Starke Diasporisierung der Kirchengemeinden
27.02.20
Kronstädter Evangelischer Kirchenbezirk A.B. weiterhin zahlenmäßig führend
Keine Neuigkeit oder Feststellung bezüglich der zahlenmäßig schwindenden Bestände der Kirchenglieder nach der Wende von 1989. Waren es Anfang 1990 noch 102.000 Mitglieder der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, die von 118 Pfarrern seelsorgerisch betreut wurden, sind diese Zahlen dramatisch gesunken. Gegenwärtig kann man noch von 13.000 Kirchengliedern und weniger als 40 Pfarrern sprechen. Die Diasporisierung hat stark um sich gegriffen und das in all den fünf Kirchenbezirken: Hermannstadt, Kronstadt, Mediasch, Mühlbach und Schäßburg. Diesbezüglich unterstreicht Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR): „Der Wandel der Volkskirche zur Diasporakirche mit dem gleichzeitigen Wegbrechen der traditionellen Strukturen hat die EKR vor nie dagewesenen Herausforderungen gestellt. Als letzten Meilenstein der Volkskirche kann man das Jahr 1989 festhalten, obzwar zum Teil extreme Diasporasituationen mit den Kriegs- und Nachkriegsereignissen einhergehen. Die ‚Heim ins Reich‘-Aktionen 1940 in Bessarabien, der Bukowina und Dobrudscha, die Flucht in Nordsiebenbürgen 1944, Deportation, Enteignung und Kollektivisierung, Familienzusammenführung und kontingentierter Freikauf haben die Volkskirche der Zwischenkriegsjahre schon einmal um mehr als die Hälfte geschmälert“.Beeinflußt ist dieser negative Trend in der Entwicklung der EKR auch von gesellschaftlichen Faktoren die nicht nur im kirchlichen Leben ihre Auswirkungen zeigten. Durch die Aufnahme des Landes in die Europäische Union, dem Wegfall der Grenzen und der somit eingetroffenen Reisefreiheit haben viele Menschen ihre Arbeitsstellen und Wohnorte in andere Länder verlegt. Hinzu kommt auch die Individualisierung der einzelnen Personen, wobei natürlich die Gemeinde aus denen diese stammen an Gewicht verliert. Auch die nicht stabile Rechtslage der ständig sich ändernden Gesetze hat ihre Folgen. Anderseits findet die Kirche mehr an Zuspruch durch den Religionsunterricht in den Schulen, der Verwertung des Kulturerbes, durch die Diakonie, die besonderes bei den Angehörigen der älteren Generation stark benötigt wird. Auch hat die Rückgabe von Gütern an die Kirche zwei Aspekte, sowohl den positiven wegen der Bereicherung, anderseits auch den negativen wegen der Belastung, die auf die Kirchengemeinden, besonders auf die Amtsträger bei der Verwaltung von Grund oder Wald, der Instandhaltung von Schulgebäuden zukommt. Mit Recht betont Pfarrer Dr. Hans Bruno Fröhlich, Dechant des Schäßburger Kirchenbezirkes: „Die Entwicklung, durch welche unsere Kirche in den letzten zwanzig Jahren gegangen ist, hat ein anderes Pfarrerbild hervorgebracht. Etwas überspitzt formuliert: aus dem ‚Herr Vater‘ ist ein Manager, der auch geistliche Funktionen wahrzunehmen hat, geworden. Die größte Schwierigkeit eines evangelischen Pfarrers aus Siebenbürgen, der seinen ‚Dienst am Wort‘ in dieser Zeit ernst nimmt,ist die, dass für die Gottesdienstvorbereitung wenig Zeit übrigbleibt. Das liegt nicht nur an den demographischen Strukturveränderungen nach der Auswanderung und damit zusammenhängend, dass ein Pfarrer mehrere Gemeinden betreut und 2 bis 3 Gottesdienste pro Sonn- und Feiertage und die dazugehörenden Kasualhandlungen zu ‚halten‘ hat“.
