Schreiben in der Pandemie (IV)
22.07.21
Acht Kronstädter Autoren wurden zum ThemaLeben und Schreiben in Corona-Zeiten befragt
Romulus Bucur: Neue Kunstformen könnten entstehen
Das Interview führte Erika Peterfy, Masterandin des Studiengangs Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur der Kronstädter Philologischen Fakultät, Transilvania Universität
Wie haben Sie dieses letzte Jahr erfahren? Was haben Sie am meistens vermisst? Was haben Sie Neues versucht?
Diese Lockdown- Periode ist schnell vorbei, im Sinne dass ich eine solche Isolationsperiode hatte, auch als ich Student im ersten Jahr war und in den Ferien nach Hause fuhr, wo ich mehrere Tage mit Schreiben und Lesen verbrachte und Ordnung in meinen Notizen machte. Außerdem hatte ich ähnliche Selbstisolierungs-Perioden, aber ich muss erkennen, dass sie von mir selbst bestimmt waren. Die Isolation hinsichtlich der Tätigkeit als Autor konnte nicht so ein riesiges Problem sein, weil unsere Pflicht letztendlich ist, zu sitzen und zu schreiben. Das bedeutet, dass sich der Autor irgendwie begünstigt fühlen müsste: es gibt keine Störfaktoren, die ihn aufhalten, um sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Ja, ich habe versucht, einen neuen Band mit Gedichten zu schreiben. Aber in dieser Periode der Isolation passierte es, dass die Problematik des Bandes akuter geworden ist und mir einen Notfallzeichen gab. So geschah es, dass ich in dieser Zeit relativ viel schrieb im Vergleich zu meinem Rhythmus aus den Vorjahren.
Wie haben Sie Ihr Schreiben weitergeführt? Für mache war die Korona-Zeit eine Inspirationsquelle für das Schreiben. Was das bei Ihnen auch der Fall?
Die Corona-Periode selbst war eigentlich keine Inspirationsquelle. Es war mehr eine Gelegenheit. Es war eine Chance und keine Ursache. Ich dachte an den Dekameron als literarische Produktion, das ich als eines der größten Bücher der Weltliteratur betrachte. Paradoxerweise habe ich ihn nicht nochmals gelesen. Stattdessen habe ich mit großem Vergnügen eine Reihe von Märchen aus der Sammlung Tausendundeine Nacht gelesen. Ich habe auch eine Serie von chinesischen Büchern durchgelesen, weil ich letztes Semester dieses akademischen Jahres einen Kurs über klassische chinesische Literatur in der rumänischer Übersetzung gehalten habe.
Wie war der Kontakt mit dem Publikum in dieser Zeit? Finden Sie, dass die Online-Lesungen und Veranstaltungen den direkten Kontakt ersetzen können?
Ich erkenne, dass ich nur sehr schwer in Kontakt mit meinem Publikum bleiben konnte. Am meisten fehlten mir die kulturellen Veranstaltungen an der Universität.
Damit meine ich Buchvorstellungen, das nationale Universitätskolloquium der rumänischen Literatur, den Poesie-Marathon. Dann die Teilnahme an verschiedenen Buchmessen, das heißt, wieder Treffen mit anderen Schriftstellern, in der Regel Freunde, und die Möglichkeit, herauszufinden, welche neuen Bücher bereits erschienen sind, um zu entscheiden, ob ich sie kaufe oder nicht. Irgendwie sind die verschiedenen Dichterlesungen online abgehalten worden, und das ist zugleich besser und schlechter. Ich meine, so ist es einerseits möglich, dass viele Menschen, die doch nicht vor Ort sind, teilnehmen können, auf der anderen Seite gibt es keine Feedback-Kontrolle und man kann die Reaktionen der Anwesenden nicht sehen. Wegen der technischen Voraussetzungen ist die Teilnehmerzahl in der Regel begrenzt, und ich könnte jetzt nicht sagen, ob online mehr oder weniger Leute anwesend sind als gewöhnlich zu den Präsenzlesungen.
