TIFF ist volljährig!
27.06.19
Ein Rückblick auf die 18. Auflage des Internationalen Filmfestivals in Klausenburg (II)
12 Filme im Wettbewerb
Ein neunjähriges Mädchen durchläuft einen Leidensweg zwischen wechselnden Pflegefamilien und Anti-Aggressions-Trainigs. (Systemsprenger)
Ein Mann erfährt von seiner Freundin, dass sie schwanger ist, aber nicht von ihm, sondern von seinem besten Freund. Acht Jahre später ist dieser Freund tot und der Mann trifft seine alte Liebe bei dessen Beerdigung wieder. (L'homme fidèle)
Zwei Liebespaare suchen in einem Hotel in der britischen Küstenstadt Scarborough Zuflucht und Anonymität. Beide Geschichten spielen 20 Jahre voneinander entfernt und haben viel mehr gemeinsam, als man ursprünglich denkt. ( Scarborough)
Ein Mann spürt eine große Leere in seinem Leben und erkennt, dass er eine große Liebe verloren hat. Daher beschließt er, mit Hilfe einer Zeitmaschine zurückzukehren und zwar genau an dem Tag, an dem sich beide das erste Mal getroffen hatten. (Ohne Ende)
Ein Filmemacher dokumentiert den realen Mord an seiner Großmutter, der vor 15 Jahren in Istanbul geschehen ist. Dabei vermengt er Gerichtsakten von damals und seine persönlichen Erinnerungen. (Familienmord) Ein Polizist ist zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau noch immer von der Idee besessen, dass diese ihn betrogen hat. (A white, white day) Das perfekte Leben einer Anwältin gerät aus den Fugen, als der Sohn aus erster Ehe ihres Lebenspartners mit ihnen zusammenzieht. (Queen of Hearts)
Das Leben des fiktionalen sowjetischen Stand-Up-Comedians Boris Arkadiev ist nicht leicht. Er wird nicht nur durch Zensur unterdrückt, seine eigenen Unsicherheiten vergiften auch noch all seine Beziehungen. (Der Komödiant)
Eine Frau kehrt einen Tag früher von einem Teambuilding nach Hause. Doch sie findet den Mut nicht, in ihre Wohnung zu gehen. Sie ahnt, dass ihr Mann sie mit einem anderen Mann betrügt. (Monster) Ein Forstverwalter in der sibirischen Taiga, Familienmensch und werdender Vater, sucht und findet angesichts seiner Krebsdiagnose eine neue Identität-die einer Frau. (The man who surprised eneryone)
Acht Jugendliche aus einer abgelegenen Bergregion gehören einer paramilitärischen Einheit an. Sie müssen auf die Milchkuh Shakira und eine US-amerikanische Geisel namens Doctora aufpassen. Als ihr Standort bekannt wird, muss sich die Einheit weiter in den Dschungel zurückziehen. (Monos) Eine Hausfrau mittleren Alters befindet sich im Elend einer einer lieblosen Ehe. Ihr eintöniges Leben wird unterbrochen, als ein junger Maler ihren Wohnblock bemalt. Ihre Phantasie beginnt zu blühen, als sie mit ihren unstillbaren Wünschen konfrontiert wird. (Pause)
Um diese Themen ging es in den 12 Filmen der Sektion „Wettbewerb“. Für jeden Kinoliebhaber ist es ein Muss, so viele wie möglich davon zu schauen. Seit einigen Jahren gibt es die Tradition, ähnlich wie bei der Berlinale, alle Wettbewerbsfilme am letzten Tag zu zeigen. Für den Wettbewerb zugelassen, sind jedes Jahr 12 Filme, wobei es sich entweder um das Erstlingswerk oder um den zweiten Film eines Regisseurs handelt. „In diesem Jahr gab es großes Interesse für jene Filme, die sich nicht mit dem aktuellen sozialen und politischen Kontext befassen, wobei die Regisseure sich entweder dafür entscheiden, ihn ganz zu vermeiden oder ihn subtil in Geschichten einzufügen", meinte Mihai Chirilov, künstlerischer Leiter des Festivals.
Filme, die zum Nachdenken anregen
Der große Gewinner war in diesem Jahr dem kolumbischen Film „Monos”, einer losen Adaptation von William Goldings Roman „Herr der Fliegen”. Dabei ist Monos auch ein politischer Film, obwohl er sich mehr für die Vielfalt seiner Figuren interessiert als eine Gesellschaftskritik zu versuchen. Der Publikumspreis ging in diesem Jahr überraschender Weise an den deutschen Film „Systemsprenger” in der Regie von Nora Fingscheidt. Auf der diesjährigen Berlinale wurde der Film mit dem Silbernen Bären - Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet. Im Film spielt Helena Zengel die neunjährige Benni, die in eine dauerhafte Pflegefamilie gegeben werden soll, da ihre eigene Mutter sich nicht um sie kümmern kann. Benni ist laut, wild, unberechenbar, oft gewalttätig, immer wie eine tickende Zeitbombe. Sie treibt ihre Mitmenschen zur Verzweiflung, doch ihr Verhalten ist ein verzweifelter Schrei nach Liebe und Geborgenheit. Das Mädchen wechselt seit vielen Jahren von einer Pflegefamilie in die nächste. Eine Jugendamtsmitarbeiterin und ein Anti-Gewalt-Trainer wollen endlich ein dauerhaftes Zuhause für das junge Mädchen finden, doch Benni legt es bei jeder Familie aufs Neue darauf an, rauszufliegen, weil sie unbedingt zu ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern zurück möchte. Anfangs verspricht die Mutter Benni, dass sie zu ihr ziehen wird. Doch später realisiert sie, dass sie sich eigentlich vor ihrer eigenen Tochter fürchtet und sich nicht traut, die Beziehung zu ihr aufzubauen. Am Ende schlägt ein weiterer Versuch der Pfleger, das Mädchen auf einen Auslandsaufenthalt nach Afrika zu schicken, fehl. Benni flüchtet aus dem Sicherheitsbereich auf das Dach des Flughafens. Ob es für sie noch eine Chance gibt, diese Frage lässt der Film offen. Und die Frage beschäftigt den Zuschauer lange nach Verlassen des Kinosaals.
