflikte gegenüber dem Staat, in dem sie freiwillig oder gezwungen lebten. Konflikte ergaben sich auch dann, wenn die führende Staatsnation die Angehörigen anderer Völkerschaften zu assimilieren versuchte und ihre nationale Eigenart nicht respektierte. Es gab aber auch Konflikte zwischen den nicht der Staatsnation angehörenden Bürgern, wenn der Vater-Staat eine dieser nationalen Minderheiten bevorzugte. Der Loyalitätskonflikt verschärfte sich, wenn es zwischen Vater-Staat und dem Mutter-Staat zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kam. Das war im Ersten Weltkrieg der Fall, in dem Staatsbürger gegenüber ihrem Vaterland sich unloyal verhielten, wenn dessen Gegner ihr Mutterland war. Als beispielsweise 1916 Truppen des rumänischen Königreiches (Altrumänien) in Siebenbürgen, das damals zu Ungarn gehörte, einmarschierten, um es zu erobern, wurden sie von der siebenbürgisch-rumänischen Bevölkerung nicht als Feinde sondern als Befreier begrüßt. Dieser siebenbürgische Kriegsschauplatz und die Loyalitäiskonflikte in diesem Gebiet werden leider in vorliegenden Band weniger beachtet.
In unserer weiteren Besprechung können wir angesichts der vielen Details nur auf die wesentlichen Fakten eingehen. Die Problematik ist jedoch ähnlich. Kennt man die Ethnie einer Person oder Volksgruppe, kann man in der Regel ihre Loyalitätsbekenntnisse erraten.
Es gibt aber auch doppelte Loyalitätsbekenntnisse. Diese Frage habe ich ausführlich in meinen Buch mit dem Titel „Mutterland und Vaterland im Verständnis der Siebenbürger Sachsen“ (Nürnberg 2013) behandelt. Ich weise darin darauf hin, dass die Siebenbürger Sachsen als nationale Minderheit in einem nichtdeutschen Vaterland lebend, sich zu einer doppelten Loyalität bekannt haben, und zwar waren sie einerseits treue Bürger ihres Vaterlandes (das war bis vor 100 Jahren Ungarn und danach Rumänien), bekannten sich gleichzeitig auch zum Deutschtum und pflegten in vielfacher Hinsicht, vor allem auf geistig-kulturellem Gebiet die Verbindungen mit ihrem Mutterland Deutschland. Dieser Doppelloyalität verdankten sie bis zum kommunistischen Regime in Rumänien ihre Anerkennung als deutsche Minderheit.
Der nach Ländern gegliederten Darstellung der Loyalitätsfrage in vorliegenden Buch folgen wir nun fortfahrend, werden dabei aber teilweise länderübergreifend vorgehen. Ein Beitrag über Galizien, das zu Österreich gehörte und als klassisches Beispiel vielfacher Loyalitätsbekenntnisse betrachtet werden kann, beginnt nach der Einleitung die Darstellung mit der Wahrnehmung des Ersten Weltkrieges in deutschen und österreichischen Kriegsberichten, Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen. Es gab in Galizien, wo das österreichische Heer mit dem des zaristischen Russland in mehreren blutigen Schlachten aufeinander stießen, hohe Verluste auf beiden Seiten, von denen auch die Bevölkerung betroffen wurde. Die multiethnische und multikonfessionelle Bevölkerung Galiziens - Polen, Deutsche, Juden, Ukrainer – sahen sich während des Krieges, bedingt durch den wechselnden Verlauf der Frontlinien gezwungen, ihre Loyalität dem jeweiligen Besetzer anzupassen und sich mit ihrer nationalen Identität auseinandersetzen, da bald die Russen, bald die Österreicher das Sagen in dem besetzten Landesteil hatten und von ihren Untertanen Loyalitätsbekenntnisse forderten.
Das dem Osmanischen Reich abhängige rumänische Fürstentum Moldau musste 1775 nach einem türkisch-österreichischen Krieg und anschließendem Vertrag die Provinz Bukowina an Österreich und 1812 auf Grund eines russisch-türkischen Friedensvertrags Bessarabien an Russland abgeben. Ein großer Teil des rumänischen Volkes befand sich somit im 19. Jahrhundert unter Fremdherrschaft. Siebenbürgen und das Banat gehörten zu Ungarn.
