Schreiben in der Pandemie (III)
15.07.21
Acht Kronstädter Autoren wurden zum Thema Leben und Schreiben in Corona-Zeiten befragt
Andrei Dosa: „Künstler sollten sich auf die Kunst konzentrieren“
Das Interview führte Codruta Cosman, Masterandin im I. Jahr des Masterstudiengangs Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur der Kronstädter Philologischen Fakultät, Transilvania Universität
Wie haben Sie dieses letzte Jahr erfahren? Was haben Sie am meistens vermisst? Was haben Sie Neues versucht?
Während des Notstands in Rumänien habe ich in einem dauerhaften, vagen Angstzustand gelebt. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, ich habe eine Art Widerstand dagegen entwickelt, nur die immer steigende Ansteckungsrate konnte mir die Unruhe verstärken. Ich habe meine Freunde vermisst, die physische Annäherung, das verzögerte Fließen der Unverzüglichkeit der Sprache und der Gestik, der animierte Charakter der physischen Anwesenheit. Ich habe gemerkt, dass das Zusammenkommen ein Geschenk und ein Privileg ist, von denen wir nicht ganz zu profitieren wissen. Ich bin nicht gut im Neues Versuchen. Trotzdem konnte ich einen Lesezirkel in die Wege leiten. Well, that was a first! Schade, dass ich nur eine erste Auflage organisiert habe. :))
Wie haben Sie Ihr Schreiben weitergeführt? Für mache war die Corona-Zeit eine Inspirationsquelle für das Schreiben. Was das bei Ihnen auch der Fall?
Ich war genau so inspiriert wie bis jetzt, also nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.
Wie war der Kontakt mit dem Publikum in dieser Zeit? Finden Sie, dass die Online-Lesungen und Veranstaltungen den direkten Kontakt ersetzen können?
Online, klar, obwohl die Definition falsch ist, ein Autor hat keinen Kontakt zu dem Publikum, er gibt manchmal Lebenszeichen und macht sich lächerlich. Im Jahr 2020 habe ich mich weniger aufgeblasen als in anderen Jahren. Natürlich kann ich den direkten Kontakt nicht ersetzen. Ein Treffen mit dem Publikum ist ein nichtkirchlicher Gottesdienst. Es entsteht eine gewisse Stimmung, die nicht im Online wiedergegeben werden kann.
Ein Tag aus Ihrem Corona-Lockdown:
Aufwachen, essen, mit dem Kind spielen, übersetzen, essen, lesen, mit dem Kind spielen, durch den Wald spazieren gehen (so oft wie möglich), mit dem Kind spielen, ein Film sehen, buenas noches!
Wie sollten Kultur und Kunst aus Ihrer Sicht langfristig auf die Krise reagieren?
Die Kulturmenschen und die Künstler sollten sich auf die Kunst konzentrieren. Alles andere ist nicht ihre Sache!
Mihai Vakulovski: Auszüge aus dem privaten Tagebuch des Autors
Das Interview führte Alina Mitrea, Masterandin im I. Jahr des Masterstudiengangs Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur der Kronstädter Philologischen Fakultät, Transilvania Universität
Wie haben Sie dieses letzte Jahr erfahren? Was haben Sie am meistens vermisst? Was haben Sie Neues versucht?
