Sächsische Gemeinschaft pflegt weiterhin Tradition
20.11.14
Aber auch wirtschaftliche Entwicklung prägt Neustadt, diese schmucke Burzenländer Gemeinde/ Kirchenburg auf neuster Briefmarke
Längst monopolisiert nicht allein Kronstadt die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre im Burzenland. Gleich an welchen Ausfahrten aus dem Stadtgebiet bis zu den nächsten Ortschaften wie Weidenbach, Honigberg, Biengärten, Neustadt reihen sich neue Betriebe aneinander, sodass man kaum noch die Abgrenzung von der einen Ortschaft zur anderen machen kann. Auf den ersten Blick ist man im Dilemma, ob der eine oder andere Betrieb sich auf dem Gebiet des Kreisvorortes oder der nächsten Ortschaft befindet. Nicht anders stehen die Dinge auch wenn man in Richtung Neustadt fährt. Rechts der Straße wo vor Jahren noch landwirtschaftliche Anbaufläche war, befinden sich zahlreiche Unternehmen bis zur Einfahrt in die Gemeinde. Linker Hand entstand bei Magurele die rumänische Niederlassung vom deutschen INA Schaeffler Unternehmen das heute über 3000 Arbeitnehmer beschäftigt. Es folgen Lubrifin, ein Treibstofflager, eine riesige Hühnerfarm u.a. Vor der Wende gab es in Neustadt nur die Tonwaren- und eine Möbelfabrik. Die meisten Gemeindebewohner pendelten zu ihren Arbeitsplätze in Kronstadt oder Zarnesti.
Neue Wohnviertel mit schmucken Häusern entstanden in den letzten Jahren sowohl bei der Einfahrt zu Neustadt als auch bei der Ausfahrt in Richtung Rosenau, bei der „Sägemühle“ wie das Gebiet im Volksmund bekannt ist. Aber auch jenseits des Eisenbahngleises bis zum Waldrand, wo auch die neue orthodoxe Kirche der Gemeinde errichtet wird. Dass die Gemeindeleitung – Bürgermeister Dragos Serafim, Vizebürgermeister Octavian Buta, Sekretär des Rathauses Antonia Suciu - gut wirtschaften kann, natürlich auch Dank der guten Einkommen durch die kassierten Steuern von den auf dem Gebiet der Ortschaft entstandenen großen Betriebe aber auch kleinen und mittelständischen Unternehmen, sieht man, wenn man durch die Straßen wandert, die öffentlichen Institutionen ins Auge fasst. Alte sächsische Häuser deren ehemalige Eigentümer längst vielleicht nur noch auf Besuch kommen, erstrahlen in neuem Glanz, vielleicht nicht immer das frühere architektonische Bild berücksichtigend. Gaststätten und Pensionen öffneten ihre Tore. Die vorgenommene Infrastruktur wie Trinkwasser- und Kanalisationsnetz, Erdgaszufuhr, reparierte und modernisierte Straßen haben auch viele Städter angezogen sich hier nieder zu lassen, dem Großstadttrubel zu entweichen, vielleicht auch einen wirtschaftlichen Neuanfang zu wagen.
Neustadt, im Südosten des Kronstädter Kreises gelegen, umfasst eine Fläche von 2773 ha und zählt rund 3900 Einwohner. Den Großteil bilden zu 98 Prozent Rumänen. Die restlichen zwei Prozent stellen Sachsen und Ungarn.
Eine geschlossene Kirchengemeinde
Zu Jahresanfang zählte die evangelische Kirchengemeinde von Neustadt 108 Seelen. Vor über einem Jahrhundert, 1890, lebten da, laut dem statistischen Jahrbuch der Landeskirche, 1604 Kirchenglieder. Es sind sprechende Zahlen. Betreut wird diese Kichengemeinde von Pfarrer Uwe Seidner zu dessen Zuständigkeitsbereich auch die benachbarten Gemeinden Wolkendorf und Weidenbach gehören.
