Spiegel der Zeit
08.06.17
Zwei Kronstädter Pressejubiläen: 60 Jahre KR und 180 Jahre Siebenbürger Wochenblatt
Ein großes goldenes Schild schmückte am Dienstag, dem 30. Mai, den Forumsfestsaal. Auf dem Schild stehen mit Großbuchstaben die Namen von vier Publikationen, die das Leben im multikultruellen Kronstadt jahrzehntelang geprägt haben: Gazeta de Transilvania, Karpatenrundschau, Brassoi Lapok und Astra. Drei von ihnen existieren heute noch, Gazeta de Transilvania erscheint seit 2009 nicht mehr. Bis vor wenigen Jahren war das goldene Schild auf der Goldschmiedegasse /Str. Mihail Sadoveanu nr. 3 angebrach, an einem Gebäude, das unoffiziell „Pressehaus“ genannt wurde. Nicht nur die oben erwähnten Publikationen hatten hier ihre Redaktionen, in den Räumen waren auch die Büros der Korrespondenten der Nationalpresse untergebracht. Inzwischen steht das Haus leer, die Redaktionen entweder sind ganz verschwunden oder umgesiedelt und auf wenige Leute geschrumpft . Alle kämpfen in der Ära des Internets und der Smartphones ums Überleben und um ihre Leserschaft, die Auflagen sind kleiner geworden.
Vor 60 Jahren sah es ganz anders aus. Am 30. Mai 1957 erschien in Kronstadt die erste Ausgabe der deutschsprachigen „Volkszeitung“, die sich elf Jahre später, am 1. März 1968, in „Karpatenrundschau“ umbenannte und ab dann als überregionale „Wochenschrift für Gesellschaft, Politik und Kultur“ in allen Landesteilen Rumäniens mit deutschem Bevölkerungsanteil vertrieben wurde. Doch die Geschichte der deutschen Presse in Kronstadt hatte schon vor über einem Jahrhundert begonnen: am 24. Mai 1837 erschien hier die erste Nummer des Siebenbürger Wochenblatts.
Am 30. Mai 2017 gab es also einen doppelten Grund zum Feiern: neben dem 60jährigen Bestehen der Karpatenrundschau feierte man 180 Jahre deutsche Presse in Kronstadt. Im Rahmen der Kronstädter Deutschen Vortragsreihe sprachen über die Geschichte dieser Publikationen, die stets ein Spiegel ihrer Zeiten waren, zwei langjärjige Mitarbeiter der Karpatenrunschau: der Historiker Gernot Nussbächer und der ehemalige Chefredakteur Dieter Drotleff.
Vom Siebenbürger Wochenblatt zur Volkszeitung
Gernot Nussnbächer sprach über die Geschichte der ersten deutschsprachigen Zeitung von Kronstadt. Die erste Ausgabe des „Siebenbürger Wochenblattes“ erschien am Mittwoch, dem 24. Mai 1837, mit der Beilage „Unterhaltungsblatt für Geist, Gemüth und Publizität“ im Verlag von Johann Gött und Wilhelm Németh und in der Buchdruckerei von Johann Gött gedruckt, der 1832
nach Kronstadt aus Wehrheim bei Frankfurt am Main gekommen war, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Gött sah in der Presse einen wichtigen Fortschritt in der Kommunikation und einen bedeutenden Faktor zur gesellschaftlichen Entwicklung.
Auf der ersten Seite der ersten Ausgabe standen Nachrichten aus Spanien, Frankreich, Griechenland, Deutschland und „Vermischte Nachrichten“. Auch Nachrichten aus Siebenbürgen gab es natürlich: etwa über die neue Orgel in der ungarisch-evangelischen Kirche in Kronstadt, die Reparatur der Blumenauer Kirche, einem Brand in Krizba und einer Überschwemmung in Schäßburg . 1849 wurde das Wochenblatt zur „Kronstädter Zeitung“ umgestaltet, die bis zum 25. August 1944 erscheinen sollte.
Dreizehn Jahre lang gab es, außer der von jüdischen Gewerbetreibern herausgegebenen Wirtschaftszeitschrift „Meteor“- wie Wolfgang Wittstock als Anschluss an die Vorträge erwähnte-, keine andere Publikation in deutscher Sprache. 1957 entschlossen die politischen Behörden der damaligen Region Stalin, auch eine deutsche Zeitschrift herauszugeben.