Da die Bukowina als Kronland innerhalb Österreichs und Bessarabien innerhalb Russlands eigene Verwaltungsorgane hatten, verhielt sich die Bevölkerung zunächst gegenüber Wien und Moskau mehr oder weniger loyal.
In der Bukowina hatten sich zudem nach dem Anschluss an Österreich zahlreiche Ukrainer, deutschsprachige Juden und Deutsche angesiedelt (am Ende des 19. Jahrhundert erreichten sie etwa die Hälfte der Bevölkerung), die besonders in den Städten, allen voran in in der Landeshauptstadt Czernowitz, die führende Schicht innehatten und politisch sich anders als die autochtone Einwohnerschaft verhielt. Durch die Juden und Deutschen erfuhr das Land eine teilweise Germanisierung. Dazu trug zusätzlich die 1875 in Czernowitz gegründete Franz-Joesph-Universität mit deutscher Unterrichtssprache und deutschen Professoren bei, deren Bedeutung in einem Beitrag des Bandes gewürdigt wurde. Die Universität sollte als Gegenkonzept zur nationalen Idee, der Vereinigung aller Völkerschaften Cisleithaniens unter Habsburgs Führung, bei unumstrittener kultureller Vorherrschaft des deutsche Elements dienen. Die Universität wurde von Studenten verschiedener Nationalität besucht. Es gab aber auch Kritik an der dezidiert deutschsprachigen Universität in einem anderssprachig dominierten Umfeld. Das führte, wie der Verfasser des Beitrags in der Überschrift andeutet zur „überaus peinlichen Lage der deutschsprachigen Professoren“, als 1919 die „deutsche“ Universität in Rumänien, mit dem sich die Moldau vereinigt hatte, in eine rumänische Hochschule umgestaltet wurde und die deutschen Professoren keine Verwendung fanden. Sie zogen nach Österreich um, wo sie aufgenommen wurden. Mit diesen Umwälzungen waren verschiedene Loyalitätsbekenntnisse verbunden. Für die Deutschen war es Wien, die Juden entwickelten eine eigene Sicht und die Ukrainer sahen verständlicherweise die Ukraine als begehrtes Land.
Gegen Ende des 19. Jahrhundert kam es als Folge des wachsenden Nationalbewusstseins der Rumänen in der Bukowina und in Bessarabien zu illoyalem Staatsverhalten und zu Forderungen nach Vereinigung mit dem Mutterland Rumänien. Die Forderungen wurden mit historischem Recht begründet. Der Zerfall der Habsburger Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges ermöglichte den Anschluss der Bukowina an Rumänien. Eine Versammlung von geladenen Gästen proklamierte am 28. November 1918 den Anschluss, der Ende Mai 1919 vom Rat der Vier Großmächte der Pariser Friedenskonferenz anerkannt wurde. Am Ende des Ersten Weltkrieges und nach der Oktoberrevolution in Sowjetrussland konnte auch Bessarabien sich mit Rumänien vereinigen.
Ein spezieller Beitrag weist darauf hin, dass die Bessarabiendeutschen den Anschluss an Rumänien unterstützen, gleichzeitig aber sich auch dafür einsetzten, dass es einen Loyalitätstransfer nur im Austausch mit politischen, bürgerlichen und nationalen Rechten geben sollte.
Eine eigene Sicht auf den Ersten Weltkrieg hatten die Juden, die in allen hier genannten Ländern zum Militärdienst eingezogen waren und politisch aktiv wurden. Die zionistische Vorstellung von jüdischer Nationalität und einem jüdischen Staat in Palästina erfuhr in Abgrenzung von den europäischen Kriegsmächten und der europäischen Kultur eine verstärkte Prägung.
Abschließend sei gesagt, dass das Buch, wie in der Einführung hervorgehoben wird, nicht nur eine einzelne Nation in den Blick nimmt, sondern bestrebt ist, ein Forschungsprojekt der internationalen Wirtschaftsgemeinde zu sein.
Dr. Michael Kroner
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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