„Seitdem wir in der Quarantäne sind, habe ich überhaupt nichts geschrieben, eigentlich habe ich nur etwas gekritzelt, aber man weiß es ja, wie es mit dem Gedicht ist – es greift dich an, wann es Lust hat, dann lässt es dich wieder in Ruhe. Vielleicht schreibe ich nicht, weil ein anderes Buch vom mir erschienen ist „Tata ma citeste si dupa moarte (Poveste 18+ despre copilaria sovietica & despre copilaria Uniunii Sovietice)” (Humanitas), oder vielleicht doch wegen der drückenden Stimmung, in die ich plötzlich gefallen bin, gleichzeitig mit dem Rest des Planets. Ich schreibe immer gerne, nur wenn ich in bester Stimmung bin, also voller Energie; das habe ich schon mal gesagt, dass der Dichter in bester psychischer und physischer Lage sein muss, er muss belastbar sein, stark und auf eine lange Reise vorbereitet sein – und jetzt fühle ich mich nicht gerade so. Nicht einmal zum Übersetzen habe ich Lust, auch wenn ich mich nach der Übersetzung der Gedichtanthologie von Alexandr Kuprin gesehnt habe, an der ich gearbeitet habe, bevor ich mich erneut bei einem ermüdenden Arbeitsplatz von mindestens 8 Stunden angestellt habe (eine Zigarette raubt dir eine Stunde aus deinem Leben, eine Flasche Wein/ zwei, und ein Arbeitstag - acht Stunden). Wenn dieser Zustand der Unsicherheit und Ungewissheit vorüber geht, (wenn du nichts mehr tun kannst, nicht einmal auf die Reisen gehen kannst, die du schon vor einem halben Jahr bezahlt hast, oder zu den Eltern gehen kannst, um ihnen zu helfen oder sie einfach zu besuchen), werde ich vielleicht mal wieder an dem Manuskript arbeiten, das wegen der Pandemie perfekt mit dem unveröffentlichten Roman zusammenhängt, „Alles, fast alles über den Vater”, und würde gerne mal wieder kurze Gedichte schreiben, und vielleicht übersetze ich mal eine Erzählung von Kuprin. Aber bis dahin – lese ich (die meiste Zeit des Tages), ich schaue mir Filme und Theateraufführungen an, mache ein Mini-Training in der Wohnung, ich rufe meine Mutter zwei- oder dreimal häufiger als zuvor an und gehe mit den imaginären Hunden durch den imaginären Garten um das Haus herum”.
Wie haben Sie Ihr Schreiben weitergeführt? Für mache war die Corona-Zeit eine Inspirationsquelle für das Schreiben. Was das bei Ihnen auch der Fall?
„In dieser verrückten Atmosphäre des Corona-Virus, mit Gesetzen, die dich obligatorisch im Haus halten, lese ich wieder Eugen Ionesco, es passt ganz genau, wenn du ihn liest, vergisst du alles. Seit der Pandemie ist mir das Lesen schwer gefallen, ich meine, ich konnte keine Prosa lesen (ich habe durchgeblättert), nur Gedichte und schau, auch Theater. Mal der eine, mal der andere, haben mich gebeten, ich soll etwas vorlesen (mache wollten Gedichte, manche Prosa, mache Lektüretipps, für manche als Lyrik-Wettbewerb, für die anderen für die Veröffentlichung des Buches, das gerade erschienen ist - für was weiß ich welche Magazin-Seite), ich konnte das wirklich nicht, es kommt mir peinlich vor, mich beim Lesen zu filmen, es ist mehr als Scham, es ist etwas, was vom Weiten kommt, sogar über das hinaus, was die Kritiker sagten, „die Eitelkeit der Eitelkeiten, alles nur Eitelkeit“, bei uns ist es jetzt Hilfslosigkeit, nicht nur Eitelkeit. Ich habe „Teatru scurt“ von Eugene Ionesco fertiggelesen, ich habe meine Nase geputzt, tief Luft geholt und habe meine Mutter angerufen. Von den 20 Minuten, die wir telefoniert haben, hat sie mir gesagt 10 Minuten erzählt, sie hätte Angst, ich sei krank und dass sie Angst hat, ich hätte den Virus in der Buchhandlung abgekriegt, ansonsten alles ok. Paul Goma hat den Geist aufgegeben, (mit 84), es wird Corona vermutet, er war in einem Krankenhaus in Paris. Jetzt schreiben alle etwas über Goma, und alle haben die Hauptrollen, natürlich….“
Wie war der Kontakt mit dem Publikum in dieser Zeit? Finden Sie, dass die Online-Lesungen und Veranstaltungen den direkten Kontakt ersetzen können?
