Vergessen und wiederentdeckt
21.05.09
Zum 125. Geburtstag des Malers Ernst Graeser
Obwohl gebürtiger Siebenbürger Sachse, zählte er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den bekanntesten schwäbischen Malern. Geboren wurde Ernst Graeser am 8. Mai 1884 in Kronstadt als fünftes Kind einer Familie mit bedeutenden siebenbürgischen Vorfahren. Sein Vater war Bezirksrichter in Mediasch und Tekendorf bei Bistritz, Vorfahren und Verwandte von ihm waren u. a. Bischof Daniel Graeser und Bischof Georg Daniel Teutsch von Hermannstadt. Weit bekannt wurden Ernst Graesers Brüder Karl und Gusto Anfang des Jahrhunderts als Mitbegründer der Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona, einer Schule naturgemäßer Lebensweise, einem Bollwerk des Pazifismus.
Im vergangenen Jahr wurde Bruder Gusto anlässlich seines 50. Todesjahres mit einer Ausstellung sowie einer begleitenden Vortragsreihe in München gewürdigt. Im Gegensatz zu den Brüdern wurde der Maler Ernst Graeser zu seinen Lebzeiten in der Presse Siebenbürgens kaum wahrgenommen. Das Interesse am heute für die breite Öffentlichkeit vergessenen Künstler Ernst H. Graeser wurde neu geweckt durch Recherchen zu einigen Kunstwerken im Innenraum der kleinen Esslinger Kirche St. Bernhardt. Ein bleiverglastes Chorfenster mit der Signatur des Malers erweckte Neugierde.
Vor etwa drei Jahren war es noch sehr mühevoll, über den Namen des 1944 kinderlos gestorbenen Künstlers zu aufschlussreichen Informationen zu gelangen. Erst über die ähnlichen frühen Lebensdaten des berühmten Bruders Gusto und die Verbindung zu dessen Erforscher Hermann Müller ergaben sich entscheidende Fortschritte. Nachforschungen schlossen sich an bei städtischen Ämtern, in Museen und Galerien, Archiven und Bibliotheken, bei Kunstglasereien. Auf der Suche nach weiteren erhaltenen Kirchenfenstern konnten Werke im Privatbesitz aufgespürt werden, deren Dokumentation zu einer umfangreichen Werksammlung führte.
Der junge Graeser hatte nach einer begonnenen Ausbildung zum Architekten den Entschluss gefasst, als freischaffender Künstler zu wirken. 1902 verließ er, mit nur 18 Jahren, seine siebenbürgische Heimat. Studienjahre in München und Zürich folgten, immer wieder unterbrochen von Besuchen bei den Brüdern in Ascona und auf dem Monte Verità. 1906 fand dort auch die erste uns bekannte Ausstellung in den Räumen seiner Brüder statt. Sein Bekanntheitsgrad war damals immerhin schon so groß, dass er 1905 als einheimischer Maler im Schweizerischen Künstler-Lexikon von Carl Brun erwähnt wurde. Seit dieser Zeit lebte er von dem Geld, das er durch den Verkauf seiner Bilder erwarb, u. a. an Hermann Hesse, der seit 1904 gelegentlich den Monte Verità besuchte und freundschaftliche Kontakte zum Bruder Gusto pflegte.
1908 setzte er sein Kunststudium an der Königlich Württembergischen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart fort. Seine Professoren waren dort C. Landenberger und A. Hölzel, dessen Meisterschüler er bis 1914 sein konnte. Innerhalb weniger Jahre entwickelte er sich zum hervorragenden Künstler der Radierkunst. Hauptthemen seines künstlerischen Schaffens waren in diesen Jahren dramatische biblische Szenen des Alten und Neuen Testaments als Ölgemälde im Monumentalstil. Die Kunstkritik würdigte seine Abkehr vom akademischen Historizismus und dem in der religiösen Malerei oft noch geübten Stil des „lieblichen Augenaufschlags“ und der „sanft-seligen, süßlichen Gebärden“. Er wurde als der bedeutendste, auf alle Fälle innerlichste religiöse Maler seiner Generation bezeichnet.
Vom Kriegsdienst befreit, erlebte er den Beginn des Krieges wie auch der Großteil des deutschen Volkes mit überschäumendem Nationalpatriotismus. Bald stellte sich die Ernüchterung ein. Die Extreme dieser beiden Gefühlslagen drückte er in etlichen Radierungen und Gemälden zum Thema „Gewalt, Krieg und Tod“ aus. Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Landschaftsmalerei eindeutiger Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens. Wegen seiner Vorliebe für Frühlingsbilder nennt ihn die Presse liebe- und humorvoll „Frühlingsgraeser“ und „Frühlingslyriker“.
