„Unsere Vorfahren haben immer ihre Pflicht erfüllt“
20.09.18
Festvortrag zum Bartholomäusfest am 26.08.2018/Von Dr. Horst Müller (II)
Beispielsweise ging es um die angemessene Ehrung der im Krieg Gefallenen. Am 6. Oktober 1918 notiert Pfarrer Lassel: Gedächtnisfeier für die bei der Befreiung der Stadt gefallenen und auf dem Bartholomäer Friedhof beerdigten Helden (es geht wohl um das Grab an der Nordseite der Kirche). Im Gottesdienst am 9. März 1919 wurden die 30 Gefallenen und Kriegstoten der Gemeinde geehrt. Die Anzahl in der Einladung und die Auflistung stimmen nicht ganz mit der Liste auf der Gedenktafel überein, weil offensichtlich das traurige Los einiger damals noch als vermisst Geltenden erst später geklärt werden konnte. Die Aufarbeitung der Kriegsfolgen hat gewiss viel länger gedauert, als deren Entstehung und trifft leider mehr die Unschuldigen, als die eigentlichen Verursacher. Auch in dieser Lage kann die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft hilfreich und tröstend sein. Dass exponierte Vertreter der Bartholomäer Gemeinde durchaus auch des Rückhalts ihrer Gemeinschaft bedurften erkennt man allein schon daraus, dass Pfarrer Lassels Sohn Konrad und Georg Salmen, der Bruder des Predigers, zu den Kriegstoten zählen.
In der Korrespondenz und den Bemühungen der Kirchengemeinde Bartholomä ging es in den Nachkriegsmonaten verstärkt um die Rückholung und erneute Integration der nach Kriegsende noch in russischer oder italienischer Kriegsgefangenschaft verbliebenen ehemaligen Frontsoldaten. Dabei zeichnen sich sehr engagierte Frauenorganisation aus, sowohl aus Bartholomä, aber auch aus Kronstadt und aus ganz Siebenbürgen. Acht Bartholomäer Sachsen in italienischer Gefangenschaft, um deren Rückholung man sich intensiv bemüht, werden in einer Liste namentlich genannt: Hans Mayer, Michael Brenndörfer, Martin Schadt, Walter Peutsch, Georg Hüll, Johann Stefani, Michael Dulovits, Michael Ludwig.
Es geht ferner in der Gemeinde um die Versorgung von Kriegsinvaliden, Witwen und Waisen. Erlass oder Erstattung von Schulgeld und Entrichtung von Pflegebeiträgen für Kriegswaisen an das zentrale Waisenhaus in Tartlau. Das Dankesschreiben vom 16. November 1919 bestätigt den Erhalt und dankt für die Lieferung von 3 Wagen mit Lebensmitteln, gesammelt in einer Gemeinde, die selbst schwer an den Kriegsfolgen zu tragen hatte. Aber auch Sammlungen für hagelgeschädigte Landwirte im nördlicheren Burzenland (Brenndorf und Marienburg) sind Beispiele für intensive diakonische Bemühungen in dieser schweren Zeit. Gerade bei solchen Vorgängen ist die Gemeinschaft für den bedürftigen Einzelnen von höchster Wichtigkeit.
Gewiss nicht nur wegen der Doppelfunktion des Dr. Eugen Lassel als Pfarrer und Schullehrer ist die Sicherstellung des Unterrichts in der Schule ein zentrales Anliegen der Gemeinschaft. Neben dem regelmäßig beratenden Presbyterium gibt es dafür auch direkte Beiträge aus der Bruderschaft und der Schwesterschaft, die laut Tagebuchaufzeichnungen immer wieder nach dem Gottesdienst das Gespräch suchen und sich einbringen. Ebenso die sieben Nachbarschaften in der Gemeinde Bartholomä.
Nach der zunächst recht formlos erfolgten Eingliederung Siebenbürgens in das Königreich Rumänien, die formell erst durch den Friedensvertrag von Trianon 1920 bestätigt wurde, ging es in den einzelnen Gemeinden auch um die Anpassung organisatorischer Strukturen und Abläufe aus ungarischer Zeit an die neuen Vorgaben in Rumänien. Bei der 1. Wiederkehr des Beschlusses von Karlsburg war eine offizielle Feier am 1. Dezember 1919 nach festgelegtem Protokoll geplant. Die Vorgaben für den Ablauf der Feierlichkeiten lassen erahnen, dass man innerhalb der sächsischen Minderheit bereits damals ohne Überzeugung gefeiert hat und die Gelegenheit nutzt, an die Versprechen der Karlsburger Beschlüsse zu erinnern. Der Aufruf des Bezirkskonsistoriums an die Presbyterien betont, dass „die rumänische Nation des gewesenen Ungarn in der großen Versammlung von Karlsburg ihre politische Vereinigung mit dem Königreich Rumänien und zugleich die nationale Freiheit für sich und alle Mitbewohner verkündet hat.“ Die Tagebuchaufzeichnungen von Pfr. Lassel für den 1. Dezember 1919 besagen, dass um 9 Uhr die Schulfeier stattfand, wobei er die Ansprache hielt. Zu Beginn wird gesungen: Schütze, Gott, Dein Volk der Sachsen, zum Schluss: Nun danket alle Gott. Um 5 Uhr gab es eine Sitzung des Zeitungsausschusses. Soweit der Stellenwert der Gedenkfeier.