In der Winterzeit werden jeden Sonntag im Gemeinderaum die Gottesdienste gefeiert. In den Sommermonaten werden diese abwechselnd jeden zweiten Sonntag in Neustadt oder Wolkendorf gehalten. Ebenfalls in der kalten Jahreszeit werden bis Pfingsten jede Woche Bibelstunden für die Frauen abgehalten und erfreuen sich eines großen Anklangs. Diese bestehen sowohl aus einem geistlichen wie auch aus einem anschließenden gemütlichen Teil. Fehlt Pfarrer Seidner, übernimmt Altdechant Klaus Daniel die Vertretungen in diesen drei Gemeinden, aber auch in Zeiden, Honigberg oder Rosenau. Über 30 Jahre war er im Dienst der beiden Kirchengemeinden Wolkendorf und Neustadt bis zu seinem Rentenantritt, stand als Dechant zehn Jahre dem Kronstädter Evangelischen Kirchenbezirk A.B. vor, war mehrere Jahre Präsident des Diakonischen Werkes des Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.
Als bleibende Einrichtung aus früheren Zeiten wird die Gemeindefürsorge als alte Tradition unter Leitung von Adele Porr, der Gattin des Kirchenkurators Erhard Porr, weitergeführt. Die Mitglieder des Leitungsausschusses treffen immer wieder zusammen um zu beraten, wo Hilfe benötigt wird, welches die Härtefälle sind. Aus den eingegangenen Spenden wird mit einer finanziellen Unterstützung den Betroffenen geholfen. Bei Hausbesuchen wird diese Hilfe dann vermittelt. Ab dem 70. Lebensjahr werden zu Weihnachten auch Geschenkpakete überreicht. Mit viel Liebe wird das im Pfarrhaus eingerichtete Gästehaus von Adele Porr geleitet. Die fünf Zimmer alle mit Nasszelle, einer Küche, ein großer Begegnungsraum in dem gelegentlich auch Gemeindefeste abgehalten werden, der große Garten mit Grillplatz, stehen für die Gäste, vor allem ausgesiedelte Neustädter die zu Besuch kommen, zur Verfügung. Erhard Porr als gelernter Tischlermeister und langjähriger Kirchenkurator hat viel von der erforderlichen Einrichtung selbst geschaffen. Auch ruft er, dann wenn es erforderlich ist, zur Gemeinschaftsarbeit auf. So kann der Friedhof gepflegt werden und zählt somit zu den schönsten im ganzen Burzenland. Beispielsweise treffen vor dem Ewigkeitssonntag am Friedhof Männer und Frauen ein um die Gräber zu schmücken; Gebinde werden geflochten. Künstliche Blumen sind da nicht gestattet. Beliebt ist die Gemeinschaftsarbeit auch weil zusammenkomt. Dabei leistet man nicht nur einen wichtigen Einsatz, man spricht auch über weitere Projekte, über Probleme die die Gemeinschaft betreffen.
Das seit über einem Jahr eingestellte Küsterehepaar - Sabin Anca, der auch der deutschen Sprache mächtig ist, und Gattin - hat auch neuen Wind in die Pflegearbeiten an Kirche, Kirchhof gebracht die nun ein neues Aussehen erhalten haben. Diese werden auch in soziale Belange eingeschaltet und leisten diesbezüglich beste Hilfe.