Und so erschien am 30. Mai 1957 die „Volkszeitung“- Organ des Regionsparteikomitees und des Regionsvolkrates-Stalin. „Spiegelbild unserer Tage“ hieß ein Artikel auf der ersten Seite. Und das sollte die Zeitung auch sein. Auf der ersten Seite fand der Leser Nachrichten aus dem Ausland. Die Titel lauteten „Keine Atomwaffen der Bundeswehr“ , „Eine Million Waren aus der Sovjetunion“ oder „Sieben Millionen Spanier hungern“. Die Zeitung war, so Nussbächer, eine Widerspiegelung der Geschichte Kronstadts. Obwohl sie sich zunächst als Sprachrohr der Machthaber im totalitären Staat verstand , wurde nach wenigen Ausgaben der parteipolitische Pflichtteil mit Beiträgen über die Anliegen der deutschen Minderheit ergänzt. Auch die Geschichte der deutschen Minderheit nach wie vor einen Schwerpunkt.
Die Wochenzeitung legte sich dafür eine ständige Sonderseite unter dem Titel „Heimatkunde“ zu, die sie beibehielt, auch als 1974 die Seitenzahl des Blattes von 16 auf acht reduziert wurde. Die Heimatkunde-Seite existiert auch heute noch in der KR. Nussbächer erinnerte sich an einen Fehler, der in der Zeitungsgeschichte geblieben ist- als in einem Titel statt „die heterogenen Völker Europas“ „die betrogenen Völker Europas“ stand. Auch Dieter Drotleff begann seinen Vortrag mit einem Vorfall, der jetzt lustig erscheint. Zu den Zeiten riskierte man mit einem solchen Fehler seinen Arbeitsplatz: aus Versehen wurden zwei Fotos umgetauscht, und die Bildbeschriftungen wurden falsch gedruckt: so stand unter dem Bild einer Demonstration aus Lateinamerika, dass eine rumänische Delegation auf Besuch bei der UNO war.
Die Karpatenrundschau im Wandel der Zeit
Danach schilderte er die Zeit nach 1968, nach der Umbenennung der Volkszeitung in „Karpatenrundschau“. Mit der neuen Namensgebung knüpfte man an die 1907 bis 1914 erschienene und von Adolf Meschendörfer herausgegebene Halbmonatsschrift „Die Karpathen“ an. Behandelt wurden Themen aus Gesellschaft, Politik und Kultur, wobei heimatkundliche und literarische Beiträge einen Schwerpunkt bildeten. Die Zeitung wurde landesweit vertrieben und hatte eine Auflage von 15.000 Exemplaren. Drotleff erwähnte dass anlässlich des 25jährigen Bestehens 1982 der KR der Verdienst kulturorden 1. Klasse seitens des rumänischen Staatsrates verliehen. Dieses war auch ein Ansporn für die Redaktionsleitung den mut zu fassen, und auf den Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“ zu verzichten, der auf der Titelseite stehen musste. Viele initiativen sind von den KR-Redakteuren ausgegangen. Dazu zählen, unter vielen anderen, das Interesse und die Förderung des deutschsprachigen Unterrichtswesens, die Möglichkeit, die den deutschsprachigen Lyzeen aus Rumänien geboten wurde, ihre Schülerzeitungen als Beilage zu veröffentlichen, das Organisieren von Rundtischgesprächen zu verschiedenen Themen oder das Schüler-Taschenbuch „Ich hab´s“, deren letzte Ausgabe wegen der politischen Wende mit dem Aufdruck „Das Volk hat den Tyrannen gestürzt“ erschien.
Die politische Wende von 1989 brachte nicht nur die Meinungsfreiheit mit sich, aber auch die Schwierigkeiten des Überlebens der deutschsprachigen Publikationen. Seit 1996 wird die KR als vierseitige Wochenbeilage der Bukarester „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ gedruckt.Auch nach der Wirtschaftskrise 2008 wurde die Zukunft der KR bedroht, als das ADZ-Team ankündigte, dass die Bukarester Tageszeitung vorübergehend eingestellt wird. Zum Glück wurde diese Krise überwunden, auch dank der Proteste der Leser aus Kronstadt. Heute sind die Kollektionen der „Volkszeitung“ und der KR eine wichtige Dokumentationsquelle über Menschen, Kultur und Geschichte in Siebenbürgen.
Die Zeitung hat die Zänsur im Kommunismus und die finanziellen Schwierigkeiten im Kapitalismus überlebt, also wird sie es auch weiterhin schaffen, zu den Lesern zu gelangen. Wegen der rasanten Entwicklung der Technik ist es noch nicht absehbar, wie sie beim 70jährigen Jubiläum aussehen wird. Es kann sein, dass es die KR im Mai 2027 nicht mehr auf Papier geben wird. Doch solange es Leser gibt, wird auch die Zeitung existieren- in welchem Format auch immer.
Elise Wilk
Dieter Drotleff stellt die erste Nummer der Volkszeitung vor .
Fotos: die Verfasserin
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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