Symmetrische Musikerdynastie aus Siebenbürgen
15.11.18
Symmetrische Musikerdynastie aus Siebenbürgen
Musikerdynastien gab es schon früher. Denken wir nur an die Strauß-Dynastie, die Jurowskis in Berlin, die Bach-Dynastie u.v.a. Auch die Rumäniendeutschen hatten ihre Musikerfamilien, die generationenübergreifend die Blasmusikgeschicke ihrer Dörfer geprägt haben. In Jahrmarkt / Banat zum Beispiel gab es gleich zwei Musikerdynastien: Kaszner und Loris. Jede dieser Musikerfamilien hatte eine andere Generationenstruktur. Dementsprechend unterschiedlich würden sie sich auch grafisch darstellen lassen.
Ganz einfach wäre es im Fall der Musikerfamilie Fuss aus Großscheuern / Siebenbürgen. Deren Grafik würde symmetrisch ausfallen, und das über drei Generationen hinweg. In einer geschichtlichen Zeittafel zu Großscheuern findet man den Eintrag: „1940 - am 6. Januar Gastpredigt von Pfarrer Karl Hermann in Großscheuern - am 28. Januar fand die Wahl statt -am 03.März fand der Einzug in die Gemeinde statt mit einem Festzug durch Hermannstadt mit Reiterbanderium u. Musikkapelle (zum ersten Mal Vereinigung der beiden Musikkapellen).“ Also gab es schon in der Zeit des 2. Weltkrieges zwei Blaskapellen im Dorf.
Auf diese Tradition wollten die nach Deutschland ausgewanderten Sachsen aus Großscheuern auch in ihrer zweiten Heimat nicht verzichten. Dazu kann man in der SIEBENÜRGISCHEN ZEITUNG vom 28. Oktober 1995 Folgendes in einem Beitrag von Johann Grau lesen: „Im Mai 1990 ist es unter Leitung des bewährten Dirigenten Hans-Paul Fuss gelungen, eine Blaskapelle von 16 Bläsern in Ingolstadt auf die Beine zu stellen. Die Mitglieder, die alle schon in Großscheuern zur Blasmusik gehörten, führen die Trachtengruppe der HOG Großscheuern gewöhnlich beim Heimattag in Dinkelsbühl an.“
Die Zeit ist in ihrem Vorwärtsgang unermüdlich und rücksichtslos. Am 31. Januar 2017 kündete eine Todesanzeige im Ingolstädter DONAUKURIER vom Tode Hans-Paul Fuss’ (4. November 1930 – 28. Januar 2017). Neben seiner Frau Anna kondolierten laut Todesanzeige die Söhne Hans-Paul (mit Ingrid) und Michael (mit Christa) sowie die Enkelkinder Christian, Katrin, Ricarda und Carsten. Und damit wäre das gleichschenklige Musikerdreieck der Familie Fuss gezeichnet. Die Spitze dieser siebenbürgischen Musikerdynastie bildet Hans-Paul Fuss (1930 – 2017), die Schenkel belegen Hans-Paul Fuss (Trompete) und Michael Fuss (Posaune), während die Basis von Christian Fuss (Trompete), Katrin Fuss (Querflöte), Ricarda Fuss (Saxophon) und Carsten Fuss (Posaune) gefestigt wird. Man kann über jedes Mitglied dieser Familie bereits jetzt eine erfolgreiche Musikerbiografie schreiben. Dazu gehören sowohl erfolgreiche Lehrtätigkeiten, Solokonzerte, Auftritte in bekannten Orchestern mit namhaften Dirigenten, wie auch gewonnene Musikwettbewerbe.
Zuletzt hat Carsten Fuss (geb.1993) für positive Schlagzeilen in den Ingolstädter Medien gesorgt. Er hat fast auf den Tag genau 25 Jahre nachdem sein Großvater die Blaskapelle der Großscheurer in Ingolstadt wiederbelebt hat, den Jazzförderpreis der Stadt Ingolstadt in einem festlich-konzertanten Rahmen im „Kulturzentrum neun“ erhalten. Am 27. Oktober 2018 nahm er den mit 5000 Euro dotierten Preis, der seit 1994 zum Auftakt der Ingolstädter Jazztage vergeben wird, entgegen und bedankte sich dafür mit einem im wahrsten Sinne des Wortes spektakulären Konzert mit der Jazzrausch Bigband. Diese Formation pflegt den High-Energy-Techno-Jazz und hat damit weit über Deutschland hinaus sehr gute Kritiken eingespielt. Der Gründer dieser erfolgreichen Formation mit (an diesem Abend) 16 MusikerInnen, Roman Sladek, ein gewesener Kommilitone Carsten Fuss’, hielt eine kurze Laudatio auf seinen Freund und erinnerte daran, dass Carsten nicht nur ein Ausnahmemusiker ist, sondern auch ein „wandelndes Musiklexikon“. „Ganz gleich um welche Art Musik es geht, wir können mit Neuigkeiten nicht auftrumpfen, denn Carsten wusste es vor uns“, sagte sinngemäß der Bandleader. Nicht geklärt wurde vor, bei und nach diesem Konzert, ob es sich bei Carsten Fuss um einen Klassiker mit Jazz-Neigungen oder um einen Jazzer mit Klassik-Affinitäten handelt. Seine Biografie trägt diesbezüglich nicht zur Aufklärung bei.
Carsten Fuss bekam mit sechs Jahren seinen ersten Klavierunterricht und wurde als Neunjähriger von seinem Vater Michael in die Kunst des Posaunenspiels eingeweiht. Schnell zeichnete sich sein Weg ins professionelle Musikgewerbe ab. Dieser Weg führte den gebürtigen Ingolstädter über die Simon-Mayer-Sing- und Musikschule Ingolstadt, das Landes-Jugendjazzorchester Bayern und das Bundesjugendorchester auf die Musikhochschule München zu Professor Wolfram Arndt. Dort studierte Carsten Fuss im Hauptfach klassische Posaune und absolvierte 2015 mit dem Bachelor of Music. Orchestererfahrung sammelte er als Student in der Bad Reichenhaller Philharmonie und der Niederbayerischen Philharmonie Passau. Weitere Einsätze folgten im Stadttheater am Gärtnerplatz (München), bei den Augsburger Philharmonikern, dem Münchner Rundfunkorchester, beim Georgischen Kammerorchester Ingolstadt und schließlich im Philharmonischen Orchester des Landestheaters Coburg am Pult für die 2. Posaune, eine Stelle, die er auch zurzeit inne hat.
Der junge Musiker bewegt sich nicht nur unbefangen zwischen verschiedenen musikalischen Genres, sondern wandelt auch beherzt auf den Bläserspuren seiner Vorfahren. Eine aus Siebenbürgen mitgebrachte Tradition findet ihren Ausdruck in neuen, experimentierfreudigen Formen, die so wunderschöne Musik generieren, wie die Jazzrausch Bigband sie ihrer großen und weiter wachsenden Fangemeinde präsentiert. Zu dieser Musik gehört neben viel Elektronik, perfekter Rhythmik, fantasiereichen Jazzelementen (besonders bei den Saxophonen) und einer gut integrierten Frauenstimme vor allem auch eine Gänsehaut produzierende Blechabteilung: Trompete, Posaune, Tuba – Blechmusikklangfarben wie aus besten siebenbürgensächsischen und banatschwäbischen Zeiten.
Mark Jahr
Carsten Fuss hat den Jazzförderpreis der Stadt Ingolstadt erhalten. Foto: der Verfasser
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