Besonderes dort, wo mehrere Diasporagemeinden um eine eigenständige Kirchengemeinde zusammengewachsen sind, wurden Gemeindeverbände gegründet – siehe Fogarasch -, wo Pfarrer Dr. Johannes Klein außer der eigenständigen Gemeinde Fogarasch, auch die Diasporagemeinden Schirkanyen, Bekokten, Scharosch, Seligstadt, Rohrbach, Leblang, Seiburg, Felmern betreut, die aber auch sehr viele Verwaltungsprobleme aufwerfen, wie Reparaturen und Instandhaltung von Kirchen und Kirchenburgen, von rückerstattetem kirchlichen Eigentum. Beispielgebend sind das in Seligstadt im Pfarrhaus gegründete Jugendbegegnungszentrum, der Kinderakademie in Bekokten in der ehemaligen Schule, des Gemeindesaals in gleicher Ortschaft-um nur einige zu nennen. Insgesamt sind in der EKR in sieben Verbänden, 68 Kirchengemeinden mit rund 3550 Gemeindegliedern zusammengeschlossen. Somit fallen auf den jeweiligen Pfarrer die unzähligen zu lösenden Probleme zu, wie Grundsteine für die diakonische Tätigkeit zu legen, Religionsunterricht an Schulen zu halten, die Kontakte mit Partnergemeinden aus dem Ausland zu pflegen, bei den Behörden vorstellig werden, Miet- oder Pachtverträge mit Institutionen oder Unternehmen abzuschließen, sich für alle diese Bereiche mit der Gesetzgebung zu dokumentieren u.v.a.
Auch ist eine Urbanisierung der Kirche in diesem Kontext der immer zahlreicher werdenden Diasporagemeinden feststellbar. Etwa 35 Prozent der Gemeindeglieder leben gegenwärtig in fünf Städten: Kronstadt, Hermannstadt, Bukarest, Mediasch, Schäßburg. Dadurch findet auch ein Traditions- und Brauchtumswandel statt. Dieses auch im Kontext der immer mehr zu verzeichnenden Mischehen, wobei Sitten und Bräuche auch anderer Konfessionen im Austausch mit den evangelischen stehen. Die Kronstädter Pfarrerin Adriana Florea betonte in einem Interview für den Gemeindebrief der Honterusgemeinde: „Wenn wir Familien ansprechen, dann tun wir das nicht nur, indem wir evangelische Mitglieder der Familie ansprechen, sondern alle ihre Mitglieder. Die Familie wird als Ganzes wahrgenommen. Dieser Ansatz liegt allen unseren Aktivitäten zugrunde. Das Kind wird in unseren individuellen Gruppen nie allein angesprochen, sondern immer in seiner Umwelt. Ganz bewusst wollen wir die ganze Familie als Einheit verstehen“.
Paradoxer Weise ist die Zahl der Besucher in unseren Kirchen im Steigen begriffen. Dieses aber an den musikalischen Veranstaltungen in unseren Kirchen, an Festlichkeiten. Allein an den 35 Orgelkonzerten in der Schwarzen Kirche, an den 12 Sonderkonzerten, an den von ausländischen Gästen gebotenen Konzerten beteiligten sich im Vorjahr rund 10.000 Besucher. An den Festgottesdiensten am Heiligen Abend in der Schwarzen Kirche oder dem Bartholomäusfest sind die Gotteshäuser bis auf den letzten Platz belegt. Nicht das gleiche ist bei den sonntäglichen Gottesdiensten zu verzeichnen. Gültig ist das auch für die Honterusgemeinde. Stadtpfarrer Christian Plajer sieht eine Lösung: „Zusammenrücken und Gemeinschaft stärken, ist das Motto das uns dabei bewegt. Der monatliche ‚Kirchenkaffee‘ im Anschluss an den Gottesdienst ist in diesem Sinne zu verstehen. Sonntagsgottesdienste, in denen Kinder bewusst einbezogen und angesprochen werden bescheren uns volle Kirchen und wollen als ‚Familiengottesdienste‘ (in der Tat ein Modewort) Gemeinschaft stiften: Evangelische Gemeindeglieder werden von ihren anderskonfessionellen Familienmitgliedern nicht weggeholt, um in unserer Kirche alternativ Gemeinschaft zu erleben, sondern alle sind eingeladen. So kann Kirche w a c h s e n. Und sie w ä c h s t (auch wenn sich das nicht an Gemeindegliederzahlen messen lässt)“.