Gute Zusammenarbeit mit politischer Gemeinde
Geschätzt wird auch heute die sächsische Gemeinschaft nicht nur von der politischen Leitung der Gemeinde, sondern auch von der Mehrheitsbevölkerung die den, wenn auch zahlenmäßig und meist in fortgeschrittenem Alter da lebenden Sachsen Anerkennung für Geleistetes, für ihre Geschichte zeigt. Ehemalige soziale Einrichtungen wie Schulgebäude, Kindergarten und Gesellschaftssaal wurden laut Rückgabeanträgen der Kirchengemeinde zugewiesen. Doch die Überlegung war wie man damit weiter vorgehen soll? Kann man diese aus eigenen Kräften instand halten? Welche Verwaltungsform findet man dafür? Man kam zur Erkenntnis, dass man mit diesen Immobilien nur belastet gewesen wäre, doch mussten sie ihrem ursprünglichen Zweck weiter dienen. Somit wurden mit dem Rathaus Erbpachtverträge für unbegrenzte Zeit abgeschlossen laut denen die Gemeindeleitung diese für gleichen Zweck wie früher als Schule, Kindergarten bzw. für gesellschaftliche Zusammenkünfte benutzen kann, doch für sämtliche Reparaturen und Investitionen aufkommt. Desgleichen wird der Gesellschaftssaal für alle Zusammenkünfte der Kirchengemeinde oder der einzelnen Kirchenglieder unentgeltlich zur Verfügung gestellt. So wurde zum Beispiel für das diesjährige Treffen der Neustädter der Saal sogar für eine ganze Woche bereit gestellt, wobei auch die Regiekosten von dem Rathaus getragen werden. Das Bürgermeisteramt hat musterhaft in den Gesellschaftssaal investiert, Schule und Kindergarten lassen sich in neuem Kleid sehen. Auch wurde ab diesem Herbst wieder eine deutsche Schulkasse da ins Leben gerufen. Laut abgeschlossenen Protokollen werden alle Probleme dieser gegenseitigen Zusammenarbeit zwischen Evangelischer Kirchengemeinde und Rathaus geregelt.
Und obwohl die Kirchengemeinde somit keine Miete für diese öffentlichen Gebäude erzielt, ist sie nicht in einer schlechten finanziellen Lage. Das Gebäude der ehemaligen Kaserne das 1865 auf der rechten Seite bei der Ausfahrt gegen Rosenau von den Sachsen gebaut worden war, wurde zurückerstattet und konnte preiswert veräußert werden. Somit sichern allein die in der Bank erzielten Zinsen eine finanzielle Sicherung. Die gute Zusammenarbeit mit der Heimatortsgemeinschaft in Deutschland bietet auch Rückhalt für einige Arbeiten, gegenseitige Beratung in den gefassten Beschlüssen bezüglich Gemeinschaftsleben und -eigentum.
Kirchenburg weiterhin das Wahrzeichen der Gemeinde
Dank dieser guten Zusammenarbeit setzt sich das Bürgermeisteramt auch für die Instandhaltung von Kirche und Kirchenburg als Wahrzeichen der Ortschaft ein. Im Vorjahr konnte somit das Kirchendach völlig erneuert werden. Auch die Ringmauer konnte mit Hilfe des Bürgermeisteramtes auf der Südwestseite repariert werden. Nun sind einige Außenreparaturen am Eingang zur Kirche und an den Dachrinnen durchzuführen. Auch diesbezüglich wird Hilfe geboten. Organisiert werden von der Gemeindeleitung auch verschiedene Feste wie das Faschingsrad (Roina) oder der „Brotweg“ (Drumul pâinii) bei denen versucht wird, diesen auch eine traditionelle sächsische Prägung zu geben die nicht immer kennzeichnend ist.
Der weit über die Gemeinde ragende Kirchenturm und die Kirchenburg die unter Denkmalschutz stehen, sind in diesen Tagen auch auf einer rumänischen Briefmarke reproduziert worden. Romfilatelia markiert damit die langjährigen Beziehungen zu Kroatien durch eine Erstausgabe genannt „Spiritualität – Kirchenburgen“. Die rumänische Briefmarke zeigt die in den Jahren 1839/1841 errichtete neue Kirche und die Kirchenburg von Neustadt, der Ortschaft dessen erste urkundliche Benennung aus dem Jahr 1362 stammt. Die kroatische Briefmarke stellt die Sankt Nikolaus Kirche von Komiza, auf der Insel Vis dar. Eine weitere Wertschätzung die dieses Neustädter Symbol, aber auch die gesamte Gemeinde und ihre Bewohner, zu Recht verdient.
Dieter Drotleff
Foto 1: Die Kirchenburg von Neustadt im herbstlichen Sonnenschein, ist nun auch auf einer rumänischen Briefmarke zu sehen.
Foto 2: Altdechant Klaus Daniel (rechts) hat lobenswerte Worte für die Tätigkeit des seit einem Jahr eingestellten Küsterehepaars.
Foto 3: Das Pfarrhaus wurde zum Gästehaus umgestaltet.
Foto 4: Der Gemeinschaftssaal erstrahlt innen und außen in neuem Glanz.
Fotos: der Verfasser
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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