Ein Tag aus Ihrem Corona-Lockdown:
Ich kann nicht sagen, dass die Tage im Corona-Lockdown radikal anders ausgesehen hat, weil die Arbeit an der Universität sofort in die online-Sphäre sozusagen übersiedelt ist, und das hat irgendwie mit unseren Glück zu tun, weil die visionäre Leitung der Universität schon vor einigen Jahren die Computer-Infrastruktur entwickelt hat, sodass der Übergang ins Online-Medium relativ einfach war. Die Online-Arbeit ist aber auch schwieriger und gleichzeitig frustrierender, weil beiderseits Rückmeldungen des direkten Kontakts fehlen. So bin ich morgens aufgewacht, habe meine Unterrichtsstunden gehalten und versucht, mehr zu lesen, mehr zu schreiben. Mit der entsprechenden Müdigkeit im Zusammenhang mit mehr Arbeit und mehr Stress, mit dem Frust des Disziplinierten, der einsieht, dass nicht jeder den Sinn dieser Disziplin versteht.
Wie sollten Kultur und Kunst aus Ihrer Sicht langfristig auf die Krise reagieren?
Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Für eine Weile könnte ein Zustand der Verwirrung existieren und dann wir es sich legen, besser oder schlechter, neue Formen könnten auch entstehen, neue Kunstformen könnten gefunden werden, aber sie könnten einfach verschiedene Trends beschleunigen, die sowieso latent waren, wie z. B.die allgemeine Verbreitung von PCs, die Allgegenwärtigkeit des Internets.
Elise Wilk: Man sollte sich fragen, welche Themen heute noch relevant sind
Das Interview führte Alina Mitrea, Masterandin des Studiengangs Interkulturelle Studien zur deutschen Sprache und Literatur der Kronstädter Philologischen Fakultät, Transilvania Universität
Wie haben Sie dieses letzte Jahr erfahren? Was haben Sie am meistens vermisst? Was haben Sie Neues versucht?
Das letzte Jahr war ein Rollercoaster. Ich empfinde es jetzt, wenn ich auf die letzten 13 Monate zurückblicke, wie ein Puzzle bestehend aus vielen ganz verschiedenen Teilen: die ersten Lockdown-Wochen Ende März 2020, als viele von uns glaubten, das Leben wird in höchstens einem Monat normal weitergehen, die Monate April und Mai mit viel Kochen, Netflix und Regen, aber auch mit vielen aufgeschobenen Projekten und vielen Enttäuschungen, die Sommermonate, als Reisen und Urlaub endlich wieder möglich war, den Monat September, den ich wie eine Art Insel in einem Meer von Unsicherheit empfand- Theater öffneten wieder, Festivals fanden statt und es gab die Illusion, dass alles zum Alten zurückkehren wird. Dann die Herbstmonate mit neuen Einschränkungen, vielen Zoom-Treffen und Online-Veranstaltungen, der Winter, in dem ich es schaffte, für zwei Wochen aus Europa zu „fliehen“ und ein wenig Sommer zu genießen, die Hoffnung, die mit der Impfung kam und dann die Enttäuschung, dass es höchstwahrscheinlich auch in diesem Jahr keine Rückkehr zur Normalität geben wird.
Am meisten habe ich vermisst: meinen „alten“ Alltag mit viel Reisen, im Theater zu arbeiten, das heißt zum Beispiel zu Proben eines neuen Stückes zu gehen und zu verfolgen, wie die Aufführung entsteht, an Publikumsgesprächen teilzunehmen, die nicht auf Zoom stattfinden, zu Festivals gehen, neue Pläne mit Regisseuren zu schmieden. Ich habe das regelmäßige Schwimmen vermisst, die Kinobesuche und einige sehr gute Freunde, die im Ausland leben und die ich seit Anfang der Corona-Pandemie nicht gesehen habe. Wirklich neu war vielleicht das viele Kochen während der Lockdown-Monate vor einem Jahr. Und die vielen Serien. Früher hatte ich keine Zeit für Serien, ich war sehr oft von zu Hause weg. Neu war auch, dass ich Zoom-Workshops geleitet habe und dabei überraschenderweise bemerkt habe, dass es auch funktioniert, wenn man sich nur auf dem Bildschirm sieht.