Ein anderer Film im Wettbewerb, der für langen Gesprächsstoff sorgt, ist die dänisch-schwedische Produktion „Queen of Hearts“ (deutsch: Königin der Herzen) in der Regie von May el-Toukhy. Die Regisseurin erhielt in Klausenburg den Preis für die beste Regie. Die Handlung von „Königin der Herzen“ spielt fast ausschließlich in einem villenartigen Einfamilienhaus neben einem See ab. Hier lebt Anne, eine Anwältin für Familienrecht, mit ihrem Mann und ihren beiden Zwillingstöchtern. Ein Bilderbuchleben: die Töchter nehmen Reitunterricht, die Eltern feiern Gartenfeste und schwimmen im nahe gelegenen See. „Meine größte Angst ist, dass auf einmal alles verschwinden wird“, meint Anne. Und ihre größte Angst wird zur Wirklichkeit: wie ein Haufen Dominosteine fällt ihr Leben Teil für Teil zusammen. Und das aus selbstgemachtem Leid. Plötzlich erscheint in ihrem Leben jemand, der die Dominosteine zum schwanken bringt: es ist Gustav, der 16-jährige Sohn aus erster Ehe ihres Ehemannes. Der Jugendliche hat Probleme mit der Polizei und muss deshalb für eine Weile bei der Familie leben. Am Anfang ist Anne überhaupt nicht davon begeistert, doch nach kurzer Zeit beginnt sie eine Affäre mit ihrem Schwiegersohn, die in einer Tragödie endet, und das nur weil die Rechtsanwältin in ein immer stärkeres Netz aus Lügen verwickelt, das zu platzen droht.
Die Monster in uns
Ebenfalls ein Wettbewerbsfilm, der zum Nachdenken anregt, ist “Monster”. Es handelt sich um das Regiedebüt des Bukarester Regisseurs Marius Olteanu. In drei Teilen wird von einer Ehe erzählt, die zu zerbrechen droht. Im ersten Teil kehrt Dana (Judith State) einen Tag früher von einem Teambuilding in den Bergen zurück. Doch statt nach Hause zu gehen, verbringt sie ihre Nacht in einem Taxi. Sie fährt durch die Straßen und unterhält sich mit dem Taxifahrer (Alexandru Potocean) über ernste Sachen. Im zweiten Teil lernen wir Andrei (Cristian Popa), den Ehemann von Dana kennen. Am gleichen Abend hat er sich über ein Dating-Portal mit einem Mann (Serban Pavlu) verabredet. Im dritten Teil treffen Dana und Andrei in ihrer gemeinsamen Wohnung aufeinander. Es folgt eine Tauffeier von Freunden und einen gemeinsamen Besuch bei einer Tante von Andrei. Am ergreifendsten ist die Szene, in der die beiden miteinander tanzen, vielleicht zum letzten Mal. Monster ist die Geschichte einer Liebe, aber der Film erzählt auch vom Alltag in Rumänien, von der Genderproblematik, von den gesellschaftlichen Erwartungen in die nicht alle hineinpassen. „Monster“ kommt im August in die rumänischen Kinos. Hoffentlich werden auch „Systemsprenger“ und „Queen of Hearts“ zu sehen sein. „Tiff“ geht Ende dieser Woche in Hermannstadt weiter. Und auch für die 19. Auflage im Jahr 2020 stehen die Termine fest: 29. Mai bis 7. Juni.
Elise Wilk
Ein bemerkenswetes Regiedebüt: „Monster“ von Marius Oltean. Foto: TIFF
Die Kronstädter Wochenschrift "Karpatenrundschau" erscheint als Beilage in der "Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien".
Herausgeber: Demokratisches Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt
Redaktion: 500.030 Braşov, Str. GH. Baiulescu 2,
Fernruf und Telefax: 0040 -(0)268/475 841,
E-Mail:kronstadt@adz.ro
Schriftleiter: Elise Wilk.
Redaktuere:Ralf Sudrigian, Hans Butmaloiu, Christine Chiriac (Redakteurin, 2009-2014), Dieter Drotleff (Redaktionsleiter 1989 - 2007)
Aktuell
Karpatenrundschau
25.10.24
Abschluss der Restaurierungsaktion im Rahmen der Vortragsreihe „Kulturerbe hautnah“ öffentlich vorgestellt
[mehr...]
25.10.24
Zum Band von Alfred Schadt: Zwischen Heimat und Zuhause. Betrachtungen eines Ausgewanderten
[mehr...]
25.10.24
Marienburg im Burzenland hat seit Kurzem ein amtlich bestätigtes Ortswappen/Von Wolfgang Wittstock
[mehr...]