Von Fischen, Lipowenern und Schach
07.02.19
Poetische Dokumentarfotografien aus dem Donaudelta
Von der Einfachheit und Schönheit des Lebens und der Natur, wie auch von deren Herausforderungen handelt die Dokumentarfotografie-Ausstellung von Mircea Albutiu, die seit vergangenen Freitag im Multikulturellem Zentrum der Transilvania-Universität zu sehen ist. Sie zeigt die Atmosphäre im abgelegenen Dorf Sfistofca aus dem Donaudelta, wo Vasile Serghevici Sârbov, der letzte Kosake des Dorfs, lebt. Sârbov hat kein Leitungswasser, keine Arbeitsstelle, keine Familie. Er schleppt mit dem Schubkarren Wasser aus dem Brunnen, fischt für Eigengebrauch, tauscht manchmal Fisch für Wein aus, brennt die Hühner an der Flamme des Herds an und veranstaltet seit vielen Jahren einen Schachwettbewerb, an dem Bewohner aus benachbarten Dörfern teilnehmen. Er ist belesen, fügt Bibelverse in seine Unterhaltungen mit Bekannten oder Touristen hinzu, unterhält sich mit ihnen über Gott, Liebe, den Sinn des Lebens oder auch Geschichte. Der ehemalige Matrose, der sieben Jahre lang die Welt bereist hat, lebt in für Stadtmenschen schwer denkbaren Bedingungen, kocht selbst, wäscht selbst, ist einsam im einst lebendigen Dorf, das nach der Wende nur noch für eine handvoll Menschen das Zuhause ist. Nichtsdestotrotz gönnt sich der Endfünziger Ruhe und folgt dem Rat seiner Mutter, sich des Lebens zu freuen. Er nimmt sich Zeit für sich, raucht gelassen, schlürft seinen Kaffee ohne jede Eile, lässt sich von einer Katze minutenlang die Haare lecken. Und hält seine Welt in Fotografien fest.
Die Ausstellung
Der Klausenburger Profifotograf Mircea Albutiu, der Sârbov durch regelmäßige einwöchige Besuche über vier Jahre lang in seinem Alltag begleitete und nun wie ein Bruder für ihn geworden ist, hat dessen Welt in Fotografie, wie auch in Film dokumentiert. Seine Ausstellung „Khozyain”/Gastgeber, die bis zum 25. Februar im Multikulturellen Zentrum zu sehen ist, bringt das kleine Dorf und dessen Bewohner nach Kronstadt. Beim Anblick Albutius poetischen Einstellungen gewinnt man den Eindruck, den Fisch, den man in den Bildern sieht zu riechen, in die Matschepfützen zu treten, die Kirchenglocken aus Sfi{tofca zu hören. Die Verlassenheit und Einsamkeit des Dorfes, die unangetastete Natur, die traurig und zugleich wundersam ist, bleiben auf der Netzhaut. Auch die Ruhe und der Frieden, in denen Sârbov lebt, gehen weit über die Fotografie hinaus und nisten sich in den Zuschauer ein.
Die Nähe, Intimität und feste Bindung des Fotografen zu seiner Hauptfigur ist auch in Albutius Dokumentarfilm „Khozyain” zu sehen, der diesen Monat im Rahmen der Ausstellung ausgestrahlt wird (das Datum wird in Kürze auf der Facebookseite des Multikulturellen Zentrums der Transilvania-Universität angekündigt werden). Es ist ein purer beobachtungs-orientierter Dokumentarfilm, ein ethnographischer Film der auf künstliches Licht, Drehbuch oder Interviews verzichtet und versucht eine Realität so zu zeigen wie sie ist, fast in Echtzeit.
Die Menschlichkeit hautnah erleben
Die Wahl, seine Hauptdarsteller diskret zu beobachten und fast unsichtbar zu werden bei der Arbeit, ist eine Geheimwaffe des Dokumentarfotografen und -regisseurs Albutiu, die ihm und somit auch den Zuschauern einen Blick in Welten bietet, zu denen nur wenige Zugang haben. Berühmten Jazzmusikern, Choreographen oder Tänzern darf man somit beim Proben oder bei Auftritten zusehen, sie fast persönlich kennenlernen. In der Ausstellung „New Energy“ bietet der leidenschaftliche Fotograf einen wertvollen Blick hinter die Kulissen der Aufführung „Amor Amores“ des wohl bedeutendsten rumänischen Choreographen und hervorragenden Tänzers Gigi Caciuleanu.
In seinem neusten Dokumentarfilm, der sich zur Zeit im Schnittraum befindet, geht der Regisseur die Menschlichkeit und Magie der „großen Dame des Tanzes“, wie die rumänische Tänzerin und Choreographin Miriam Raducanu genannt wird, und die in ihrem Bereich der Perfektion gleichgesetzt wird, an. In diesem Film verlässt der Filmemacher die Rolle des Voyeurs und tritt als Darsteller auf.
Die jahrelangen anhaltenden Dreharbeiten mit Mircea Tiberian, Mihai Iordache und anderen rumänischen Jazzmusikern der Markenklasse, zu denen er, wie zu all seinen Figuren, totalen Zugang genießt, werden auch den Weg in die Kinosäle finden. Der 1968 in Wurmloch/Valea Viilor, im Kreis Hermannstadt/ Sibiu geborene Mircea Albutiu besuchte die deutsche Schule und freute sich dort siebenbürgisch-sächsischer Klassenkollegen und Freunde zu denen er noch heute Kontakt hat. Jahrelang arbeitete der Polytechnik-Absolvent in Deutschland und später auch in Rumänien im Bauwesen, verlor aber nie seine Leidenschaft für Fotografie, die er seit seiner Jugend in sich trägt. Seine feste Arbeitsstelle gab er vor acht Jahren auf. Seither widmet er sich nur der Fotografie und dem Film.
Laura Capatana-Juller
Sârbov neben der Kirche aus seinem Heimatdorf Sfistofca. Foto: Mircea Albutiu
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