Wie haben Sie Ihr Schreiben weitergeführt? Für mache war die Korona-Zeit eine Inspirationsquelle für das Schreiben. Was das bei Ihnen auch der Fall?
Für mich war die Corona-Zeit überhaupt keine Inspirationsquelle und ich glaube nicht, dass man in Zeiten der Unsicherheit, wo viele von uns mit Angstzuständen, Panikattacken und Depressionen kämpften, kreativ sein konnte. In den ersten Wochen konnte ich überhaupt nichts machen, außer auf dem Smartphone-Bildschirm zu scrollen und Corona-Nachrichten zu lesen. Es ist eine schlechte Idee, zu glauben dass man im Lockdown endlich Zeit haben wird, Meisterwerke zu schaffen. Man sollte keinen Druck auf sich selbst ausüben- nichts zu machen und sich einfach zu erholen war auch OK. Eigentlich hatte ich Glück- letztes Jahr musste ich meine Doktorarbeit fertigschreiben und hatte sowieso vor, eine Pause vom Schreiben zu nehmen. Also habe ich mich während der Corona-Zeit mit der Doktorarbeit beschäftigt, die ich dann im Dezember auch verteidigen konnte- auf Zoom natürlich. Etwas Neues zu schreiben angefangen habe ich nur im März 2021, und das weil es ein Aufragswerk war und ich es musste. Es fiel mir anfangs sehr schwer und ich hatte mit Schreibblockaden zu kämpfen, dann wurde es aber leichter.
Wie war der Kontakt mit dem Publikum in dieser Zeit? Finden Sie, dass die Online-Lesungen und Veranstaltungen den direkten Kontakt ersetzen können?
Besonders in den Herbstmonaten habe ich an sehr vielen Publikumsgesprächen auf Zoom teilgenommen. Das Feedback hat mir gezeigt: falls eine Aufführung gut ist, schafft sie es, auch durch einen Bildschirm Emotionen zu vermitteln. Trotzdem werden die Online-Veranstaltungen den direkten Kontakt mit dme Publikum nie ersetzen können. Es gibt jedoch auch eine gute Seite am Online: man hat als Publikum die Chance, Veranstaltungen aus aller Welt zu sehen.
Ein Tag aus Ihrem Korona-Lockdown:
Diese Tage liegen sehr weit entfernt. Nehmen wir einen normalen Tag im April 2020 : nach dem Frühstück mit dem Fahhrad zum Markt um Blumen und Käse einzukaufen, dann kochen, dann ein wenig an der Doktorarbeit schreiben, dann eine Serie anschauen.
Wie sollten Kultur und Kunst aus Ihrer Sicht langfristig auf die Krise reagieren?
So wie ich schon vorher erwähnt habe, gibt es in dieser Krise auch eine gute Seite. Mit dem Übergang ins Online haben viele Kulturinstitutionen ein Publikum gewonnen, das sie vorher nicht hatten. Es handelt sich um ein Publikum aus anderen Städten (vielleicht auch auf dme Land oder in Ortschaften, wo es kein Theater oder keine Philharmonie gibt) oder Ländern. Wie kann man dieses gewonnene Publikum behalten? Was kann man weiterhin für dieses Publikum tun? Diese Frage sollte man sich stellen. Ebenfalls sollte man sich fragen, welche Themen heute noch relevant sind und inwiefern neue Formate wie Netz-Theater oder Zoom-Aufführungen weitergeführt werden können.
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
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Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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