Es ging in der Gemeinde auch um das Verkraften der Währungsumstellung. Dabei ist es bezeichnend, dass eine ganze Reihe von Wertangaben und Transaktionen auch viele Monate, ja sogar Jahre nach der Eingliederung noch in Kronen erfolgen. Ob man damit den ungünstigen Umtauschkurs und die daraus resultierende Minderung des Vermögens zumindest teilweise kompensieren wollte, ist durchaus fraglich. Vorstellbar ist auch, dass man, solange man keine verbindlichen neuen Vorschriften hatte, sich an die Vorgaben aus alter Zeit hielt.
Ein Schwerpunkt der administrativen Tätigkeit nicht nur in der Gemeinde Bartholomä, sondern im gesamten Wirkungsbereich des Burzenländer Sächsischen Kreisausschusses war die Milderung von Auswirkungen der aus Bukarest angeordneten Bodenreform. Es klingt durchaus wie passiver Widerstand, wenn mit Rundschreiben vom 2. September 1919 daran erinnert und empfohlen wird, „jetzt schon alle Schritte zur Sicherung des Pfarrers-, der Lehrer und des – allerdings geringen – Kirchengrundes zu tun.“ Es ging immerhin um 32 Joch für den Pfarrer, je 16 Joch für jeden Lehrer und mindestens 5 Joch für kirchliche Bedürfnisse. Interessant: die Gemeinde Bartholomä und der Sächsische Kreisausschuss benutzen eine Schreibmaschine, wogegen die Vorladung des „Presedinte der Comisiunea de ocol“ an Pfarrer Lassel handschriftlich ist.
Des Weiteren ging es um die Behebung von Schäden an den Gebäuden, Einführung des elektrischen Lichts im Gemeindehaus im Oktober 1924, um die Organisation von Ausflügen, Festen und Vergnügungsveranstaltungen, Anträge und Spenden von Vereinen, z.B. Casino, Bartholomäer Männerchor, die sich beim Ausbau der gemeindeeigenen Räumlichkeiten Verdienstvoll einsetzen, aber auch um die Auswanderung von Siebenbürger Sachsen nach Amerika (Sächsischer Volksrat am 18. November 1922 in Hermannstadt), u.a.
Im März 1920 bittet der sächsische Volksrat alle Bezirksausschüsse, und diese wiederum die Gemeinden, mitzuteilen ob und wie viele Wiener Kinder man im Sommer für 6 bis 8 Wochen in Pflege nehmen kann. Auslöser war vielleicht ein wenige Tage vorher eingegangenes Schreiben des Ausschusses der Aktion für die darbenden Wiener Kinder und notleidenden sächsischen Volksgenossen in Wien. Darin heißt es wörtlich, dass man sich „an unsere Schwestern von Bartholomä wenden will, die ihr Herz schon oft der Not armer Kinder, so auch vor zwei Jahren der Not der Berliner Stadtkinder geöffnet hatten.“ Die kleine, damals auch schwer gebeutelte Gemeinschaft der Bartholomäer hat also Großstadtkinder bei sich aufgenommen, erst 1918 die Berliner und dann wohl auch Wiener Kinder. Den weiteren Verlauf konnte ich mit den verfügbaren Unterlagen nicht nachvollziehen, denn zu diesem Zeitpunkt enden mir vorliegende Archivunterlagen und die Tagebuchaufzeichnungen des Bartholomäer Pfarrers. Man hatte sich also mit sozialen, diakonischen Aufgaben zu befassen, mit wirtschaftlichen Fragen, mit organisatorischen und politischen Neuerungen, mit Baumaßnahmen aber auch mit profanen Fragen der Freizeitgestaltung; im heutigen Sinne durchaus anspruchsvolle Management-Aufgaben.
Es ist sehr beeindruckend, im Tagebuch des Pfarrers Dr. Eugen Lassel zu sehen, dass auch in diesen bewegten Zeiten des Umbruchs und trotz persönlicher Rückschläge das kirchliche Leben nicht zurückgestellt, sondern in bewährter Weise konsequent aufrechterhalten wurde. Es mag ja sein, dass man manchmal improvisieren musste, dass Pfarrer Lassel von einem Termin zum nächsten gehetzt ist, aber der Glaube an Gottes Allmacht und der Dienst an der Kirche haben gewiss nicht darunter gelitten.
Nur unvollständig nachvollziehbar ist die Teilnahme von Pfr. Dr. Lassel an zahlreichen überregionalen Sitzungen, Volksrat, Kreisausschuss, Zeitungsredaktion, Konsistorium, Lehrerkollegium usw. Und dennoch gibt es gelegentlich auch Notizen wie: von... bis … Urlaub in …. Er hat sich das zweifellos verdient, als tragendes Mitglied der Gemeinschaft, in der er wirkte.
Schlussfolgerungen
Ich habe in meinem Vortrag immer wieder das Wort Gemeinschaft betont, und dass manche Leistung nur möglich war, weil der Leistungsträger nicht allein war, sondern sich auf eine starke Gemeinschaft verlassen konnte, die ihn getragen und gestützt hat. In keiner Aufzählung der sogenannten Kardinaltugenden findet man den Gemeinschaftssinn. Dennoch glaube ich nicht zu übertreiben, wenn ich behaupte, dass manch ein Teilaspekt jener Kardinaltugenden auch ein Teilaspekt dieses Gemeinschaftssinns ist, von dem wir uns nur wünschen können, ihn immer wieder neu zu erleben. Jede Gemeinschaft, zu der wir gehören, kann und wird uns etwas geben, aber wir haben durchaus auch Verpflichtungen und ein gewisses Maß an Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und deren weiteren Mitgliedern.
In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen:
Ein frohes Fest in dieser Gemeinschaft.
(Schluss)
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