In dieser fast völligen Isolation reagierten die Menschen anders, und die in der literarischen Welt waren leider keine Ausnahme. Einige versteckten sich in ihren Höhlen, andere trugen auf Facebook/ YouTube aus ihren „eigenen Kreationen“ vor, etwas mehr als sie schrieben. Anfangs konnte ich nicht einmal lesen, dann las ich nur die Gedichte von Eugene Ionesco, dann las ich alle Theaterstücke von Eugene Ionesco, und erst dann konnte ich der Prosa näher kommen. Der berühmte russische Dichter Evgheni Vodolazkin hat Theater geschrieben. Ich hörte mir das erste Stück „die vier Schwestern“, in dem es um den…. Coronavirus geht. Es ist ein seltsamer Zustand, ein Buch über eine Welttragödie zu „lesen“, die uns beim Weitem noch nicht verlassen hat, vielleicht im Gegenteil – es ist erst der Anfang, aber die Russen haben immer etwas zu sagen. Die Handlung findet in einem Raum im Krankenhaus für Infektionskrankheiten statt, in dem sich ein Autor befindet (der seit circa 20 Jahren nichts mehr geschrieben hat), ein (falscher) Abgeordneter, einer, der die Pizza bringt und der Direktor des Krankenhauses – der letzte ein Doktor, der dem Virus erlag - also die ganze Gesellschaft ist ziemlich gut vertreten. Die Krankenschwester, die einzige, die nicht infiziert wurde, sagt, sie wäre der „Tod“ und sie verlangt von allen, sie sollen beichten, bevor sie sterben. Das Stück hat Humor, Ironie, und es ist auch ziemlich absurd, es hat auch eine Hauptidee, dass nach der Corona-Zeit, nichts mehr wie früher sein wird, dass sich alles ändern wird, aber na ja, aber es wäre nicht schlecht, wenn Vodolaskin etwas Prosa geschrieben hätte, auch wenn nur etwas Kurzes, in dieser verrückten Zeit. Eigentlich ist es seine Sache, worauf er Lust zum Schreiben hatte, aber nachdem du privilegiert wurdest, veröffentlichst du auch nicht mehr gerade alles…(oder umgekehrt)
Ein Tag aus Ihrem Corona-Lockdown:
19. März 2020
Ich bin erst gegen 13 Uhr aufgewacht, ich konnte nachts nicht viel schlafen (vielleicht habe ich viel zu viel Kaffee getrunken und mit Sicherheit viel zu wenig Wein, ich meine, gar nicht), als ich endlich eingeschlafen bin, habe ich immer wieder über das Corona-Virus geschrieben, alles floss, dass ich mich beim Aufwachen fragte, ob ich nichts vermerken sollte, nun, es ist so klar, dass ich es nicht vergessen konnte, sagte ich es mir. Jetzt erinnere ich mich nur an diesen Zustand des Schreibens, der besonders intensiv und angenehm ist, als ob man etwas schreibt, was man wirklich mag, und an die Tatsache, dass dieser Weltkrieg von Philologen begann, die so viele unbekannte Wörter bis jetzt verwendeten, Corona-Virus, Pandemie etc. Das Bild mit den Umschlägen meines zukünftigen Buches ist gekommen, „Tata ma citeste si dupa moarte“, sehr gelungen, jeder sagt das, alle, die sie kommentierten, sagten, dass sie kaum erwarten können, dass das Buch rauskommt, ein ehemaliger Kollege, rief mich an, um mich zu fragen, wann ich es veröffentliche. Jetzt, wenn jeder nur eine Rettungsmöglichkeit hat- im Haus zu bleiben?
Wie sollten Kultur und Kunst aus Ihrer Sicht langfristig auf die Krise reagieren?
Seit der Quarantäne haben die Theater begonnen, die Veranstaltungen online zu zeigen, anfangs täglich, sogar zwei Vorstellungen am Tag, (vor allem, weil sie auch Vorstellungen für Kinder haben), dann seltener. Jeder Tag beginnt ungefähr gleich, ich setze einen Kaffee auf, ich versuche richtig aufzuwachen, dann schaue ich im Internet nach, ob das Theater „Mihai Eminescu“ aus Chisinau nicht die Vorstellung meines Vaters programmiert hat („Copiii foametei“).
Fortsetzung folgt
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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