Der Kronstädter Evangelische Kirchenbezirk A.B. ist weiterhin der größte bezüglich der Zahl der Kirchenglieder, als auch von der geographischen Ausdehnung her unter den fünf Kirchenbezirken der EKR. Am letzten Tag des vorangegangenen Jahres, dem 31. Dezember 2019, zählte dieser 4268 Seelen, um 7 mehr als ein Jahr davor. Auch stieg die Zahl der Mitglieder mit Sonderstatus von 148 auf 156 , laut dem Bericht der unser freundlicher weise von Ortwin Hellmann, Bezirkskirchenkurator zur Verfügung gestellt wurde und von Bezirksanwalt Manfred Copony ausgearbeitet worden ist. Die 46 Gemeinden – davon 13 als eigenständige Kirchengemeinde und 33 als Diasporagemeinde eingestuft -, werden von acht Pfarrern betreut. Eine Pfarrstelle wurde für Bukarest ausgeschrieben, konnte aber bisher noch nicht belegt werden. Vikar Danielis Mare steht vor der Ordination für das Gebiet der Repser Diaspora. Aushilfe wurde in den Sommermonaten von Gastpfarrern und Vikaren aus Deutschland geboten.
Der Kronstädter Kirchenbezirk ist in vier Gebiete strukturiert:
A.Burzenland
Die größte Kirchengemeinde im Burzenland ist die Kronstädter Honterusgemeinde mit 944 Seelen (im Vorjahr 927) und 16 im Sonderstatus, um zwei mehr als im Vorjahr. Betreut werden diese von Stadtpfarrer Christian Plajer und Pfarrerin Adriana Florea, wie auch Nußbach als eigenständige Gemeinde mit 108 Kirchengliedern (im Vorjahr 103) und drei im Sonderstatus, um drei weniger als 2018. Nach Bukarest ist die Honterusgemeinde die zweitgrößte im Bezirk. Die zweite eigenständige Kirchengemeinde aus der Stadt unter der Zinne, Bartholomä, zählte 169 Glieder ( amJahresende 2018 waren es 176) und wird von Altdechant Pfarrer Klaus Daniel mit Hingabe betreut. Die beiden eigenständigen Kirchengemeinden Honigberg und Rosenau stehen im Zuständigkeitsbereich von Pfarrer Kurt Boltres. Honigberg zählte am Jahresende 124 Kirchenglieder, drei weniger als 2018, und Rosenau 136, um eines mehr als ein Jahr davor. Pfarrer Dr. Peter Klein hat in seiner Seelsorge die eigenständigen Kirchengemeinden Petersberg mit 96 Gliedern, um zwei mehr als 2018, Tartlau mit 93 Gliedern, um zehn weniger als ein Jahr davor, und die Diasporagemeinde Brenndorf mit 41 Gliedern, gleichbleibend wie 2018. Pfarrer Andreas Hartig hat in seiner Zuständigkeit die eigenständigen Kirchengemeinden Zeiden mit 390 Gliedern und 4 mit Sonderstatus, 2018 waren es 382 und ebenfalls 4, und Heldsdorf mit 136 bzw. 2 Gliedern. Am Ende 2018 waren es 139 bzw. ebenfalls 2. Pfarrer Uwe Seidner betreut zwei eigenständige und eine Diasporagemeinde. Dieses sind Wolkendorf mit 119 Gliedern (ehemals 118), Neustadt mit 109 (vormals 110), bzw. Weidenbach mit 61 (vorher 60) Kirchengliedern. Das Burzenland schließt noch die zwei Diasporagemeinden Marienburg mit 19, gleichbleibend, und Rothbach mit 10 (vormals 11) Kirchengliedern ein. Somit ist die Zahl der Kirchenglieder im Burzenland von 2545 Ende 2018, auf 2555 gestiegen. Die Zahl der Personen mit Sonderstatut ist gleich geblieben, 26.