Die meisten seiner Werke sind dem Spätimpressionismus zuzuordnen. Trotzdem gehörte zu Graesers Eigenheiten, dass er sich bewusst seine eigene künstlerische Freiheit erhielt und sich keinem „-ismus“ unterwarf. 1922 wurde dies in der Presse folgendermaßen beschrieben: „Ernst Graeser gehört zu der gar nicht großen Gruppe von Künstlern, die es verschmähen, sich eine Manier anzueignen. Das bedeutet bewussten Verzicht auf Popularität und Marktgängigkeit. Bilder, deren Urheber jeder halbwegs unterrichtete Kunstfreund auf den ersten Blick errät, sind nun einmal beim kaufenden Publikum am beliebtesten. Graeser aber hat sich die innere Freiheit bewahrt, auf verschiedene Stimmungen und Eindrücke verschieden zu reagieren“.
Trotzdem lässt seine Landschaftsmalerei dieser Jahre einige Charakteristika erkennen. Dazu gehörte sehr dünner Farbauftrag, skizzenhafte Behandlung, die Bilder unfertig erscheinen lassen, meist gegen die Sonne gemalt, gewollter Kontrast durch figürliche Belebung. U.a. durch die Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen wuchs sein Bekanntheitsgrad in wenigen Jahren auch über Württemberg hinaus. 1920 ernannte ihn die Dresdener Kunstgenossenschaft zum Auswärtigen Ehrenmitglied. 1923 bildete sich, als Abspaltung vom Württembergischen Künstlerbund, die Künstlervereinigung der Stuttgarter Sezession. Graeser war wie einer seiner Lehrer, der Schweizer Heinrich Altherr, Gründungsmitglied. Mehrmals erhielt er zu den jährlich stattfindenden Ausstellungen eine Berufung zum Jury-Mitglied. Neben vielen anderen gehörten damals zur Stuttgarter Sezession namhafte Künstler wie Adolf Hölzel, Willi Baumeister, Max Ackermann, Reinhold Nägele oder Rolf Nesch.
Seit 1927 beschäftigte sich Graeser zusätzlich mit dem Entwurf von glasgemalten Kirchenfenstern. Neben der Freiluftmalerei war dies für etliche Jahre eine seiner wichtigen Erwerbsquellen. Von ursprünglich 26 Standorten konnten noch 17 Kirchen in Württemberg mit Graeser-Fenstern ermittelt werden. Das wohl imposanteste Werk schuf er mit drei ca. 9 m hohen Fenstern für den gotischen Chor der Backnanger Stiftskirche. Über den Entwurf von Kirchenfenstern erhielt er auch Aufträge für Freskomalereien in Kirchen und öffentlichen Gebäuden. Leider sind hierzu außer Abbildungen keine erhaltenen Werke mehr bekannt.
Auf Grund der politischen Entwicklung in Deutschland löste sich mit dem Ende der Weimarer Republik die Stuttgarter Sezession auf. Ab 1933 wurden Künstler und Kulturschaffende in Deutschland von der „Reichskammer der bildenden Künste“ überwacht. Seit den „Ermächtigungsgesetzen“ begleiteten Graeser viele Ängste, Spannungen und Schwierigkeiten. Auch wenn Graeser mit seiner eher gefälligen und zeitlosen Kunst nicht auffällig wurde, musste er unter dem Wegfall der möglichen künstlerischen Vielfalt der Jahre vor 1933, verbunden mit dem Schicksal vieler Künstlerkollegen/innen, die, da „entartet“, mit Ausstellungs- und Arbeitsverbot bestraft wurden, gelitten haben. Schmerzhaft für ihn als Sympathisant der Anthroposophie waren deren Verbot in Deutschland ab 1935, eine nicht erfolgte Berufung auf eine Bewerbung zum Professor an der Berliner Kunstakademie sowie finanzielle Schwierigkeiten durch den Wegbruch des Marktes für christliche Kunst. Hinzu kommen Beziehungsprobleme mit seinem Bruder Gusto, dessen Verhaftung und Bestrafung mit fortdauerndem Schreibverbot, sowie gesundheitliche Probleme seiner Frau und der Beginn des eigenen langen Krankenlagers.
Während seiner letzten Lebensjahre erkannte Graeser, dass die von ihm und anderen erhoffte geistige Erneuerung und Veränderung in Deutschland nicht stattfand. In den fortgeschrittenen Kriegsjahren, auch unter dem Erleben der Bombenangriffe auf Stuttgart, entstanden viele in freien Rhythmen formulierte Gedichte. Sie zeigen, wie sehr Graeser von den Stürmen der Zeit erfasst und betroffen war und immer wieder versuchte, sich neue Hoffnungszeichen zu schaffen. Es entstand 1942 die Gedichtsammlung „Samen für die neue Erde“. Noch vor Kriegsende, am 11. Dezember 1944, erlag Graeser in Stuttgart-Sillenbuch einem Krebsleiden. Seine Ehefrau, Freiin Klementine Graeser, geborene von Pongrácz, lebte nach seinem Tode hauptsächlich vom Verkauf hinterlassener Bilder. Sie starb 1958. Wie sich Ernst Graesers farbige Glasfenster aus vielen Teilen, hellen und dunklen, zusammensetzten, fügt sich sein Leben zu einem interessanten Gesamtbild.
Albrecht Vaihinger
(„Siebenbürgische Zeitung“ vom 30. April 2009)
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