B. Repser Diaspora
Das Repser Gebiet umfasst 15 Diasporagemeinden, in denen mit Ausnahme von drei Ortschaften die Seelenzahl am 31. Dezember 2019 die gleiche wie ein Jahr davor geblieben ist: Reps (31), Streitfort (1), Galt (22), Deutsch-Tekes (12), Schweischer (6), Radeln (24), Bodendorf (6), Meschendorf (1), Draas (3), Katzendorf (2), Stein (2), Deutsch-Weißkirch (115) und 87 im Sonderstatus. In Deutsch-Kreuz ist die Zahl von 6 auf 5, in Meeburg von 5 auf 2 gesunken, während in Hamruden die Zahl von 31 auf 32 angestiegen ist. Insgesamt zählt die Repser Diaspora um 5 Kirchenglieder weniger als 2018. Von 269 ist die Zahl auf 264 gefallen. Gleichbleibend ist die derer mit Sonderstatus.
C. Gemeindeverband Fogarasch
Dazu gehören 9 Kirchengemeinden. Davon ist nur Fogarasch eigenständig mit 237 Kirchengliedern und 3 im Sonderstatus, gegenüber 239 im Jahr davor. In den dazugehörenden Diasporagemeinden sind die Zahlen relativ gleich geblieben, doch insgesamt angestiegen. Von 407 am Ende 2018, ist die Zahl der Kirchenglieder des Gemeindeverbands auf 413, die derer mit Sonderstatus von 30 auf 37 angestiegen. In Schirkanyen ist die Zahl von 22 auf 21 gefallen. In Bekokten blieb diese gleich, 10. In Scharosch ebenfalls so, 28 und 19 mit Sonderstatus. Gleiches gilt für Seligstadt mit 5 bzw. 1, Rohrbach mit 14 bzw. 3. In Leblang stieg die Zahl der Kirchenglieder von 27 auf 32. Da gibt es aber niemanden mehr mit Sonderstatus. 2018 waren es noch 2. In Seiburg stieg die Zahl der Kirchenglieder von 51 auf 52, die der mit Sonderstatus von 1 auf 11. Auch in Felmern ist die Anzahl von 11 auf 14 angestiegen, allerdings ist keine Person mehr mit Sonderstatus. Pfarrer Dr. Joahnnes Klein betreut die Kirchengemeinden des Gemeindeverbandes.
D. Altreich
Dr. Daniel Zikeli, Dechant des Kronstädter Kirchenbezirkes und Bischofsvikar der EKR hat in seinem Zuständigkeitsbereich sieben Kirchengemeinden, die weit voneinander entfernt im Altreich, der Moldau und Dobrudscha liegen. Nur die Hauptstadt Bukarest mit 953 Kirchengliedern und 6 im Sonderstaus, ist eigenständige Kirchengemeinde. 2018 waren es 958 und 5 im Sonderstaus, somit um 5 weniger bzw. 1 mehr. Ploiesi zählte am Jahresende 24 (vormals 25), Câmpina und Pitesti mit je 7, Braila 11, Konstanza 15, Jassy 19, alle wie auch ein Jahr davor. Gesunken ist die Seelenzahl im Altreich von 1042 auf 1036, die derer mit Sonderstatus ist von 5 auf 6 angestiegen.
In der Zeitspanne 2018 bis 2021 wird eine Veranstaltungsreihe des 100. Gründungsjahres der EKR in verschiedenen Siedlungsgebieten gewidmet. Eingeleitet wurde diese am 10. November 2018 von Dr. Daniel Zikeli und Bischof Reinhart Guib in Bukarest. Das Strategiekonzept „Zukunft Kirche“, und der Leitsatz „Aus Glauben Leben in Gemeinschaft gestalten“ sind Hoffnung gebend.
Dieter Drotleff
In der Blumenauer Kirche von Kronstadt werden in der kalten Jahreszeit die Gottesdienste der Honterusgemeinde gefeiert. Foto: der Verfasser
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
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E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
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